Epilog

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Wieder einmal stand ich eines Abends am Meer und sah mir den Sonnenuntergang an. Das tat ich in letzter Zeit besonders oft. Was sollte ich denn sonst tun, wenn man kurz vor Jahresende von der Schule genommen wurde, um absichtlich einen Rückfall zu erleiden? Naja. Rein theoretisch gesehen ist das Schuljahr nun offiziell zu Ende. Bereits seit zwei Wochen, um genau zu sein. Für mich fühlte es sich aber dennoch so an, als würden die anderen noch fröhlich zur Schule gehen. Nur ich eben nicht.
Fünf lange Wochen hatte ich in Emily's Home verbracht und seither nichts mehr von Ethan und seinen Kumpels gehört.
Roxie und Logan hatten mich so oft besucht wie nur möglich, genauso wie meine Brüder in jeder freien Minute bei mir waren.
Ich konnte mich in diesen fünf Wochen sogar dazu überwinden, mich den anderen Kindern in der Klinik zu zeigen. Obwohl ich wusste, dass sie mich nicht verurteilten, war ich sehr darüber erfreut, dass sie es wirklich nicht taten. Sie sprachen den Vorfall mit der Brücke nie an. Ich wurde von ihnen behandelt wie alle anderen auch. Es war, als hätte ich mich nie umbringen wollen...
Nur dass die Person mich nie besuchte, die ich am liebsten gesehen hätte.

Ich liess die Wellen um meine nackten Füsse schlängeln, atmete den salzigen Geruch der Luft ein, liess den Wind mit meinen Haaren spielen. All das zusammen machte mich glücklich.
Naja. So glücklich wie ich zur Zeit nunmal sein konnte.
Nur weil das Wunder wieder seine Wirkung zeigte, hiess das noch lange nicht, dass alles wieder gut werden würde. Ich war noch immer in diesem Teufelskreis gefangen. Und ich würde es immer sein.

Ich war so in meine Gedanken versunken, dass ich gar nicht bemerkte, wie sich jemand neben mich gesellte.
„Hallo"
Ich drehte meinen Kopf langsam nach rechts und schaute kurz darauf in genau diese beiden braunen Augen, in denen ich mich jedes Mal aufs Neue verlieren konnte. In die ich mich jedes Mal aufs Neue verlieben konnte.
Ethan grinste mich frech an.
Schüchtern lächelte ich zurück und starrte kurz darauf wieder an den Horizont, damit ich meine Beherrschung nicht verlor. Seinetwegen würden meine Knie noch nachgeben und dann würde ich ganz unladylike den Boden küssen. Das wollte ich mir definitiv ersparen. Ausserdem wollte ich es ihm nicht so einfach machen und ich wollte unter gar keinen Umständen, dass er sah, was für eine Wirkung er auf mich hatte.
„Wie bist du an meinen Brüdern vorbeigekommen?", fragte ich also schnell, worauf er lachte. „Ich gebe zu, dass ich einige schwere Geschütze ausfahren musste, damit sie mich endlich zu dir gelassen haben."
Ich spürte seinen Blick auf mir, was mir einen angenehmen Schauer über den Rücken laufen liess. Ich lächelte. „Das glaube ich dir gerne. Was hat sie überzeugt?"
Ethan kam noch zwei Schritte näher auf mich zu, sodass ich die Hitze, die er ausstrahlte auf meiner Haut fühlen konnte. Gänsehaut machte sich auf meinen Armen breit.
„Ich konnte sie überzeugen, als ich ihnen sagte, dass ich dich liebe und als ich ihnen versprochen habe, dass ich dich niemals verletzten werde", raunte er mir zu und nahm dabei eine kleine Haarsträne, die sich im Wind selbständig gemacht hatte und sich so in meinen Wimpern verfangen hatte, zwischen Daumen und Zeigefinger und zwirbelte sie. Ich schaute ihn noch immer nicht an, doch es kostete mich meine gesamte Entschlossenheit. Bei seinen Worten wurde mir ganz warm ums Herz und ein angenehmes Kribbeln erfüllte meinen ganzen Körper.
Ich wollte hören, was er zu sagen hatte. Ich wusste genau, wenn ich ihn ansah, würden mich seine wundervollen braunen Augen völlig aus dem Konzept bringen und dann wäre es um mich geschehen.
„Wie lange brauchtest du, bis dir meine Brüder das glaubten?", fragte ich ihn flüsternd, da ich meine Brüder schliesslich kannte.
Als Antwort senkte Ethan seinen Kopf auf meine Schulter und drückte seine weichen Lippen darauf.
'Atmen, Nati! Atmen!'
„Um ehrlich zu sein glauben sie mir noch jetzt nicht", meinte er plötzlich, als ich schon dachte, er würde mir nicht mehr antworten - mit Worten antworten. „Sie stehen alle fünf in eurem Wohnzimmer und starren zu uns, um ganz sicher zu gehen, dass ich nicht hier und jetzt über dich herfalle."
Ich lachte nervös.

Alive - Wie er mir half zu lebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt