Kapitel 6

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Sicht von Ravyn
Ich konnte noch sehen, wie er Pfeil flog, dann ging Lea zu Boden mit einem Schrei. Ich wollte zu ihr, aber sie war von der Sonne umgeben. Ich konnte nicht zu ihr. Ich musste mit ansehen, wie sie von vermummten Personen mitgenommen wurde. Ich wurde an den Schultern gepackt und ins Haus gezogen, dann die Tür fest verschlossen. Ich drehte mich wütend um. Ich erkannte meinen Vater. "Wir finden sie, wer auch immer das war." Ich konnte die brodelnde Wut hören.

Ich hasste es gerade mehr als alles andere nicht raus zu können, noch war es helllichter Tag draußen. Mir lag inzwischen viel an Lea, sie hatte es geschafft sich in mein Herz einzuschleichen. Wie ein Tiger lief ich im Käfig auf und ab. Es war quälend. Das schlimmste, dass ich sie nicht genau Orten konnte, obwohl ich von ihrem Blut getrunken hatte. Ich hoffte, dass mein Vater da mehr Erfolg hatte, schließlich hatte er als König ein paar mehr Kräfte, die in dem Moment auf mich über gingen, wenn er die Welt verlassen würde. Ich hoffte, dass dieser Tag noch lange nicht gekommen war.
"Leg dich hin und schlaf etwas, Sohn. So wirst du ihr nicht helfen können. Dir liegt viel an ihr, aber mit diesem Verhalten bist du zu angreifbar" hörte ich meinen Vater, als er den Raum betrat. "Du wärst nicht anders, wenn es um Mutter gehen würde" meinte ich und bekam einen seiner bösen Blicke zu spüren, wenn ich ihn sauer machte. Inzwischen zuckte ich dabei nicht mehr zusammen, als ich noch klein gewesen war, hatte mich dieser Blick immer mindestens zusammenzucken lassen. "Sprich nicht so mit deinem König, gehorche!" donnerte seine Stimme streng durch den Raum. Okay, ich hatte den Bogen überspannt.
Ich ging also in mein Zimmer, aber Schlaf fand ich keinen. Ich wälzte mich hin und her, wegen Unruhe und Sorge. Jeden Tag könnte ihre Wandlung passieren. Ich hatte sie natürlich beobachtet. Jeden Tag sah sie hungriger aus, obwohl sie normal aß. Wenn sie in der Sonne war, war ihr anzusehen, wie anstrengend es war. Heute morgen wieder, bevor sie entführt worden war. Die Entführung. Kaum dachte ich daran, brodelte in mir wieder die Wut hoch. Wenn sie ihr etwas antaten, würde ich sie eigenhändig in Stücke reißen. Leaena war mir inzwischen zu wichtig geworden, ich verhielt mich ja, als wäre sie meine Gefährtin. Nur war sie das nicht.

In dem Moment, als die Rollläden hoch gingen, war ich schon wieder auf den Beinen und wartete gar nicht erst auf meinen Vater. Von meinem Balkon aus ging es in die Stadt. Dort schloss ich die Augen und suchte nach Leaenas Spur.

Sicht von Leaena
Ich kam wieder zu mir. Ich konnte nichts sehen. Es war vollkommen dunkel um mich, ich lag auf dem Rücken auf etwas hartem kalten, mein Schädel brummte heftig. Ich versuchte mich aufzusetzen und es klappte auch. Ich tastete um mich herum. Ich lag auf dem Boden, ohne eine Decke oder etwas anderes. Die Finsternis um mich herum war erdrückend. "H-hallo?" fragte ich leise. Angst lag in meiner Stimme. Niemand antwortete mir und ich bekam Angst, noch mehr Schmerzen, die jetzt zur Brust wanderten. Ich bekam Schweißausbrüche und zitterte. Zudem war mir speiübel, doch Erbrechen musste ich mich zum Glück nicht. Mein Herz fing an zu rasen, als die Erkenntnis mich erreichte. Die Wandlung! Ich war allein und ich wusste, es würde nicht gut für mich ausgehen. Ravyn, wo bist du?, dachte ich. Mir schossen die Tränen in die Augen, bevor mich eine unglaubliche Schmerzwelle zu Boden riss. Ich würde sterben, das wurde mir schmerzlich bewusst. Ich schrie vor Schmerz auf. Ich wusste weder wo ich war, noch was genau passiert war. Hier war kein Vampir, das wusste ich irgendwie. Das hier würde ich nicht überleben. Die Schmerzen waren zu krass und ich brauchte Blut von einem männlichen Vampir. Hier war niemand. Ich war vollkommen allein.

Jemand anderes Sicht
Ich sah die Berichte durch. Alles verlief nach Plan. Nur noch etwas Feuer und der Krieg war vollends ausgebrochen. Ich grinste, denn wir waren für den Krieg und den Kampf geschaffen. Wir waren die einzigen, die keinen Nutzen aus einem Frieden zogen. Unsere Tradition verlangte Blutvergießen. Je mehr floss um so besser. Ich freute mich und sah nach unserer Gefangenen über einen Knopfdruck an meinem Laptop. Sie war in absoluter Finsternis. Oh meine Vasallen hatten es gut gemacht, die Kleine würde ein gutes Druckmittel abgeben. Sie war mit dem Vampirprinz befreundet und dies war die offensichtlichste Achillesferse, die jemand haben konnte.
Mein Blick verfinsterte sich, als ich sah, wie sie sich vor Schmerzen am Boden krümmte. Die Kamera war eine Nachtsichtkamera und so konnte ich alles erkennen. Dieses Mädchen war ein Vampir in der Wandlung, das war gar nicht gut. Sie würde mir dort höchstwahrscheinlich verrecken. Ich nahm mein Handy und rief jemand an. "Schafft sie raus. Sie bringt mir nichts, wenn sie uns weg stirbt. Holt jemand anderen an ihrer Stelle" sagte ich. "Aber Mylord, die Vampire!" rief das Gegenüber. "Ich weiß, dass sie damit bescheid wissen. Ihr tut was ich gesagt habe!" Ich wurde zornig und sie sollten mich nicht erzürnen. Den Zorn konnte man auch deutlich hören. "Jawohl!" war die hastige Antwort und ich legte auf. Zwei meiner Leute betraten den Raum und holten die schreiende Vampirin raus. Mit anderen Kameras folgte ich den dreien, bis sie sie hinaus gebracht hatten. Ich hoffte, dass sie es den Vampiren nicht einfach machten sie zu finden...

Sicht von Ravyn
Ein Tag war vergangenen und ich wurde richtig nervös und besorgt, bis ich kurz vor Sonnenaufgang Leaena deutlich spüren konnte. Ich sah meinen Vater an und wir beide teleportierten uns beide dort hin.
Angespannt sah ich mich um. Schwach hörte ich Geräusche und sah mich danach um. Ich entdeckte ein Haus in diesem Tannenwald und ging darauf zu. Von dort hörte ich die Geräusche. Ich sah kurz zu meinem Vater und er nickte. Ich versuchte die Tür zu öffnen, aber es gelang mir nicht, denn sie war verschlossen. "Verdammt..." murmelte ich. Da war sicher Lea drin, was auch immer mit ihr war. Ich konnte Angst riechen und sie röcheln hören. Das klang gar nicht gut. Vater hatte mit seinen Kräften die Tür geöffnet und ich trat nach ihm ein, war aber sofort bei Lea, als ich sie am Boden sah. Sie krümmte sich und gab nur noch leise röchelnd die Schmerzenslaute von sich. "Lea" sagte ich. Sie zuckte zusammen, als ich sie an der Schulter berührte. Die Wandlung war in vollem Gange.
"Sie ist dem Tod nahe, sie braucht Blut und wir müssen hier weg" hörte ich meinen Vater sagen. Ja, wir mussten hier weg. Die verräterische Sonne kroch dem Horizont entgegen und wollte auf die Welt scheinen. Viel länger konnten wir nicht bleiben. "Können wir sie überhaupt so transportieren?" fragte ich besorgt. "Uns bleibt keine Wahl. Hier ist es nicht sicher. Geh schon vor mit ihr, ich komme gleich nach" verlangte mein Vater und diesmal leistete ich keinen Widerstand. Ich nahm sanft die schwache Lea in den Arm und teleportierte uns beide weg. Dass ich dabei im Wohnzimmer vor dem Kamin landete, war mir dabei vollkommen egal. Ich zog Lea an mich. "Kannst du mich hören?" fragte ich. Sie antwortete nicht und verkrampfte sich.
Ich musste ihr mein Blut geben und das schnell. Ich zog das Messer aus meinem Ärmel, welches ich vorm gehen noch mitgenommen hatte. Ich wollte mir zuerst den Arm aufstechen, aber ich wollte sie fest in meinem Arm halten, also musste ich mir einen kleinen Schnitt am Hals verpassen. Lea gab wieder einen röchelnden Laut von sich. Verdammt, war es zu spät? Es darf nicht zu spät sein!
Ich schnitt mich auf am Hals und legte ihren Mund an meinen Hals. Mein Blut rann an mir herunter, aber Lea rührte sich nicht und trank nicht. Nein, nein, nein! Das darf nicht passieren. Bitte trink von mir!, dachte ich und versuchte ihre Gedanken zu erreichen, die in weiter Ferne zu sein scheinen. Ich wollte sie nicht verlieren, das durfte nicht passieren.
Lea, flüsterte ich in ihre Gedanken. Geh nicht! Das erlaube ich dir nicht!
Ich bemerkte meine Eltern und noch einige andere, doch ich ignorierte alle. Ich merkte einzelne Tränen, als sich Lea immer noch nicht regte. Ich ließ den Kopf hängen. Sie war verloren. Ich war zu spät gekommen. Ich hätte eher handeln müssen, hätte sie beschützen müssen.

Sicht von Leaena
Der Schmerz lähmte mich. Ich war vollkommen in ihm gefangen. Schreien konnte ich schon lange nicht mehr und die Kraft dazu hatte ich auch nicht mehr. Weit in der Ferne hörte ich etwas in meinem Kopf, doch ich verstand es nicht. Nicht wer es sagte oder was gesagt wurde. Die Schmerzen waren so vordergründig, dass ich nur noch sterben wollte. Es war einfach zu viel für mich, dass ich mir wünschte einfach in der schwarzen Umarmung des Todes zu sterben.
Dann kam da noch eine wohlige Wärme, die mich einhüllte und irgendwie auch vor dem Schmerz abschirmen wollte. Der Geschmack von Blut breitete sich in meinem Mund aus und ich schluckte einmal. Ich wollte mehr davon, denn damit verschwanden auch langsam die Schmerzen. Ich biss langsam zu und fing an zu saugen. Mehr Blut. Wie in meinen Träumen saugte ich das Blut meines gegenüber aus dem Hals.

Sicht von Ravyn
Ich wollte sie gerade los lassen, als ich merkte, dass sich zwei Fänge in meinen Hals bohrten. Ich hob leicht den Kopf an, damit sie es leichter hatte. Ich merkte sie schwach anfing saugen und es wurde immer stärker und kräftiger. Ich sah sie aus dem Augenwinkel an und zog sie enger an mich. Ich bemerkte auch Erleichterung bei den anderen Anwesenden, doch das schob ich beiseite. Ich hielt Lea fest und dankte gerade gedanklich allen Göttern, die mir spontan einfielen. Wir hatten sie doch noch rechtzeitig gefunden. Ich war so unendlich froh darüber. Sie war mir richtig ans Herz gewachsen, dass ich mir nicht vorstellen wollte, was nun wäre, wenn sie nicht mehr am Leben wäre.
Nach einigen Minuten löste sich ihr biss und sie gab ein zufriedenes seufzen von sich. Ich sah ihr in die blaugrauen Augen und bemerkte die Erleichterung in diesem Blick. Ich lächelte und hob sie auf. Sie würde Schlaf brauchen, viel Schlaf und ich würde über sie wachen. Ich verließ das Wohnzimmer ohne auf die anderen zu achten und trug Lea in mein Zimmer. Ich legte die junge Frau sanft auf meinem Bett ab und wollte wenigstens noch die Tür zu machen, was ich dann mit Gedanken machen musste, weil Lea nicht den Anschein machte, mich gehen lassen zu wollen, da sie mich fest umklammert hielt. Ich ließ sie gewähren, während ich mich neben sie ins Bett legte. Sie kuschelte sich an mich und gab nochmal das zufriedene Seufzen von sich, bevor ich merkte, wie sie einschlief. Dieses zufriedene Geräusch von ihr gefiel mir. Es zeigte mir, dass sie sich bei mir sicher und geborgen fühlte. Ich entspannte mich und schlief selbst ein.

Vampirchroniken - Erbe der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt