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Zwei Tage später befanden sich der Bürgermeister, Alfrid und Gwyneth an einem der Stege und warteten auf Bard. Der Kahnführer sollte Gwyneth mit zur Grenze des Waldlandreiches nehmen, wo sie dann von den Elben weiter zum Palast gebracht wurde. ,,Zu spät, wie immer", beschwerte sich der Bürgermeister, als Bard endlich eintraf. Bard sagte nichts und band das Boot an einen Pfahl, damit es nicht abtrieb. ,,Er ist nicht zu spät, wir waren nur zu früh. Deshalb mussten wir so lange warten", sagte Gwyneth, doch wurde von allen ignoriert. Der Bürgermeister erklärte Bard noch einmal alles haargenau und Alfrid warf immer wieder unnötige Bemerkungen dazwischen, die allerdings gekonnt ignoriert wurden. ,,Ich denke, dass kann noch eine ganze Weile dauern, deshalb haben wir noch genug Zeit für den Abschied", sagte Bain, der, zusammen mit Thilda, vom Kahn auf den Steg kam. ,,Du sagst das ja so, als würde ich für Jahre verreisen", entgegnete Gwyneth. ,,Du warst noch nie weg", meinte Thilda, ,,Und weil du nicht weißt, wie lange es dauern wird, bis du wieder kommst, müssen wir uns eben lange von dir verabschieden." Gwyneth lächelte das achtjährige Mädchen an. ,,Da hast du recht Thilda", meinte sie und ging in die Hocke, damit sie mit Thilda auf Augenhöhe war. Die beiden Mädchen umarmten sich. ,,Machs gut, meine kleine Prinzessin", sagte Gwyneth, löste die Umarmung und stellte sich wieder hin. Bain sah sie einen Moment lang schweigend an. Offenbar suchte er nach den richtigen Worten. ,,Soll ich dich auch umarmen?", fragte Gwyneth, ließ Bain allerdings nicht zu Wort kommen, sondern redete einfach weiter, ,,Warum frage ich eigentlich? Ich werde es irgendwann vor der Abreise sowieso tun." Dann umarmte sie Bain lange. Sie wusste selbst nicht warum, aber vielleicht war dies ihre letzte Begegnung für einen oder sogar mehrere Monate. Und zudem fühlte sie sich in den Armen ihres besten Frendes sicher und geborgen. ,,Ich werd dich vermissen, mellon", flüsterte sie ihm während der Umarmung ins Ohr. ,,Ich dich auch", entgegnete Bain ebenfalls flüsternd. Schließlich lösten sie die Umarmung. ,,Wir haben noch ein Geschenk für dich", sagte Thilda und sah ihren großen Bruder an. Dieser holte ein Armband aus seiner Manteltasche. ,,Thilda hat es in den letzten zwei Tagen geknüpft", erklärte er und warf seiner kleinen Schwester einen stolzen Bilck zu. ,,Du hast aber auch ein bisschen geholfen", entgegnete Thilda. Gwyneth streckte ihm seine Hand entgegen. ,,Ich will es gleich anziehen, damit ich es nicht verliere", meinte sie. Bain legte ihr also das Armband um. Es war rot-hellbraun gestreift und passte perfekt um ihr Handgelenk, da Bain es relativ eng zugebunden hatte. ,,Danke, es ist wunderschön", sagte Gwyneth lächelnd. ,,Gwyneth, wir müssen los", rief Bard, der wieder auf seinem Kahn stand. Gwyneth seufzte und ging zu Bard auf den Kahn. Dieser fuhr auch sofort los. ,,Bis bald", sagte Bain, während er und Thilda neben dem Kahn herliefen, ,,Und sei nicht zu frech zu den Elben." ,,Wie kommst du darauf, dass ich frech zu ihnen sein könnte?", entgegnete Gwyneth grinsend. Bain lächelte. ,,Ist nur so ne Ahnung", meinte er und blieb zusammen mit Thilda stehen, da der Steg eine Biegung machte und die beiden somit nicht mehr neben dem Kahn herlaufen konnten. Gwyneth winkte noch kurz und drehte sich dann nach vorne. Bard und sie wechselten kein Wort, während sie langsam durch die Stadt fuhren. Erst als sie die letzten Wachposten außerhalb der Stadt hinter sich gelassen hatten, begann Bard zu sprechen. ,,Bain und Thilda haben sich offenbar wirklich sehr gut mit dir angefreundet", meinte der Kahnführer. ,,Und ich mich mit ihnen", entgegnete Gwyneth, ,,Die beiden sind meine besten und leider auch einzigen Freunde. Ich wünschte zwar, dass Sigrid, oder auch Ihr, mir vertrauen würdet, wie Thilda und Bain es tun, aber man kann Vertrauen nunmal nicht erzwingen." ,,Man muss es sich verdienen", sagte Bard. Gwyneth wusste genau was er meinte. ,,Seid Ihr immer noch wütend wegen den Kerzenhaltern vor einem Jahr?", fragte sie, doch Bard sagte nichts. Allerdings wusste Gwyneth sein Schweigen durchaus zu deuten. Er war noch immer wütend, weil sie vor einem Jahr zwei Kerzenhalter aus seinem Haus gestohlen hatte. Diese hatte sie dann verkauft und sich von dem Geld eine enge Stoffhose gekauft, die sie im Winter unter ihrem Kleid trug, damit sie nicht allzu sehr fror.
