Ich fuhr mir mit der Hand über die Augen, aber ich weinte nicht. Ich war fertig mit ihm und den Tränen, die ich wegen ihm vergossen hatte. Und glaubt mir, damit hätte man ganze Ikea-Lager von Badewannen füllen können.
Caro hatte einmal zu mir gesagt: „Wenn du dich verliebst, dann ist das nicht nur ein bisschen Schwärmen. Wenn du dich verliebst, dann ist das echt, dann ist das tief, und dann tut es weh."
Tja, da lag sie wohl mal wieder mehr als richtig. Bei Nico hatte es wehgetan, aber das war eigentlich nichts verglichen zu Harry. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie es wehtun würde, wenn so etwas mit Harry passieren würde. Ich würde nie wieder aufstehen, für mich wäre das Leben dann zu Ende.
„Ich bin fertig mit dir", sagte ich schlicht, aber bestimmt.
Er stand immer noch wie ein begossener Pudel vor mir.
„Okay, da du nicht mal ein Anzeichen von dir gibst, dass du dich zu dem Thema noch irgendwie äußern wirst, werde ich jetzt fahren. Ruf mich nie wieder an, schau mich nie wieder an, fass mich nie wieder an und sprich nie wieder mit mir. Ich bin es leid."
Ich wirbelte herum und wollte zu meinem Auto stürzen, als ich seine Stimme ganz leise hörte.
„Warte bitte."
Das zweite Wort ließ mich innehalten. In Zeitlupe drehte ich mich wieder zu ihm um. Ich sah ihn an und verschränkte die Arme vor der Brust. Er fuhr sich mit der Hand von der Stirn zum Kinn hinunter einmal über das Gesicht, als würde er versuchen, die Auswirkungen des Alkohols wegzuwischen. Tja, klappt aber nicht, also spar dir die Mühe, Trottel.
„Sam...", fing er an und er klang unsicher. Und gleichzeitig verletzt und reumütig.
Wahrscheinlich bildete ich mir das eh nur ein. Denn Nico kannte so etwas nicht. Nicht der neue Nico, der aus Texas wiedergekommen ist.
„Es tut mir so leid." Ich wollte widersprechen und ihn unterbrechen, aber ich hielt mich gerade noch zurück. Ich wollte ihn nicht unterbrechen, weil ich dann vielleicht nie das hören würde, was er jetzt vorhatte zu sagen.
„Wirklich, du musst mir glauben. Ich habe dich immer geliebt. Ich liebe dich auch immer noch, auch wenn ich weiß, dass du das nicht glaubst." Er schluckte. „Ich weiß nicht, wieso ich die Sachen gemacht habe."
Ich schnaubte. Ja klar.
„Nein ehrlich, Sam! In den ersten Wochen, als ich drüben war, ging es mir so wahnsinnig schlecht, aber das müsstest du ja eigentlich wissen, schließlich haben wir jeden Tag geskypt und da hab ich dir alles erzählt. Wahrscheinlich kommt dir das alles jetzt wie eine Lüge vor." (Stimmt.) „Aber das ist es nicht. Ich habe gedacht, ich sterbe vor Sehnsucht nach dir. Wir waren seit vier Monaten zusammen, wir hatten uns in der Zeit so aneinander gewöhnt, dass es sich schrecklich anfühlte, dass ich dich nicht mehr bei mir hatte. Ich habe dir nie erzählt, dass ich im August versucht habe, das Auslandsjahr zu canceln. Ich hatte deswegen so einen krassen Streit mit meinem Vater, weil er meinte, ich könnte für eine Frau nicht so etwas aufgeben und so weiter. Meine Mutter stand auf meiner Seite, aber das nützte auch nichts. Ich war noch siebzehn, ich brauchte die Unterschriften von beiden, damit ich das absagen konnte. Du weißt, dass meine Eltern dich über alles geliebt haben, aber da sah mein Vater schwarz. Ich bekam es nicht hin. Als ich dann wirklich drüben war, ging es mir einfach nur scheiße. Da war dann ein Mädchen bei mir in der Klasse – sie war lesbisch, also hatte weder sie Interesse an mir noch