Kapitel 9

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„Was?", fragte meine Mutter und man sah ihr förmlich an, wie sie sich an ihrer eigenen Spucke verschluckte:"Das ist lustig. Ich hab verstanden, dass du gesagt hast 'es ist ein Junge' als es darum ging um wen du gerade 'trauerst'."

„Mama...das ist nicht lustig. Ich mein das ernst. Ich bin bisexuell", murmelte ich leise und sah ihr in die Augen. Sie sah mich an als hätte ich ihr gerade veröffentlich, dass ich...keine Ahnung, jeden Tag Pornos schaue. Wobei ich in dem Moment annahm, dass das nur halb so schlimm für sie gewesen wäre.

„Du...stehst also auf das männliche Geschlecht?", fragte sie leise. Ich zuckte mit den Schultern und nickte leicht:"Na ja...auch. Ich stehe auf beide Geschlechter..."

„Und jetzt hast du Liebeskummer wegen einem...Kerl?", fragte sie noch mal nach und wieder nickte ich. Sie legte eine Hand auf ihre Brust:"Tut mir leid. Das muss ich jetzt erstmal irgendwie verkraften."

Etwas frustriert ließ ich den Kopf hängen. Das Wort 'verkraften' war vielleicht nicht das ermutigendste. So kam es mir selber fast vor, als würde es schlimm sein bisexuell zu sein. Immerhin war ich ja trotzdem noch ihr Sohn und alles blieb so wie vorher. Nur statt einem Mädchen konnte ich eben auch mal einen Typen mit nach Hause bringen und meinen Eltern vorstellen.

Nachdem ich unendlich lange darauf wartete, dass sie sich wieder etwas beruhigte (unglaublich lange bedeutete in dem Fall dreißig Sekunden), räusperte ich mich wieder:"Soll ich dir jetzt erzählen warum ich so schlecht drauf bin?"

„J-ja, ich denke schon", meinte sie und sah mich aufmerksam an. Noch ein letztes Mal atmete ich durch und überlegte einfach zu kneifen, doch bevor ich diesen Gedanken weiter verfolgen konnte, sprudelte auch schon alles aus mir raus.

Ich erzählte ihr davon, dass ich schon länger in Marco verliebt war. Beschrieb ihn ein wenig. Erzählte sogar von der Party, da die ja erst alles ins Rollen gebracht hatte irgendwie. Auch, dass ich mit Eren...na gut, ich habe nur gesagt, dass wir uns geküsst hatten. Den Sex danach ließ ich aus. Das hätte meine Mutter wohl nicht verkraftet. Jedenfalls endete ich mit dem Gespräch zwischen Marco und mir nach der Schule am Montag der Woche.

„Hui..daraus kann man ja fast schon so eine Sendung machen, wie sie auf RTL oder so immer laufen", witzelte meine Mutter. Ich fand das leider gar nicht lustig. (Zumal diese Serien einfach nur unrealistischer Bullshit waren!).

Sie sah auf ihre inzwischen leere Tasse:"Okay. Nicht witzig...Und er blockt total ab?"

//Nein! Ich hab dir eben eine halbe Stunde lang aus Spaß erzählt warum Marco NICHT ans Handy geht und NICHT meine SMS liest!//, meckerte ich innerlich und verdrehte die Augen:"Ja, tut er. Ich weiß nicht..irgendwie übertreibt er total. Er könnte mir doch eigentlich verzeihen, mit mir zusammen kommen und wir könnten ein glückliches Paar sein."

„Ach Schatz...es ist nicht alles immer wie im Film. Gib ihm etwas Zeit, dann wird das schon", sagte meine Mutter und lächelte, doch man sah ihr an, dass es ihr schwerfiel 'ihm' zu sagen und nicht 'ihr'.

Leise seufzte ich und stand auf:"Ich geh zurück in mein Zimmer."

Vielleicht hätte ich ihr doch nicht von meinen Problemen erzählen sollen. Sobald mein Vater wieder zu Hause ankommen würde – wo auch immer er hin verschwunden ist?! - würde sie ihm davon erzählen und ich würde zum Familiengespräch gerufen werden, damit ich mir garantiert eine fangen könnte. Dann dürfte ich mir noch anhören, was für ein schlechter Sohn ich sei und so weiter und so weiter. Schon jetzt stöhnte ich genervt auf und schmiss meine Zimmertür zu.

Die folgenden zwei Tage blieb ich einfach in meinem Bett liegen und machte nichts außer weiter zu versuchen Marco zu erreichen. Doch wie die Tage zuvor ignorierte er mich weiter.

Mein Vater war auch noch nicht aufgetaucht. Langsam hatte ich die Vermutung, dass eine Trennung anstand. Auch gut. Dann wäre ich meinen Vater endlich los.

Freitag bekam ich dann eine SMS von Eren. Mir wurde einfach ein schlichtes 'Jean?' auf dem Sperrbildschirm angezeigt. Ich entschied mich dazu das zu ignorieren und wollte das Handy gerade weglegen, als eine weitere Nachricht kam. Dieses Mal weitaus beunruhigender:»Es geht um Marco...«

Sofort stieg Unruhe in mir auf und meine Finger kamen gar nicht hinterher so schnell wollte ich den Entsperrcode eintippen. Als ich die Nachrichten von Eren endlich aufgerufen hatte, stand schon die nächste Nachricht dort:»Es hat einen Unfall gegeben...«

„Eren!!", schrie ich ihn durchs Handy an. Er mit seinen scheiß Punkten!

»WAS für einen Unfall?! Was ist mit Marco?! Wo. Ist. Er.«, schrieb ich eilig und wippte ungeduldig mit meinen Füßen auf und ab. Musste dieser Trottel sich denn so viel Zeit beim Schreiben lassen?!

Inzwischen schossen mir mehrere Szenarien von Unfällen in den Kopf und immer kam Marco dabei um. Mein ganzer Körper zitterte vor Nervosität und endlich vibrierte mein Handy wieder:»Er liegt im Krankenhaus...Komm einfach her, dann kann ich dir alles erklären.«

Kurz darauf noch eine Nachricht von ihm:»Und bitte beeile dich...«

Es dauerte nur wenige Sekunden, bis ich aus dem Bett gesprungen und nach unten gerast war. Eilig zog ich mir meine Schuhe und eine Jacke an.

Verwirrt kam meine Mutter aus dem Wohnzimmer:"Jean, was ist denn los?"

„Kann nicht. Ich muss jetzt sofort ins Krankenhaus!", sagte ich und war auch schon aus der Tür.

Keuchend und ohne Rücksicht auf Verluste rannte ich den ganzen beschissenen Weg von mir zu Hause zum Krankenhaus. Mit der Bahn hätte ich vielleicht eine Viertelstunde gebraucht, aber dafür hatte ich jetzt keine Geduld.

Mit brennenden Lungen kam ich im Krankenhaus an und sah mich kurz um. Ziemlich schnell entdeckte ich Eren, welcher mich zu sich winkte:"Jean!"

Sofort kam ich zu ihm und krallte mich in seine Schultern:"Was ist mit Marco? Wo ist er?"

„Ganz ruhig, hol erstmal Luft. Bist du den ganzen Weg gerannt?", fragte er blinzelnd.

„Nein, ich bin geflogen, du hirnverbrannter Vollidiot", blaffte ich ihn an und ließ ihn los. Langsam beruhigte sich mein Herz wieder und wir ging zu ein paar Stühlen, die in der Eingangshalle zum Warten aufgestellt wurden.

„Jetzt erzähl mir endlich, was passiert ist", verlangte ich zu wissen und endlich zeigte Jäger sich mal kooperativ. Er straffte seine Schultern ein wenig und kratzte sich am Hinterkopf:"Wo soll ich denn anfangen..?"

„Mein Gott, du sollst mir nichts über deine Abenteuer erzählen, sondern einfach nur, was passiert ist", sagte ich ungeduldig. Ich musste jetzt unbedingt wissen, was mit Marco passiert war, und ob ich mir Sorgen machen musste. Okay, die machte ich mir eh schon.

Eren fiel es sichtlich schwer mit dem erzählen anzufangen. Doch schließlich kam er endlich mal in die Gänge und fing an:"Also...Marco und ich hatten uns nach der Schule verabredet, um noch etwas in die Stadt zu gehen..."

Shingeki no AiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt