Kapitel 10

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Den Rest des Schultages ließ ich gequält über mich ergehen.

Ich saß zwar in jedem Fach weiterhin entweder neben Jamil oder in seiner Nähe, aber ich ignorierte ihn einfach. Trotzdem war ich verletzt. Und was mich noch mehr verletzte war, dass unser Streit mich anscheinend mehr beschäftigte als ihn. Ich war ruhig, dachte die ganze Zeit über unsere Auseinandersetzung nach. Er hingegen machte mit anderen Jungs Witze und schien sich nicht die Bohne dafür zu interessieren, was in der zweiten Stunde geschehen ist. Als die scheinbar unendliche letzte Stunde vorbei war, eilte ich überstürzt aus dem Klassenzimmer und zu dem Raum, in dem Vicci Unterricht hatte. Sie stand schon davor und begrüßte mich mit einer Umarmung.

»Hallo, Schatz. Alles klar?« Sie musterte mich eingehend. Ich nickte. »Glaub ich dir nicht, Zoë. Erzähl das deiner Oma.« Ich lächelte schwach. »Ich erzähl dir morgen alles. Okay?«, schlug ich vor. Sie schaute skeptisch, sagte mir dann aber zu. »Gut, ich muss los. Wir sehen uns dann morgen im Pipapo. D'acc?« Ich lächelte. »D'accord, ma chérie.« Vicci gab mir ein Küsschen und verschwand um die Ecke. Ich ging in die entgegengesetzte Richtung und verließ das Schulgebäude. Ich ging zügig über den Schulhof da ich so schnell wie möglich zum Bus wollte. Doch dann sah ich Jamil auf seinem Fahrrad, wie er sich mit Luna unterhielt. Ich spürte einen leichten Stich. Schnell eilte ich zu meinem Bus und stieg ein. Ich suchte mir einen Platz ganz hinten und stöpselte meine Kopfhörer ein. Ich hörte laut Ayo von Chris Brown und Tyga, dann Flawless von Beyoncé. Die Songs pushten mich erst einmal, doch dann kam human von Christina Perri und ich musste wieder an Jamil denken.

Zoë. Bist du irgendwie dumm? Was soll das? Warum tust du so, als hätte er Schluss gemacht oder sonstiges? Er war nicht mehr als ein Freund. Wahrscheinlich noch nicht einmal ein richtiger Freund. Er ist einfach ein Wohltätiger, der dich davor bewahrt hat, besoffen vergewaltigt zu werden. Du interessierst ihn nicht. Er ist einfach nur ein netter Mensch, also mach dir keine Hoffnung. Er sucht eh was besseres als dich.

Inzwischen war ich zuhause angekommen und ging direkt hoch in mein Zimmer. Ich setzte mich vor meinen Schminktisch.

Er will dich nicht, Zoë. Er sucht eine andere. Eine bessere. Er sucht ein schönes Mädchen.

Ein schönes Mädchen.

Genau das, was ich nicht war.

Ich bin nicht hässlich. Das weiß ich auch. Ich habe ein gesegnetes Aussehen. Ich hab hübsche Geschwister. Ich hab tolle Freunde. Ich bin ziemlich beliebt bei fast allen Leuten, mit denen ich je zu tun hatte. Ich hab tolle Eltern und bin in einem behüteten Elternhaus aufgewachsen. Mir fehlt es an nichts und das weiß ich zu schätzen. Ich habe gute Charaktereigenschaften und eine gute Persönlichkeit. Keine Zweifel.

Man könnte meinen, das sind die Kriterien für ein schönes Mädchen.

Aber da ist diese eine Sache. Diese Sache, die mein Leben veränderte. Die Sache, die mich innerlich tötete. Die Sache, die mich komplett zerstört hat. Die Sache, für die es keine Entschuldigung gab.

Die Sache, die mich zu einem hässlichen Mädchen machte.

Die Sache, die es komplett ausschloss, dass ich ein schönes Mädchen war.

Die Sache, die es komplett unmöglich machte, ein schönes Mädchen zu werden.

Fuck me like you hate me, kiss me like you miss meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt