Kapitel 10

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Einige Tage später konnte man wohin man auch ging traurige Vampire sehen. Letzte Nacht hatte die Königin der Vampire diese Welt verlassen. Ich hatte Mitgefühl, doch Trauer empfand ich keine so wirklich. Ich hatte sie nicht wirklich gekannt und war auch nicht wirklich von ihr regiert worden. Ganz anders war es da bei allen anderen Vampiren und vor allem Ravyn und sein Vater. Die beiden zeigten die Trauer nicht, doch man merkte es deutlich. Beide lenkten sich mit verschiedenen Dingen ab und man merkte, dass sie nicht ganz bei der Sache waren.

Drei Tage später fand das Begräbnis statt. In der Nacht auf einem Friedhof sein, das war eine Vorstellung, die mir absolut nicht behagte. Ich wollte am liebsten ganz schnell weiter gehen, doch Ravyn hatte gemeint er brauchte mich an seiner Seite.
Dann schien die Zeremonie zu beginnen. Ein Vampir - der so alt aussah, wie ein alter Mensch - trat an den dunklen Holzsarg heran. Keiner hatte mir gesagt, was nun passiert, also hatte ich keine Ahnung, ob ich denn alles richtig machte.
"Königin Nimera, Ihr wart unsere große Anführerin in vielen Schlachten. Ihr schenktet eurem Gefährten und uns allen einen kräftigen Erben der Nacht und gabt bis zuletzt alles, um euer Volk zu schützen. Ihr wart Tochter von Raison, verstorben, und von Karinka, verstorben. Ab heute ist eure Nachtjagt zu Ende. Möget ihr in Frieden ruhen." Bei diesen Worten drückte Ravyn meine Hand und verschränkte fest seine Finger mit meinen. Ich schwieg, obwohl mir der Griff doch etwas weh tat. Wie auf Kommando fing es an zu regnen. Ravyns Vater stellte sich neben den Sarg und murmelte noch etwas. Dann nahm er die Fackel des Priesters entgegen und entzündete den Sarg. Stumm beobachtete ich, wie der Sarg trotz des Regens Feuer fing und schließlich komplett verbrannte. Neben mir zuckte Ravyn zusammen, geschüttelt davon, dass er wohl nicht weinen wollte. Ich nahm ihn einfach schweigend in den Arm. Fest drückte er mich an sich und vergrub sein Gesicht an meinem Hals. "Sie ist immer ganz nah bei dir" flüsterte ich und sah ihn an. Er weinte stumm. "Komm, gehen wir nach Hause" hörte ich Ravyns Vater hinter mir. Ich sah ihn an und hatte das Bedürfnis ihn so zu trösten, wie ich es gerade mit seinem Sohn tat, doch der hätte da wohl etwas dagegen, zumindest so wie Ravyn mich gerade krampfhaft fest hielt war das durchaus möglich.
Eine Stunde später fand im Schloss dann eine kleine Trauerfeier statt, um der Königin der Vampire zu gedenken. Jeder sprach Ravyn und seinem Vater sein Beileid aus. Alles in allem war es wirklich toll.

Trotzdem beschlich mich an dem Abend das Gefühl, dass es nicht lange dauern würde, und Ravyns Vater würde seiner Gefährtin in den Tod folgen. Wie richtig ich mit dieser Einschätzung lag, zeigte sich nur zwei Monate später. Inzwischen war ersichtlich, dass die Kobolde sich mit den Trollen zusammen geschlossen hatten, und die Vampire angriffen. Unserem Volk standen die Drachen wie beim letzten Krieg zur Seite. Ravyn zuliebe war ich aus meiner Wohnung ausgezogen und ins Schloss gezogen. Was zwischen uns war, beschrieb ich als kompliziert - zumindest aus meiner Sicht. Es gab Tage, da ignorierte er mich komplett und ich fühlte mich so einsam, dass ich mich in die Bibliothek flüchtete. Dann wiederum war er der süßeste Mann dem ich je begegnet war und er war so liebevoll und fürsorglich mir gegenüber. Ich hatte absolut keine Ahnung, was ich davon halten sollte.

Der Tag kam, als mir wieder dieses mulmige Gefühl aufkam. Ravyns Vater!, schoss es mir durch den Kopf. Ich versuchte erfolglos Ravyns Gedanken zu erreichen und rannte aus meinem kleinen Zimmer. An meiner Tür stand einer der Wachen. "Wo ist Ravyn? Ich erreiche ihn nicht! Es ist dringend!" fragte ich den Wächter. "Hier bin ich, was ist los?" fragte mich Ravyn und ich drehte mich zu ihm um. "Ich weiß nicht genau, aber etwas stimmt mit deinem Vater nicht. Ich habe da so ein ganz mulmiges Gefühl..." Sofort war Ravyn aufmerksam. "Er war eigentlich zu einer Konferenz mit den Drachen unterwegs um unser vorgehen zu besprechen..." sagte Ravyn nachdenklich und sah dann konzentriert aus. Er versuchte ihn wohl über Gedankenübertragung zu erreichen. "Ich erreiche auch James und Jakob nicht, da muss etwas passiert sein" sagte der Wachmann hinter mir und ich sah wie Ravyn so bleich wurde, dass er einen vollkommenen Kontrast zu den schwarzen Wänden des Schlosses abgab. Nur Sekunden später löste er sich auf und ließ mich hier allein stehen mit dem Wachmann, der mich ansah. "Wohin ist er verschwunden?" fragte ich, doch der Wächter schüttelte den Kopf. "Das werde ich euch nicht sagen, Mylady." Ich schnaubte und sah ihn an. "Sag es mir. Ich kann auch gerne mein Blut in ihm suchen und so ihm hinterher gehen. Ich werde hier nicht untätig herum sitzen!" Der Wachmann versuchte mich noch aufzuhalten, aber schließlich gab er nach und brachte uns beide dort hin. Es war die Sommerresidenz der Drachen, oder was davon übrig war. Die Hälfte davon bestand nur noch aus Trümmern. Im Nebelstaub konnte ich einige erkennen, die nach verletzten suchten. Ich ging zu ihnen und half einfach mit. "Lea was machst du hier?" fragten mich Ravyn und zu meiner Verwunderung auch Eygon. "Meinst du ich bleibe einfach zu Hause, wenn ich ein mulmiges Gefühl habe und du einfach verschwindest Ravyn?" Er schnaubte kurz und sah mich funkelnd an, während ich einen Stein beiseite rollte. "Es ist zu gefährlich" versuchte er mich zu überzeugen zurück zu gehen. "Und wer gibt deinem Vater Blut, sobald wir ihn finden? Du etwa?" meinte ich und sah ihn prüfend an. "Nein, aber..." "Siehst du, ich will nur helfen. Und ich bin kein Vogel den man einsperren kann!" Ich sah ihn einen Moment an, bis ich etwas spürte. Wieder eine warme Umarmung, die mich lockte wo hin zu kommen. Ich stieg an Ravyn vorbei über einen Trümmerberg und ließ den Blick wandern. Er blieb an einem größeren Trümmer hängen. "Eygon, hilf mir mal! Der Trümmer da muss weg!" sagte ich und er hob den Trümmer in seiner Drachengestalt weg. Ich sah ihn dabei kaum an, wobei diese lila Schuppen sicher viele Blicke anzogen. Hinter dem Trümmerteil war eine kleine Höhle, wenn man es so nennen wollte. Ravyn und Eygon ignorierend - beide wollten mich davon abhalten da runter zu gehen - ging ich da runter. Klar war es gefährlich, aber ich folgte einfach dem Instinkt. Im Nachhinein betrachtet war ich ziemlich naiv gewesen da runter zu gehen, wie sich gleich herausstellen würde.
Wieder ließ ich den Blick wandern und da lag er. Beide Beine unter Trümmern, auf dem Bauch liegend. Ich ging zu ihm. "Hey hört ihr mich?" fragte ich und berührte ihn an den Schultern. Er zeigte keine Reaktion und ich versuchte vorsichtig seine Beine zu befreien, doch ohne Erfolg. "Lea?" rief Ravyn von oben. "Na komm schon!" murmelte ich zur gleichen Zeit und hörte den Erben der Nacht nicht. Ich sah mich um. Irgendwie musste ich ihn doch befreien können verdammt!
Plötzlich bebte es und einige Trümmerteile kamen runter. Ich wollte ausweichen, fiel hin und einer erwischte meine Beine. Ich schrie vor Schmerz auf. Alles wurde dunkel.

Vampirchroniken - Erbe der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt