Kapitel 3

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Ein paar Tage waren wieder vergangenen. Ravyn war und blieb Gegenstand meiner Träume in der Nacht. In der Bibliothek war ich völlig durch den Wind. Gerade noch so gelang es mir die Bücher richtig wieder einzusortieren. "Sonja, würde es dir etwas ausmachen heute mal mit ein Auge auf meine Abteilung zu haben? Ich möchte selbst etwas nachlesen" bat ich die Werkatze. Sie nickte und ich ging zur Geschichtsabteilung. Eygon war der Herr des Wissens hier. Er kannte jedes Buch seiner Abteilung auswendig. Ich schlenderte durch die Gänge, strich anerkennend über die Buchrücken. Hier stand das Wissen von allen Völkern. Vielleicht hatte Ravyn ja recht, aber ich musste es wissen. Was war ich denn nun wirklich? War ich menschlich, ein Mischwesen? Seine Behauptungen hatten meine Sicht auf mich selbst verändert.
"Lea, eine Freude dich hier zu sehen" sagte eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich lächelnd zu dem Drachen in Menschengestalt um. Er war das genaue Gegenteil von dem was man erwartete, wenn man sich einen Bibliothekar vorstellte. Er war groß, breitschuldrig, durchaus attraktiv wenn man auf Narben im Gesicht stand, hatte blonde Haare und lilane Augen. "Hallo Eygon. Vielleicht kannst du mir helfen..." sagte ich und mein Lächeln verschwand. Ich sah mich kurz um. "Natürlich, was kann ich für dich tun?" wollte er wissen.
"Es ist vielleicht besser, wenn ich am Anfang anfange" meinte ich. Er lächelte gutmütig. "Das ist eine gute Idee, komm setzen wir uns doch und erzählst mir, wo der Schuh drückt."
An einem der Tische angekommen, setzten wir uns und ich fing an zu erzählen. Ich wusste, dass Eygon eine treue Seele war. Was man ihm erzählte, das behielt er auch für sich und er gab einen viele Tipps und Ratschläge. Das tat er aber auch nur für Freunde. Ich erzählte ihm also von meinen Träumen. Dann davon dass Ravyn nun darin auftauchte und dass er behauptete, ich sei ein Vampir. Zum Schluss dann auch, dass ich glaube den Verstand zu verlieren, weil ich nicht mehr weiß wer ich bin.
"Ich bin vollkommen verwirrt und durch den Wind. Das verwirrenste daran, die Symptome, die Ravyn genannt hat, habe ich schon teilweise. Was soll ich nur Tun?" fragte ich. Der Drache nahm meine Hände und schwieg erstmal einen Moment. "Nun, es wird schwer für dich sein, aber der Prinz der Vampire hat recht. Du bist einer von ihnen. Du hast nur die Wandlung noch nicht hinter dir. Was deine Eltern anbelangt, vor fünfundzwanzig Jahren herrschte noch Krieg zwischen den Völkern. Die Menschen waren neutral, die Vampire und die Drachen haben zusammen gegen die Elfen, Werwesen und Trolle gekämpft. Ich gebe dir mal ein Buch zum lesen, in welchem viel zu dieser Zeit drin steht. Was die Eltern angeht die dich groß gezogen haben, solltest du sie nach deinen wahren Eltern fragen" erklärte er mir ruhig. Er stand auf und ging das Buch holen, was er erwähnt hatte. Ich blieb zurück und sah auf meine Hände. Also war ich adoptiert, aber warum? Mein Vater war an Krebs gestorben, aber Mama müsste noch da wohnen. Vielleicht melde ich mich einfach mal bei ihr. Zu ihr hin fahren konnte ich nicht, ich hatte kein Auto und mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu ihr zu reisen war eine Qual.
Eygon kam auf leisen Sohlen wieder zurück. In den Händen hielt er einen riesigen Folianten. Sanft legte er das große Buch ab und schlug eine Seite auf. In diesem Buch wurde immer wichtiges hinzugefügt, weshalb es handschriftlich geführt wurde. "Ab hier wirst du zumindest einen Teil deiner Antworten bekommen. Den Rest musst du selbst heraus finden. Ich habe dir außerdem noch ein kleines Vampirlexikon mitgebracht, welches du dir ausleihen solltest und zu Hause lesen. Wenn du mich sonst noch brauchst, dann sag bescheid" sagte er, legte mir kurz eine Hand auf die rechte Schulter und ging leise wieder seines Wegs.

Einige Stunden später war ich schlauer, was die Geschichte der letzten fünfundzwanzig Jahre der Vampire anging. Zu der Zeit hatte noch der Krieg der Rassen untereinander statt gefunden. Viele Zivilisten waren dabei ums Leben gekommen. Eltern gaben ihre Kinder in die Obhut von Menschen, um sie zu schützen. Die Menschen waren neutral gewesen und sich aus diesem Kampf raus gehalten. Einige Jahre später war ein Friedenspakt geschlossen worden. Ein Pakt der aus meiner Sicht ziemlich windig war. Ein falscher Schritt und wieder brach Krieg aus.
Zumindest ergab es nun Sinn, warum ich Ravyn angeschossen gefunden hatte. Jemand hatte wieder Krieg auslösen wollen und es wohl auch geschafft. Nur ich merkte da nicht viel davon. Vielleicht begann jetzt erstmal ein Wettrüsten.
Ich gab Eygon den Folianten wieder und lieh mir das Vampirlexikon aus. Ich machte mit Sonja zusammen schluss.
"Sag mal, wusstest du, dass ich kein Mensch bin?" fragte ich sie dann, und lief neben ihr her. "Ja, aber ich wollte dich nicht aus der Bahn werfen. Ich dachte mir, dass du früher oder später darauf kommen würdest" antwortete sie und sah mich an. Wir blieben an einer Kreuzung stehen. Die Sonne schien hell auf uns herab und mir war das zu viel. Ein weiteres Indiz, dass Ravyn nicht gelogen hatte und ich wirklich ein Vampir kurz vor der Wandlung war. Aber was heißt das? Das Lexikon würde mir hoffentlich weiter helfen. "Danke, dass du so vorsichtig warst, aber du hättest es mir ruhig sagen können" meinte ich. "Glaube mir, das habe ich, aber du hast mich vollkommen missverstanden und ich habe es irgendwann einfach sein lassen" antwortete sie schmunzelnd. Ja, das sah mir ähnlich. Ich grinste müde, blödes Sonnenlicht, es war so anstrengend. "Bis morgen!" Verabschiedeten wir uns dann mit einer Umarmung und ich bog nach links ab, während Sonja über die Straße weiter geradeaus ging.

Vampirchroniken - Erbe der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt