Kapitel 81: Probleme für's Leben zu groß, für's Sterben zu klein

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Wir alle blieben noch eine Weile bei Elmar zuhause, einfach weil es uns im Gesamtpaket doch noch zu schlecht ging, um sofort nach Hause zu fahren. Deshalb warteten Dennis und ich noch bis in den Nachmittag hinein, ehe wir uns zum Zug aufmachten. Tim hatte mir versprochen, dass er am nächsten Tag zu mir kommen würde, um mich alleine zu sehen und ich freute mich jetzt schon unglaublich darauf. Schließlich hatten wir ja noch eine Menge, worüber wir reden müssten, auch wenn wir uns vorerst wieder vertragen hatten.

Auf der gesamten Zugfahrt mit Dennis versuchte ich ihn dann irgendwie darüber auszuquetschen, ob es noch irgendetwas Neues bei Tim gab, was ich nicht wusste, zum Beispiel bezüglich seiner Familie, doch er wollte mir nichts sagen. Stattdessen wich er mir immer aus und zog mich dann jedes Mal aufs Neue wegen letzter Nacht auf, was ich aber auch mit Humor nahm. Was anderes blieb mir ja vermutlich gar nicht übrig.

Als ich nach Hause kam, war meine relativ gute Laune dann aber direkt verschwunden, als ich durch die Haustür reinkam. Meine Eltern rasten direkt auf mich zu und waren tierisch wütend auf mich. Ich hatte ihnen zwar gesagt, dass ich die Nacht nicht Zuhause sein würde, doch ich hatte behauptet, dass ich bei Jenni schlafen würde. Das Problem war nur, dass eben diese blöde Kuh am Vormittag bei uns geschellt hatte und nach mir gefragt hatte. So entstand dann ganz schnell eine hitzige Diskussion darüber, dass ich mich ja so verändert hätte und jetzt sogar auch meine eigenen Eltern anlügen würde. Es endete damit, dass ich vor Wut heulend in mein Zimmer gestapft war und die Tür abgeschlossen hatte, um ja keinen Kontakt von außen zu bekommen. Ich war so wütend, dass sie sich immer einmischen mussten, aber gleichzeitig auch darüber, dass ich so ein Geheimnis vor ihnen hatte. Schließlich war Tim mein erster richtiger Freund und normalerweise sollte man da ja mit seinen Eltern schon drüber reden. Eigentlich hatte ich auch nie wirklich ein Problem mit ihnen gehabt. Wir sind immer gut klar gekommen und haben uns alles erzählt, aber irgendwie hatte ich in der letzten Zeit nicht das Bedürfnis irgendwelchen Leuten, egal wer es war, von meinen Problemen zu erzählen, die sie vermutlich sowieso nicht interessierten. Im ersten Fall deshalb, weil ich mich manchmal selber unglaublich über mich ärgerte und wusste, dass meine Eltern die Ersten wären, die mich dann auch auf meine eigenen Fehler hinweisen würden und das konnte ich absolut nicht haben. Also erzählte ich lieber niemandem etwas und fraß meine Probleme in mich hinein, aber das war schon okay so. Schließlich hatte ich bis jetzt ja auch immer alles alleine hinbekommen.

Am nächsten Tag durchlöcherte Jenni mich natürlich auch direkt, warum ich denn nicht Zuhause gewesen sei gestern und was ich denn so wichtiges gemacht hätte. Ich versuchte ihr darauf möglichst abweisend zu antworten und hoffte einfach, dass ich diesen Schultag irgendwie überstehen würde. An solchen Tagen half es dann auch wirklich fürchterlich, dass Philipp im Normalfall so absolut gar nicht gesprächig war und einfach nur schweigend neben mir auf dieser Bank auf dem Schulhof saß. Dann konnte ich nachdenken, rauchen - was irgendwie auch immer mehr wurde - und fühlte mich aber gleichzeitig nicht so alleine. Generell fragte ich mich aber auch, ob meine Eltern schon hinter das Rauchen gekommen sein könnten. Vielleicht waren sie deswegen so wütend und schlecht gelaunt? Denn als ich nach Hause kam, ließ ich es lieber ganz bleiben, dass ich versuchte mit ihnen redete, sondern aß stattdessen ganz schnell auf und machte dann sogar das vermutlich erste Mal dieses Schuljahr die Hausaufgaben für den nächsten Tag, damit ich sie nicht noch weiter verärgerte, obwohl sie das vermutlich sowieso nicht mitkriegen würden. Generell fragte ich mich auch, wie sie wohl bei meinen Klausuren reagieren würden, wenn ich diese wiederbekommen würde. Die erste hatte ich schließlich schon geschrieben und die war wirklich alles andere als gut gewesen.

Nachdem ich die Hausaufgaben so weit fertig hatte und sonst auch nicht mehr wusste, was ich mit meinem Leben anfangen sollte, schlich ich an meinen Eltern vorbei nach draußen und wartete außerhalb ihres Sichtfeldes auf Tim, der dann auch wirklich keine viertel Stunde später kam. Mit einem breiten Strahlen auf dem Gesicht kam er direkt auf mich zu und umarmte mich stürmisch. Sofort spürte ich wieder dieses altbekannte schneller Schlagen des Herzens und freute mich so unglaublich, dass ich wieder in seiner Gegenwart sein konnte, auch wenn sich das total komisch anhörte. Die Woche ohne ihn ist schon hart gewesen.

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