ich an ihr – mit der ich mich gut verstand und offen reden konnte. Sie war eine ziemliche Draufgängerin und sie meinte, ich soll mich doch einfach ablenken. Ich sei jung, gutaussehend und hier Single, deswegen könne ich doch einfach tun und lassen, wonach mir war." Er verzog schmerzhaft das Gesicht. „Das war dann in der Woche, als ich das erste Mal kiffte. Ich vergaß den ganzen Schmerz und Kummer. Das war nach ungefähr vier Monate nach meiner Ankunft. Das war der Abend, an dem ich das erste Mal ein anderes Mädchen geküsst habe. Ich war durch die Drogen so ausgehebelt, dass ich dachte, dass ich dich küssen würde. Im Ernst, ich hatte die Halluzination, dass du bei mir warst. Als ich dann am nächsten Tag wieder sauber in der Birne war, haben sie mir die Fotos gezeigt. Und ich hab mich so geschämt, Sam, ich hab mich so sehr selber gehasst. Aber ich war im Football-Team und da feierte man jedes Wochenende harte Partys. Da durfte the german blondie, wie ich genannt wurde, nicht fehlen. Ich wollte da nicht hin, aber irgendwie hatte ich dann doch Blut geleckt. Ich brauche dir nichts vormachen, du kennst mich besser als jeder andere Mensch. Ich liebe feiern und in den USA ist das noch krasser als hier. Und so kam es dann, dass ich irgendwie weiterhin kiffte und..." Er stockte und fuhr sich wieder mit der flachen Hand über sein Gesicht. „Ich wollte das alles nicht, bitte glaub mir!"
Ich sah ihn nur an und sagte nichts.
„Sam..."
„Und wieso hast du dich dann nie gemeldet??" Die Frage brannte mir auf der Zunge wie Feuer.
„Ich weiß es nicht..."
„Aber ich weiß es." Ich sah ihn an und biss die Kiefer aufeinander. „Weil du ein Feigling bist. Ein armeseliger, allein gelassener Feigling. Du stehst nicht zu deinen Fehlern und dir würde auch nie in den Sinn kommen, dass du sie ausbügeln müsstest. Du dachtest: ach, warten wir doch einfach, bis wir wieder in München sind und dann wird Sam schon auf Knien angekrochen kommen, weil sie mich so sehr vermisst hat. – Du bist das Allerletzte, Nico. Du bist so erbärmlich."
A liebsten hätte ich ihm ins Gesicht gespuckt.
Er sah mich mit traurigem Blick an und ich wusste, dass er die Antwort auf meine Frage nicht wusste. Er konnte nicht einmal sagen, ob ich Recht hatte oder nicht. Er verstand sich selber nicht.
Und genau in diesem Moment kam mir eine riesige Erkenntnis: „Unsere Beziehung hätte eh nicht lange gehalten."
Ihm klappte die Kinnlade nach unten. „Was??"
„Es hätte niemals lange funktioniert. In einer Beziehung muss man sich entgegenkommen, man muss Kompromisse finden, man muss Hand in Hand leben. Alles, was du gemacht hast, ist, dass du mich herumgeschubst hast und einen Mist nach dem anderen gebaut hast und ich hab dir jede einzelne Scheiße verziehen. Tja, du kennst mich, irgendwann hätte ich die Notbremse gezogen, weil ich mich nämlich so nicht behandeln lasse. Manche nennen mich einen Sturkopf – von mir aus, wenn das ein Sturkopf ist, dann bin ich gerne einer!" Ich wäre am liebsten auf ihn zugegangen und hätte ihm das dritte Mal in dieser Nacht eine gescheuert.
Er sah mich immer noch so geknickt an und fragte leise: „Liebst du mich nicht mehr?"
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Heartbeat
Fanfiction~ ღ Das 1. Buch der Hearts-Trilogie. ღ ~ Ich hatte nie an Liebe auf den ersten Blick geglaubt. Wie will man sich in jemanden verlieben, den man noch nie gesehen hat? Das geht nicht, ist doch lächerlich. All das wurde jetzt üb...