KAPITEL 2.2

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Er ist also wahnsinnig. Ich mache einen Schritt rückwärts und hebe langsam meine Hand an den Türknauf. >>Nein, bitte! Tut mir leid, ich...ich. Ich lache ja nicht wegen dir. Ich meine...<<, sagt er plötzlich wieder ernst und lässt den Kopf sinken. Er schüttelt in von rechts nach links. Leise murmelt er vor sich hin: >>Ich kann das nicht, ich kann nicht. Ich...nein, Oh nein<<
Alles in mir schreit nach Rückzug. Geh zu Jo und lass den Spinner allein. Was, wenn er gefährlich ist? Aber ich bewege mich keinen Millimeter. Das kommt mir so bekannt vor: Gestern noch war ich so drauf, wie er jetzt. Ich kann ihn nicht allein lassen. Und falls er mir etwas antun wollte, hätter er es längst getan.
Langsam bewege ich mich auf ihn zu, und lege ihm eine Hand auf die Schulter. >>Was ist denn los?<< Er sieht mich nicht an, antwortet aber: >>Du musst mich für total durchgeknallt halten, geh einfach. Das alles ist mir auch jetzt schon zu peinlich<<
>>Komm schon. Sag mir jetzt einfach, was los ist, und dann seh ich mal, ob ich dich für verrückt erkläre<<, sage ich  und kann mir dabei ein Lächeln nicht verkneifen. Er ist einfach zu niedlich. >>Ich sollte mich jetzt eigentlich auf meinen Auftritt vorbereiten, aber...ich kann einfach nicht<<, krächzt er und endlich hebt er den Kopf. Das Blau seiner Augen ist so tief wie ein bodenloser Brunnen. Ich komme mir so vor, als ob ich in ihnen ertrinke. >>Nun, wenn du nicht kannst, warum hast du dich dann angemeldet?<<, frage ich neugierig. Er sieht mir nicht wie einer aus, der Unüberlegtes macht. >>Ich war so dumm, und hab mich von meinen Freunden überreden lassen. Sie meinen, dass ich Talent hätte<< Den letzten Teil betont er sarkastisch.
>>Wenn sie meinen, dass du talentiert bist, wird da auch was dran sein. Und ausserdem trittst du ja nicht alleine auf, oder? Wo sind sie denn jetzt<<, versuche ich ihn zu beruhigen.
>>Doch. Genau das tue ich. Eigentlich müssten sie schon da sein<<, sagt er fast jammernd.
Dass ein erwachsener Mann so schüchtern ist, hab ich noch nicht oft, eigentlich überhaupt noch nie erlebt. Ganz anders als Hale...
>>Kann ich etwas für dich tun?<<, frage ich plötzlich.
Überrascht sieht er mich an. >>Was? Ja. Nein! Es...es passt schon<< Wie süß!
>>Es ist nicht schlimm. Dir passiert nichts! Die meisten Leute starren dich nicht an, sie hören dir nur zu. Mit den Ohren. Und wenn es dir hilft: Ich stand selbst schon mal auf der Bühne und sang mit meiner besten Freundin einen Song, den wir geschrieben haben, als wir gerade ein wenig betrunken waren. Und was soll ich sagen, wir waren ebenfalls ein bisschen angeheitert, als wir auftraten. Worauf ich aber hinaus will, ist, dass das Gefühl unglaublich ist! Das muss man einmal gemacht haben!<<, berichte ich.
Er blickt mich ein wenig amüsiert an. Es hat also geholfen! >>Du willst mir also sagen, dass ich mich betrinken soll?<<. Seine Augen blitzen, als er das sagt.
Fast hätte ich laut aufgelacht. >>Nein! Du sollst auf die Bühne, du siehst mir nämlich wie einer aus, der singen kann<< Das habe ich jetzt nicht wirklich gesagt!
Mein Gegenüber zieht einen Mundwinkel nach oben. >>Du hast ja recht...Aber ich kann nicht vor so einer Menge stehen und wie soll ich dann singen können? Vielleicht lass ich mich doch etwas volllaufen<<
>>Nein!<<, lache ich jetzt. >>Du willst mir nicht weismachen, dass du solche Panik hast! Nicht mal ich stell mich so an! Ähm...Ja, wenn's denn hilft... Also, sieh einfach mich an, wenn du da vorne stehst...Ähm, unser Tisch steht genau zu der Bühne, und dann kommt es dir nicht mehr so erschreckend vor, wenn du dich auf mich konzentrierst. Oder auf etwas a...anderes. Und... jetzt geh da raus oder ich schleif dich nach draußen!<<, sage ich etwas ungelenk und stottere dabei auch noch. Anscheinend stelle ich mich doch an, und außerdem sollte er sich nicht gezwungen fühlen. Mann, was mache ich nur? Wenn er nicht will...und dann soll er auch noch mich ansehen! Ganz toll, Aby, wirklich ganz toll gemacht!
>>Okay. Es hat mir ja jetzt auch etwas gebracht, dich anzusehen. Ich bin schon viel ruhiger<<, seufzt er ergeben. Meine Wangen laufen jetzt bestimmt rosa an. Er atmet tief ein und lächelt mich schief an. Jetzt bin ich garantiert rot wie ein Hummer. >>Danke<<, sagt er noch mal. Ich trete einen Schritt zur Seite und halte ihm die Tür auf. >>Wir sehen uns draußen<<, sage ich.
>>Kommst du denn nicht mit?<<, fragt er schon wieder mit einer von Panik durchzogenen Stimme.
>>Ähm...<<, stammle ich und blicke mich zu der Damentoiletten um.
>>Oh, richtig. Die Toiletten<<, jetzt scheint er wieder normal zu sein und zum ersten Mal höre ich sein Lachen. Es ist tief und wunderschön. >>Also, wir sehen uns dann draußen! Ich bin der mit dem Nervenzusammenbruch auf der Bühne<< Jetzt macht er sogar schon Witze. Ich bewirke ja regelrecht Wunder, wenn es darum geht, einen verzweifelten Typen wieder Boden unter den Füßen zu verschaffen. Nur bei mir selber scheinen meine Kräfte nicht zu wirken...
>>Wir sehen uns draußen<<, bestätige ich und schenke ihm ein Lächeln.
Als er durch die Tür gegangen ist denke ich: Schritt zwei geschafft.


Kapitel 3!! Ich hab einen Lauf;) Wie findet ihr den schüchternen jungen Mann? Ich würde mich riesig über Kommentare freuen! <3

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