№ 010: Gefängnis Bibliothek

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Red One - Don't You Need Somebody



Maaann, hier sind ja viel zu viele Menschen!", war Jonas' einziger Kommentar als er die Piste hinunterschaute, „Da kann man ja kaum noch was sehen, geschweige denn gscheit' fahren!"

Ich beobachtete ihn durch meine Skibrille und stellte fest, dass er nicht einmal die Ski angeschnallt hatte, sondern sich abwartend umsah. Den Helm mit dem Ellbogen an der Hüfte haltend und mit dem Anzug erinnerte er mich an einen Astronauten.

„Warten wir ein bisschen?", fragte Jonas und sah mich an.

Ich ignorierte das mulmige Gefühl, das sich in meinem Bauch ausbreitete und bejahte. Wahrscheinlich war ich einfach nur hungrig. Sofort schob ich meine Gedanken auf die Seite.

Heute war wirklich sehr viel los: Ich sah viele Familien mit ihren Kindern, und was ich am meisten bewunderte, waren die neunjährigen die besser fahren konnten als ich es jemals werde. Ich hatte mit drei Jahren das erste Mal auf Skiern gestanden, doch wir fuhren nur auf einen Skiurlaub pro Jahr. Sogar Jonas fuhr jedes Jahr mindestens vier Mal – demensprechend konnte er es auch. Es wunderte mich, dass er überhaupt mit mir fahren wollte. Ich konnte mich nicht mal annähernd mit ihm vergleichen, was das Skifahren anging.

Mich beschäftigte trotzdem Luke. Ich hatte ihn heute noch gar nicht gesehen. Es beunruhigte mich, da ich mir ein Zimmer mit ihm teilte. Ich schlug meinen Kopf gegen eine imaginäre Wand.

Hör auf dir so viele Gedanken zu machen, hör auf. Das bringt dich noch ins Grab. Es ist nur ein Tag.

„Jonas können wir endlich fahren?", fragte ich meinen besten Freund. Wir warteten schon geschlagene zehn Minuten am Berg und es wurde immer kühler. Er begann (endlich) seine Skischuhe zuzuschnallen – ich hatte meine schon längst zu – und grinste mich an.

„Ja, das können wir", antwortete er.

Als wir die schwarze Piste hinter uns hatten (und meine Füße schmerzten – der Schnee war schon voll im Eimer, da alle schon hinuntergefahren sind) waren wir gerade dabei unsere Ski vom Schnee abzuklopfen.

„Das war ein schöner Tag. Danke.", meinte Jonas als er mich beobachtete, wie ich meine Schuhe lockerte.

„Ich sollte dir danken", entgegnete ich und lächelte ihn an. „Komm, wir müssen zum Bus, der fährt bald."

„Brauchst du Hilfe?"

„Danke, ich schaffe das schon", grinste ich als ich sah, dass Jonas einige Meter vor mir war. Ich packte meine Skier und stapfte ihm nach.

~

Eine Gestalt riss mich aus der Konversation mit Jonas. Wir saßen gerade an der Bushaltestelle und unterhielten uns.

Hey, ist das nicht Luke?

Der Typ mit der Mütze?

Ja, der aus dem Gebäude geht. Das ist er doch!

Naja...

Natürlich, du Idiot! Das ist er! Zu hundert Prozent!

Aber was sollte er in diesem Gebäude machen? Was ist das überhaupt? Sieht aus wie 'ne Gefängnis Bibliothek.

In dem Moment fuhr der Bus ein und hinderte mich daran, das Gebäude zu inspizieren.

~

„Nein, verdammt! Ich werde deinen Lehm nicht kaufen. Du hast ihn mir schon sechsmal angeboten und ich habe siebenmal Nein gesagt! Was ist überhaupt mit dir los? Hast du getrunken? Du gewinnst doch immer in ‚Die Siedler von Catan'! Jetzt bist du voll am Verlieren."

