Kapitel 24: Falsche Entscheidung

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Die Sache, die Tim und ich da hatten, ging noch zwei weitere Wochen so weiter, ehe sich etwas veränderte. Es war ein ganz normaler Sommertag und mehr als die Hälfte der Sommerferien war vorbei. Tim kam bis jetzt jeden Tag vorbei und nur einmal sahen wir uns nicht, da ich mit meinen Eltern anlässlich ihres Hochzeitstages essen war. Tim hatte, wie er mir am nächsten Tag berichtet hatte, zwei Stunden auf mich gewartet, doch als ich nicht gekommen war, ist er dann doch wieder gegangen. Das tat mir dann schon ein wenig leid und ich hätte ihm ja auch schreiben können, aber irgendwie hatte ich so weit blöderweise nicht gedacht. Ansonsten war bei uns alles wie immer. Wir waren inzwischen anscheinend sowas ähnliches wie Freunde geworden, erzählten uns die verrücktesten Geschichten, aber gingen nie weiter ins Detail. So erfuhr ich zum Beispiel rein gar nichts näheres über ihn, obwohl da, wie ich Jahre später erfuhr, genug war, was ich eigentlich wissen sollte.

Heute war ich Vormittags mit Jenni nach Bielefeld gefahren, um einige neue Sommersachen einzukaufen. Obwohl ich mir aus der Freundschaft mit ihr nichts wirklich machte, war ich trotzdem froh, dass ich jemanden hatte, außer Tim, mit dem ich etwas unternehmen konnte. Vielleicht war sie ja auch wirklich dabei sich zu verändern und wir würden uns bald wieder richtig gut verstehen, wie damals. Weiß weiß das schon?

Wir schlenderten nun bereits seit zweieinhalb Stunden in der Bielefelder Innenstadt herum und trugen bereits beide mehrere volle Plastiktüten mit uns herum. Meine Laune war, obwohl ich mit Jenni unterwegs war, außergewöhnlich gut, da ich so viele neue Sachen hatte, über die ich mich so freute. Jenni hatte sogar gesagt, dass die Sachen an mir gut aussahen, was mich komischerweise total gefreut hatte! Ich konnte mich sogar auf ein Gespräch mit ihr einlassen, über den völlig überteuerten Lippenstift, den sie sich gerade gekauft hatte.

Unser Gespräch war sozusagen gerade auf seinem Höhepunkt, als ich plötzlich die Person sah, die ich jetzt am wenigsten hier haben wollte. Nur wenige Meter von mir entfernt schlenderte Tim mit einem Freund durch die Gassen und unterhielt sich prächtig mit ihm. Ich stoppte mein Gespräch mit Jenni genau in diesem Moment und kramte höchst konzentriert in meiner Tasche herum, um ja keinen zufälligen Augenkontakt zu erzeugen. Jenni fiel das natürlich mal wieder nicht auf. Obwohl ich ihr schon lange nicht mehr geantwortet hatte, redete sie ununterbrochen weiter über ihre immer weiter wachsende Schminksammlung.
Die Situation war total unangenehm und ich wusste überhaupt nicht, wie ich reagieren sollte. Schließlich kannte ich Tim sozusagen nur nachts, wenn er entweder angetrunken oder drauf war. Wir hatten uns seit dem einen Mal auf der Party letztes Jahr nie mehr in der Öffentlichkeit tagsüber gesehen. Deshalb wusste ich echt nicht, ob ich ihn jetzt begrüßen oder ignorieren sollte. Was wollte er? Wollte er, dass man wusste, dass wir uns kannten? Oder wollte er so etwas nicht? Er war mit seinem Freund da. Vielleicht wollte er nicht uncool vor ihm wirken. Ich hob meinen Blick kurz und sah, wie jener Freund den wie ein Honigkuchenpferd grinsenden Tim seinen Ellenbogen in die Seite rammte und zu mir nickte. Er musste mich erkannt haben. Schnell senkte ich wieder meinen Kopf, als beide ihren Blick auf mich richteten und wir uns für eine Millisekunde direkt in die Augen sahen, doch da war es schon zu spät. Während ich völlig in Gedanken einfach nur geradeaus lief und drauf bedacht war, keinen weiteren Augenkontakt zu erzeugen, kam Tim plötzlich breit strahlend auf mich zu und kam so vor mir zum Stehen, dass ich ebenfalls stehen bleiben musste.

"Hi Luisa! Was machst du denn hier?", fragte er sofort und sah von mir zu Jenni und wieder zurück. Sein Freund folgte ihm langsam und lächelte ebenfalls total freundlich.

"Äh", ich war einfach nur total überfordert und spürte schon den verwunderten Blick von Jenni auf mir. "Hi", brachte ich dann halbwegs lässig raus und lächelte angespannt zurück. Tim merkte scheinbar sofort, wie unangenehm mir diese Situation war und wie überrascht Jenni guckte, weshalb sein Lächeln ganz schnell wieder verschwand.

"Naja, ich muss noch wohin", murmelte er dann, zerrte an dem Arm seines Freundes und verschwand dann zielstrebig mit ihm in der Bielefelder Menschenmasse. War dann wohl der Freund, von dem er mir erzählt hatte? Der immer mit ihm kiffte?

"Wer war das denn?" Jennis Stimme triefte nur so vor Herablassung.

"Ähm, ach, nur so ein Typ, den ich kenne. Ein Bekannter meiner Eltern", nuschelte ich und hasste mich augenblicklich dafür, dass ich so hinterhältig Tim gegenüber war. Das hatte er nicht verdient. Wahrscheinlich gingen ihm die selben Gedanken vorhin durch den Kopf und dann hat er mit sich selbst gerungen, ist einfach auf mich zu gekommen, hat all seinen Mut zusammen genommen und mich begrüßt und ich habe ihn einfach abgewiesen. Was war bloß mit mir los? Warum war ich vorhin so nervös? Warum musste ich ständig daran denken, was Jenni gerade dachte und konnte ihr nicht einfach klipp und klar sagen 'Pass auf, das ist ein Freund von mir, mit dem ich mich täglich treffe und mit dem ich mich super verstehe'? Warum war mir das so unangenehm? Konnte ich nicht einmal auf ihre Meinung scheißen?
Ich drehte mich noch einmal um, in die Richtung, in der Tim und sein Freund verschwunden war und wünschte, ich könnte die Zeit ein paar Sekunden zurück drehen und anders reagieren.

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