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Die restliche Fahrt auf dem Kahn verlief schweigend, bis Bard schließlich den Kahn an das Ufer des Flusses, den sie ein Stück hinaufgefahren waren lenkte und dort mit einem Tau befestigte. Drei Elben sprangen wie aus dem Nichts von einem Baum. Es waren zwei braunhaarige Männer und eine rothaarige Frau. Bard und Gwyneth verließen den Kahn und neigten zur Begrüßung den Kopf. ,,Seid gegrüßt", sagte die Elbin, ,,Hier sind die Fässer für Euch, Herr Kahnführer." Dabei deutete sie auf die Fässer, die sich hinter ihr und den zwei anderen Elben befanden. Bard nickte und begann wortlos die Fässer auf den Kahn zu laden. ,,Ihr müsst die junge Frau sein, die wegen den Verhandlungen hier ist", sagte die Elbin dann an Gwyneth gewandt. Gwyneth nickte. ,,Nun, dann kommt, wir bringen Euch zu den Hallen Thranduils", sagte sie, drehte sich ohne ein weiteres Wort um und ging in den Wald. Gwyneth folgte ihr zögernd, hinter ihr liefen die anderen beiden Elben. Schließlich erreichten sie ein großes Tor, welches offensichtlich zu den Hallen des Elbenkönigs führte. Hier um das Tor herum sah der Wald noch schön und gesund aus, nicht so wie auf dem Weg, den sie gelaufen waren. Dort hatte der Wald dunkel und krank gewirkt. Nachdem sich das Tor wieder geschlossen hatte sah Gwyneth staunend die riesigen Hallen des Waldlandreiches. ,,Ihr beiden könnt jetzt gehen", sagte die rothaarige Elbin. Die zwei Elben nickten und gingen davon. ,,Wie ist eigentlich Euer Name?", fragte die Elbin. ,,Ich heiße Gwyneth", sagte Gwyneth. ,,Ich bin Tauriel", stellte die Elbin sich vor, ,,König Thranduil erwartet Euch bereits. Ich bringe Euch zum Thronsaal."
,,Der Gast aus Esgaroth ist eingetroffen, mein König", sagte Tauriel und verbeugte sich. ,,Gut, du kannst gehen", sagte König Thranduil von seinem Thron herab. Tauriel nickte und ging. Jetzt war Gwyneth alleine mit dem König im Thronsaal. Sie verbeugte sich. ,,Erhebt Euch", sagte der König eher gelangweilt und Gwyneth tat wie gehießen. Sie sah zum Thron hinauf. Der Elbenkönig saß ein wenig lässig, ober trotzdem kerzengerade auf seinem riesigen Thron. Auf seinem Kopf trug er eine Krone und sein langes, hellblondes Haar fiel ihm über die Schultern. Er trug ein edles, silbernes Gewand, eine graue Hose und teure Stiefel. Sein Gesicht schien wie aus weißem Marmor gemeißelt zu sein, so unwirklich perfekt war es. Seine stechend blauen Augen lagen auf Gwyneth und schienen sie durchbohren zu wollen. Sie erklärte dem König warum sie in sein Reich geschickt wurde, aber er schien ihr nicht wirklich zuzuhören. Schließlich erhob er sich und stolzierte die Stufen, die zu seinem Thron hinaufführten, hinab. ,,Sag mir, warum schickt der Bürgermeister ein Weib, noch dazu ein so junges und unerfahrenes?", fragte er und tigerte um Gwyneth herum, wie ein Raubtier um seine Beute. ,,Ich weiß es selbst nicht", antwortete sie, ,,Aber ich vermute, einer der Gründe ist, dass ich als einzige in Esgaroth halbwegs die Sprache Eures Volkes beherrsche." Thranduil stand inzwischen wieder vor ihr und zog eine Augenbraue hoch. ,,Für mich hat es mehr den Anschein, als wolle er Euch für einige Zeit loshaben", meinte er dann, ,,Denn zu solch einer belanglosen Besprechung, die Jahr für Jahr rein gar nichts an den Handelsbedingungen ändert, schickt der Bürgermeister sowieso nur die nutzlosesten seiner Leute. Obwohl ich gestehen muss, dass Ihr für eine Menschenfrau ungewöhnlich schön seid." Der König sagte diese Worte, bis auf den letzten Satz, mit solch einer Arroganz und Gleichgültigkeit in der Stimme, dass Gwyneth ihm am liebsten ins Gesicht gesagt hätte, was für ein eingebildeter Mann er doch war. Denn dass wusste sie jetzt schon: Der Waldlandkönig war ein arrogantes, überhebliches und emotionsloses Spitzohr. Doch in letzter Sekunde besann sie sich noch und sagte nichts. ,,Allerdings habe ich heute noch keine Zeit für diese...'Verhandlungen', weshalb Ihr erst einmal bis morgen warten müsst", meinte Thranduil und befahl einer der Wachen, sie zu einem Gästegemach zu bringen.

Die Diebin von EsgarothWo Geschichten leben. Entdecke jetzt