Ich seufzte und das erste Mal in meinem ganzen Leben fühlte ich mich unwohl weil Jonas' Blick auf mir lag. Es war nie ein Problem gewesen wenn Jonas mich angesehen hatte – ich hatte mir nicht mal Gedanken darüber gemacht! Aber in dem Moment fühlte ich mich nur ertappt. Wir hatten so oft über Luke geredet, dass es fast peinlich war, jetzt wieder damit anzufangen.

„Es ist nur...", versuchte ich anzufangen. Mir entging der stechende Blick meines besten Freundes nicht, und ich versuchte ihm um alles in der Welt auszuweichen. „Maaan... wenn ich damit anfange dann schlägst du mich wahrscheinlich"

Ich fuhr mir durch mein Haar.

„Luke?"

Fragend sah er mich an. Ich ließ meinen Blick zu ihm schweifen. Seine braunen Augen musterten mich verständnisvoll.

Jonas war mein bester Freund. Ich sollte mich nicht so anstellen. Selbst wenn wir das Thema schon von A bis Z durch hatten.

„Ich habe ihn heute noch nicht gesehen. Das ist das Problem", seufzte ich erneut.

Jonas stützte sich am Boden mit seinem Ellbogen ab und schien nachzudenken: „Hast du nicht vor einem halben Jahr gesagt, dass er öfter einen ziemlich heftigen Husten und Magenprobleme hatte? Vielleicht hat er sich wieder 'nen Virus eingefangen oder so."

Ich konnte in dem Moment gar nicht beschreiben, wie dankbar ich Jonas war. Klar, wahrscheinlich war wieder irgendwas mit seiner Gesundheit und er musste sich vielleicht durchchecken lassen.

„Aber Jonas, da ist man doch nicht den ganzen Tag weg..", murmelte ich schließlich, nachdem wir ein paar Minuten schweigend weitergespielt hatten und meine Gedanken sich wieder überschlugen.

Er verdrehte die Augen: „Vielleicht macht er auch was anderes. Jetzt hör auf den Teufel an die Wand zu malen. Du machst dir zu viele Sorgen." Jonas lächelte mich aufmunternd an.

Ich erwiderte sein Lächeln und zwang mich dazu, nicht an Luke zu denken.

Der Idiot denkt sicher nicht so oft an dich wie du an ihn.

Wir spielten noch einige Zeit und Jonas gewann. Er freute sich riesig, und es war süß, wie er die ganze Zeit grinste. Manchmal erinnerte er mich an einen kleinen Bruder.

„Also, wir sehen uns beim Abendessen, klar?", fragte mich Jonas, als wir das Spiel wieder verstaut hatten. Ich nickte und verabschiedete mich mit einem ‚Bis Bald'. Ich sah ihm noch zu wie er den Gang entlang ging mit dem Spiel in seiner Hand, bis er schließlich im Treppenhaus verschwand.

Nachdem ich die Tür schloss war ich noch immer alleine. Luke war – noch immer – weg. Ich schnappte mir mein Handy und legte mich auf das gemachte Bett. Ich ging auf YouTube und schaltete Musik an. Mussorgski – Bilder einer Austellung.

Als ich meine Augen öffnete sah ich in ein verwundertes Gesicht.

Mein Herz klopfte mir bis zu Brust und in dem Moment schreckte es mich so sehr, dass ich fast aus dem Bett sprang.

Ich starrte Luke in die Augen und versuchte mich zu beruhigen.

Es war nur Luke. Nur Luke.

„Wo warst du den ganzen Tag?"

Er stand vom Bett auf und ging ganz entspannt zu seinem Kleiderschrank, wo er schließlich einen Hoodie rauskramte und ihn sich überzog.

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst"

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Gewidmet an die liebe Lili. Ich hoffe es geht dir besser :)

Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen, es ist eher ein Füll-Kapitel, und ich bin nicht mehr verliebt, wie ich es am Anfang der Story war, was auch  zu sehen ist und es irgendwie schwerer macht...

Wenn mir das ein Junge sagen würde (den letzten Satz), dann weiß ich nicht was ich machen würde, und ihr? :D

Falls ihr irgendwie Kritik habt, scheut euch nicht sie mir zu sagen. Ich bin immer sehr dankbar dafür :)

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