Kapitel 29 - Von Schläfern und Schlüsseln

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Kapitel 29

Von Schläfern und Schlüsseln


~Sabrina~

Sie blickte hinauf in den Himmel. Der Rauch waberte immer weiter in die Höhe. Gab es in dieser Welt auch ein Universum? Andere Planeten? Andere Welten? War diese Welt auch nur einfach ein anderer Planet? Anders als die Erde? Die Erde, ihre sterbliche Welt?
»Komm Sabrina. Wir müssen weiterziehen...«
Sie nickte langsam und drehte sich um.
Hook stand hinter ihr, nahm sie am Arm und half ihr auf eines der Pferde. Er selbst führte das Tier nur.
Die Karawane der Verstossenen setzte sich in Bewegung.
Da die Drachen nun weg waren, mussten nun die Tiere das Gepäck tragen. Waffen, Kleider, Essen, all das war in den Satteltaschen und Säcken verstaut, die die Pferde schleppten.
Mondkind, Wendy und die Verletzten sassen ebenfalls auf Pferden.
»Hook, ich habe Beine. Ich bin nicht verletzt und es geht mir gut, also kann ich laufen!«
Als der Pirat ihr nicht antwortete und das Pferd stur weiterführte, sprang sie kurzerhand vom Sattel. Dumpf landete sie auf dem Boden und der Schmerz schoss ihr von den Füssen, zu den Knöcheln in die Knie.
»Heiliger Klabautermann! Sabrina!«, knurrte er.
»Du wolltest nicht hören!«, fauchte sie und klopfte sich den Staub und den Dreck von ihrer Lederhose.
Es war natürlich eine neue Hose. Auf der Alten hatte ja noch das ganze Blut dieser Bestien, die Arillis getötet hatten, geklebt...
Arillis...
Wieder überrollten die Schuldgefühle, doch Sabrina versuchte sie zu verbergen und strich sich über die Stirn.
»Es geht dir so gut wie dem armen Kerl von Kaufmann, den ich vor dreissig Jahren den Krokodilen vorgeworfen hatte!«, schnaubte Hook und hielt ihr seine Hand hin, um ihr auf zu helfen. Sabrina ignorierte die Hand und richtete sich vollständig auf.
»Es geht mir gut. Ich bin kein Kaufmann und das einzige Krokodil, das ich jemals gesehen habe, gammelt hinter einer Panzerglasscheibe im Berliner Zoo rum!«
Und während Hook noch darüber nachdachte, was ein Berliner Zoo war, stapfte sie an ihm vorbei. Sie hörte wie der Pirat hinter ihr wütend schnaubte, dann das leise „Plopp" seiner Feldflasche, als er den Korken heraus zog.
Rum. Davon hätte sie jetzt irgendwie auch gerne etwas.
Sie drehte sich um und sah ein letztes Mal zurück zu dem Scheiterhaufen, auf dem die Leichen der Moracks brannten.
»Das wird nicht wieder geschehen!«, piepste es neben ihr.
Sabrina blickte auf und sah in Mondkinds Gesicht.
Sie lächelte die Kleine an. »Mondkind, woher willst du wissen, was geschieht und was geschehen wird?«
Mondkind klimperte mit ihrem Whisper. »Hast du vergessen, dass ich träume? Wie du?«
»Wie meinst du das?«, fragte sie ein wenig angespannt. Irgendetwas stimmte nicht mit Mondkinds Tonfall.
»Ich kann es spüren, wenn jemand so tief in die Starre eindringt. Du hast nicht deinen Bruder getroffen, sondern den Geist deines Vaters, der erst zur Ruhe kommen kann, wenn ein neuer Herrscher seinen Platz einnimmt.«
Sabrinas Augen weiteten sich.
»Das stimmt! Aber das war keine Absicht. Ich wollte ja Mile treffen, aber dann fand ich mich plötzlich in der Starre wieder und dann war da mein Dad!«, flüsterte sie aufgebracht.
Mondkind nickte.
»Du bist noch ungeübt im Träumen. Das Wichtigste ist, dass du dich dabei ganz alleine von deinen Gefühlen leiten zu lassen. Aber wenn du nichts Bestimmtes suchst, dann musst du an das denken, was du suchst. So wie du es mit dem Schlüssel getan hast«, erklärte ihr das Mädchen leise.
»Der Schlüssel?«, fragte Sabrina verwirrt. Dann kam es ihr wieder in den Sinn. »Du meinst diesen Schlüssel aus Mondstein?«, fragte sie und kramte in ihrer Tasche, um den wertvollen Schlüssel heraus zu holen.
»Nein, der andere Schlüssel!«
»Welcher andere Schlüssel?« Sie liess von ihrer liess von ihrer Tasche ab und wandte sich ihrer Cousine zu.
Die Kleine lächelte. »Na, der da!«, säuselte Mondkind, rollte mit den Augen und nickte in Richtung Falk, der gerade dem erschöpftem Nebelfinger auf das Pferd half, das er noch immer am Zügel führte.
»Du meinst... Hook?«, fragte sie belustigt. Mondkind schien beinahe beleidigt zu sein und behauptete steif und fest, wie es nun mal nur ein kleines Kind tun konnte: »Doch. Er ist der richtige Schlüssel. Naja... noch nicht ganz... Er wird erst noch geschmiedet werden...« Dann schwieg sie nachdenklich. Sie schwieg und liess sich nicht nochmal zu bewegen, den Mund auf zu machen.
Stattdessen suchte nun jemand anderes ihre Gesellschaft.
»Cousine.«
Sie wandte sich zu ihm um. »Nimmertiger.«
Er nickte ihr zu. Weder in seiner Stimme noch in seinem Blick fand sie die Feindseligkeit, die er ihr sonst immer entgegen gebracht hatte.
»Ich habe vor, Aschenauge und Regenjäger vor zu schicken. Sie sind alleine schneller, als wenn wir hier alle zusammen durch den Wald trampeln. Ausserdem werden die beiden in der Nacht weiterfliegen können. Ich wollte nur sicher gehen, dass du dieses Handeln ebenfalls gutheisst«, meinte der Älteste der sieben Raben.
Verblüfft lächelte Sabrina und fragte amüsiert: »Seit wann interessiert es dich, was ich von irgendwas denke?«
Nimmertiger zuckte mit den Schultern und grinste. »Na ja, ich würde sagen, seit ich gesehen habe, wie du einem Morack auf dem Rücken geklettert und von einem Drachenreiter ewige Rache geschworen bekommen hast«, fasste er zusammen.
»Das hast du gesehen?«
»Ich bin zur Hälfte ein Vogel. Ausserdem hab ich Augen wie ein Tiger. So ist das.«
Sabrina nickte nachdenklich. »Ja, natürlich. Ich finde es eine gute Idee. Dann können Regenjäger und Aschenauge die Elfen zu uns führen. Dadurch würden wir viel schneller in Virid'agru ankommen und unsere Reise wäre auch viel sicherer!«, stellte sie fest. Nimmertiger nickte und gab seinen Brüdern ein Zeichen.
»Entschuldigung, dass ich dich...«
»Kein Problem«, fiel sie ihm ins Wort. »Ist schon vergessen!«
Ihr Cousin nickte grimmig. Sich zu entschuldigen war wohl neu für ihn... Nimmertiger stapfte wieder nach vorne, zum Anfang ihrer kleinen Karawane.
Sie wanderte eine ganze Weile alleine weiter, bis der Nachtmahr mal wieder vorbei schaute, doch der verzog sich nach einiger Zeit auch wieder und liess sie zurück. Ab und zu löste sie jemanden beim Führen der Pferde ab und gönnte sich nach mehreren Stunden Laufen sogar eine kurze Auszeit auf einem der Pferde.
»Jetzt sitzt du also doch auf einem drauf. War das denn so schwer Prinzesschen?«
»Glückwunsch Falk, du hast Augen in deinem Piratenschädel!«, meinte sie sarkastisch. Sie wollte eigentlich nicht so gemein zu ihm sein. Aber seit... Seit Arillis tot war, war es, als wäre ihre Welt irgendwie stehen geblieben...
Er zog eine Schnute, trabte jedoch weiter rechts neben ihr her.
»Es tut mir leid, ich denke, es war doch etwas zu viel in der letzten Zeit...«, murmelte sie.
Hook schüttelte den Kopf. »Du weisst, dass es nicht deine Schuld war. Die Sache mit Arillis, meine ich...«
Sabrina biss sich auf die Lippe, bis sie Blut schmeckte.
»Ich habe sie nicht getötet, aber ich habe sie ganz alleine auf Patrouille geschickt. Ich habe eine falsche Entscheidung getroffen, Falk. Ich bin die Eisprinzessin und damit habe ich mehr Verantwortung zu tragen, als Obama, Busch und all die anderen Präsidenten der sterblichen Welt zusammen!«, widersprach sie traurig.
»Ihr habt einen Busch als Präsidenten?«, fragte Hook verwirrt.
Nun musste Sabrina doch schmunzeln.
»So ähnlich«, meinte sie amüsiert. Dann kamen ihr wieder die Worte ihrer Cousine in den Sinn. »Falk?«
»Ja?«
»Was weisst du über... über Schlüssel?«
Der Pirat sah stirnrunzelnd zu ihr auf. »Schlüssel?«
»Ja. Schlüssel.«
Hook schüttelte schmunzelnd den Kopf. »Der Schlüssel«, erklärte er mit verstellter Stimme, »maskulin. Plural: die Schlüssel. Instrument zum Öffnen von Schlössern. Meist aus Metallen, wie Messing...«
»Oder auch aus Mondstein?«, fragte sie zögernd.
Hooks Kopf fuhr zu ihr herum. »Der Mondstein Schlüssel?«, fragte er gehetzt. Vorsichtig nickte sie und fühlte sich, wie ein kleines Kind, das etwas angestellt hatte.
Falks Gesicht wurde zu einem Spiegel seiner Gefühle. Angst glänzte für einen kurzen Moment in seinen Augen. Schnell verbarg er das verräterische Gefühl hinter einem neutralen Gesichtsausdruck. Und dann kroch etwas anderes über seine Lippen. Langsam zog er die Mundwinkel nach oben und er begann immer breiter zu grinsen. Seine Augen begannen zu funkeln. »Sabrina Beltran... Hast du mich etwa beklaut?«, fragte er langsam und lauernd.
Sabrina zuckte lässig mit den Schultern.
»Du bist ja eine richtige kleine Gaunerprinzessin!«, lachte Hook.
»Welche Ironie. Eine Prinzessin beklaut einen Piraten!«, murmelte Sabrina.
»Ironie? Ich würde es Schicksal nennen...«, säuselte es auf einmal links neben ihr. Der Hutmacher ritt, verkehrt herum auf den Pferd sitzend, neben ihr her. Er hatte sich an den Hals des Pferdes gelehnt, die Füsse auf dem Hintern balancierend und trank seelenruhig eine Tasse Tee.
»Schicksal?«, fragte Falk amüsiert.
»Natürlich. Oder glaubst du, es war Zufall, dass Miss Beltran plötzlich auf deinem Schiff gelandet ist?«, rief Jeremy Topper energisch und klapperte mit seiner Teetasse. »Und glaubst du etwa auch, dass es Zufall ist, dass Miss Beltran ein romantisches Interesse an...«, er holte weit aus und verschüttete dabei seinen Tee, »selbstverliebten Piraten hat?!«
»Jeremy!«, rief Sabrina energisch.
»Selbstverliebt?!«, knurrte Hook grimmig und klimperte drohend mit seinem Haken.
»Hutmacher!«, rief eine Stimme. Ein Katzenkopf tauchte in der Luft auf. Grinser tat seinem Namen alle Ehre und verpuffte wieder.
»Was zum...«, knurrte Falk.
»Oh. Die Grinsekatze. Auch einen Tee?«, fragte der Hutmacher und warf seine mittlerweile leere Tasse in die Luft.
»Wie hast du das gemeint?«, fragte Sabrina den Hutmacher. »Das mit dem... Schicksal und Falk und mir...«
Der Hutmacher lachte leicht hysterisch. »Wer hätte gedacht, dass Herzen für die Diebe schlagen? Das Schicksal! Das Schicksal!«, kreischte er, beugte sich vor und gab seinem Pferd einen Klaps auf den Hintern. Dieses stürmte erschreckt wiehernd, den kreischenden, lachenden und mit Teetassen nach der unsichtbaren Katze werfenden Jeremy auf dem Rücken, drauf los.
»Da bin ich aber froh, auf Nimmerland gelandet zu sein. Ich will mir nicht ausmalen, was aus mir geworden wäre, wenn ich im Wunderland gestrandet wäre«, flüsterte er ihr zu.
»Er mag zwar... etwas irre sein, aber er ist deshalb nicht gleich dumm. Jeremy Topper ist ein Genie und was er gesagt hat, klingt beinahe so, als hätte er gewusst, dass wir...«
»... Uns begegnen...«, vollendete der Pirat ihren Satz.
Sabrina nickte.
»Ach, es klingt trotzdem nach Seemannsgarn«, schnaubte Hook und schüttelte sich, als wolle er damit das Gerede des Hutmachers über das Schicksal einfach abschütteln.
Sabrina runzelte die Stirn. Hatte sie Captain Hook getroffen, weil es ihr Schicksal war? Fühlte sie sich deshalb so von ihm angezogen?
Falk hatte Recht. Das klang wie Seemannsgarn.
Aber was war dann der Grund? Was zog sie so zu diesem Piraten hin?
»Wie willst du dir es sonst erklären? Hook, obwohl ich davon überzeugt bin, dass du wirklich die Absicht hast, ein besserer Mensch zu werden, kann ich irgendwie nicht begreifen, dass du... Deine Mannschaft, dein Schiff... Dass du einfach alles aufgegeben hast... Nur um ein besserer Mensch zu werden? Da muss doch noch mehr dahinter stecken!«, stellte sie fest.
Hook rümpfte die Nase. »Prinzessin. Ihr meinst also, das Schicksal hätte mich dazu bewogen, mich einer traumreisenden Prinzessin an den Hals zu schmeissen, weil es mir vorherbestimmt ist?«, fragte er.
Sabrina zuckte die Schultern.
»Schicksal. Schicksal! Sabrina, ich finde, wir sollten und nicht den Kopf über Dinge zerbrechen, die wir überhaupt nicht begreifen können. Ob Schicksal oder nicht, wir sind hier, beieinander und damit basta!«, brummte er grimmig.
Sabrina lächelte. »Dir ist gar nicht bewusst, wie kitschig das jetzt klang, oder?«, neckte sie ihn.
»Wer sagt denn, dass ich kein Romantiker bin?«, fragte er mit seinem frech-spöttischem Lächeln.
»Na ja, Piraten gelten nicht als die Sanftmütigsten.«
»Sagte das Mädchen, das mich bestohlen hatte.«
»Was hat sie dir den genau gestohlen?«, fragte sie nachdenklich.
»Mein Herz!«, rief er, fasste sich an die Brust und grinste blöd.
»Ha. Ha«, murrte sie und streckte ihm die Zunge raus. »Nein, im Ernst, was habe ich dir geklaut. Was ist dieser Schlüssel für ein Ding? Was öffnet er, falls er überhaupt etwas öffnet.«
Hook zuckte mit den Schultern. »Ich weiss es nicht.«
»Wie, du weisst es nicht?«, fragte Sabrina.
»Eines Tages, damals war ich schon Captain, stand Medusa in meiner Kajüte und gab mir diesen Schlüssel. Medusa ist so was wie das Mädchen für alles der Dunklen. Sie erledigt immer wieder die ein oder andere Gräueltat für sie. Jedenfalls wollte sie, dass ich diesen Schlüssel aufbewahre, sodass niemand ihn finden kann. Ich denke, sie wollte damit vermeiden, dass ihn jemand in die Finger bekommt, der den Dunklen schaden könnte. Jemand wie Ihr, Prinzessin.«
»Aber, ist sie nicht schuld an Arielles Tod?«, fragte Sabrina vorsichtig. Zwar war Hooks Romanze zu seiner Ziehschwester nie weiter gegangen, als das Austauschen sehnsüchtiger Blicke, ausserdem war das ganze schon lange her, doch es war einer der wenigen Menschen gewesen, die der Pirat jemals geliebt hatte.
Falk nickte grimmig. »Das ist ein weiterer Grund, wieso es sehr schwer war, irgendeine Art der Sympathie für die Dunklen aufzubringen. Ich habe es jedenfalls nicht geschafft... Aber weisst du, was das Schlimmste daran war, diese hässliche Seehexe wieder zu sehen?«
Sabrina schüttelte den Kopf. »Nein, was denn?«
»Ich habe dir doch erzählt, was Medusa als Gegenleistung für den Trank wollte, der Arielle in eine Meerjungfrau verwandeln sollte.«
Sabrina schwieg und wartete, dass er fortfuhr.
»Sie wollte ihre Augen. Wie du sicher weisst, versteinert Medusas Blick jeden, der sie ansieht. Darum braucht sie immer wieder neue Augen, Augen, die nicht ihr gehören, Augen, die sie anderen stielt. Und als Medusa an diesem Tag aufgetaucht ist, trug sie Arielles Augen in ihrem verfluchten Schädel. Ich habe den Deal mit dem Mondsteinschlüssel angenommen, weil Medusa mir versprach, mich niemals wieder zu belästigen. Ausserdem hätten die Dunklen mich ansonsten in ihre Folterkammern geschleppt.«
»Sie haben dich also gezwungen, diesen Schlüssel auf zu bewahren...«, brummte Sabrina nachdenklich vor sich hin.
Hook konnte nicht lange ernst bleiben, so schnurrte er: »Aye. Ansonsten würde ich jetzt in ihren Kerkern vergammeln. Und darauf bin ich nun wirklich nicht scharf. Wobei... Versteh mich nicht falsch, aber es gibt durchaus Momente, in denen ich Handschellen sehr zu schätzen weiss...«
»Blödmann!«, rief sie grinsend.

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