#86 - Montag

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„Sam, wie lange willst du dich noch in deinem Elend suhlen, bis du wieder ins Leben zurückkommst?", ertönte Caros Stimme aus dem Lautsprecher meines Handys und ich hätte das Telefonat am liebsten sofort wieder unterbrochen.

Es war Montagspätnachmittag, und ich hatte mich in den letzten 24 Stunden nicht aus meinem Bett bewegt. Nachdem ich gestern Harrys Tweet gelesen hatte, hatte ich mir meine Jogginghose und einen dicken Pulli angezogen und mich dann ins Bett verkrochen.

Wo ich mich immer noch befand und mich weigerte, es zu verlassen.

Caro hatte schon mehrmals angerufen, aber ich hatte sie bisher ignoriert.

„Keine Ahnung", gab ich muffig zurück und schloss die Augen.

„Sam, komm schon, das darf nicht wieder so sein wie bei Nico damals."

„Bei Nico?!" Mit einem Schlag saß ich senkrecht im Bett. „Willst du mich verarschen?! Bei Nico?!?! Nico war ungefähr GAR nichts verglichen mit Harry!" Ich ließ mich wieder nach hinten plumpsen und jammerte: „Das damals war gar nichts im Gegensatz zu jetzt..."

Super, und wieder fingen die Tränen an, an meinen Schläfen hinunter in meine Haare zu kullern. Eigentlich müsste ich inzwischen mal leergeweint sein, aber irgendwie...war ich das nicht.

So ein Scheiß.

„Ich komm jetzt vorbei, okay?", fragte Caro und ich antwortete postwendend: „Nein, bitte, Ca... nimm's mir nicht übel, aber ich möchte jetzt alleine sein... ich will mit niemandem reden und mich auf vor niemandem rechtfertigen müssen..."

„Du musst dich vor mir nicht rechtfertigen", unterbrach mich Caro ein wenig entrüstet, aber ich entgegnete: „Doch, das muss ich. Ist dir das noch nicht aufgefallen? Ich muss mich ständig rechtfertigen, wieso ich irgendwas mache oder wieso ich mich in ihn verliebt habe. Ich kann doch auch nichts dagegen machen, Caro! Glaub mir, mir wäre es viel lieber, wenn ich mich in einen normalen  Jungen, der hier irgendwo in München wohnt, verliebt hätte – und nicht in so einen blöden, abgehobenen Weltstar."

Wütend schleuderte ich ein Kissen ans Fußende meines Bettes.

Toll, ich ließ meine Aggressionen aus, indem ich Kissen durch die Gegend warf. Sehr effektiv, Samantha, Wahnsinn.

Ich jaulte leise auf und meinte: „Ich leg jetzt auf, okay? Wenn was ist, dann schreib ich dir..."

„Okay, alles klar. Versuch bitte, auf andere Gedanken zu kommen, Süße, okay?"

„Hm jaa..."

„Bitte, Sam."

„Jahaaa! Ich geb mir Mühe!" Ich verdrehte die Augen über ihr Gluckenverhalten. Es war doch eh glasklar, dass ich nicht  auf andere Gedanken kommen würde.

Alles, woran ich denken konnte, war Harry.

Harry, wie er mich damals festgehalten hatte, nachdem er mich umgerannt hatte.

Harry, wie er gesagt hatte: Spürst du das auch?

Harry, der mich angestrahlt hatte, als er mich gesehen hat, wie ich in Moms Büro gefegt bin.

Harry, der mich beinahe geküsst hatte.

Harry.

VERDAMMT, SAM, HÖR AUF!

Ich schlug mir selber gegen den Hinterkopf und wischte mir grummelnd die Tränen von den Wangen, die natürlich trotzdem unaufhaltsam weiterliefen.

Stöhnend erhob ich mich aus meinem Bett und entschloss mich dazu, unter die warme Dusche zu gehen.

If nothing goes right, get into the shower.

Ha ha, Witz des Tages.

~~~

„Was willst du machen, wenn er wieder in München ist?", fragte Leo plötzlich aus heiterem Himmel und sah von seiner Pizza auf.

Wir saßen gerade zu zweit am Bartisch in der Küche und aßen (bis gerade eben) schweigend die selbstgemachte Pizza, die ich im Schneckentempo in der letzten Stunde angefertigt hatte. Hey, ich war stolz auf mich, ich hatte Caros Befehl „LenkDichAb!" damit ja wohl tadellos umgesetzt!

„Nichts", sagte ich schlicht und aß weiter, als wäre das kein großes oder besonderes Thema, das er gerade angeschnitten hatte.

„Komm schon, Sammy."

„Was?" Jetzt sah ich doch auf, weil ich nicht verstand, was er meinte.

„Du weißt genau, dass er es darauf anlegen wird, dich zu finden. Er wird in Moms Büro wieder anrufen – oder gleich hineinspazieren und dich suchen", sagte er schulterzuckend und steckte sich ein neues Stück in den Mund.

Fuck, daran hatte ich noch gar nicht gedacht.

Im Ernst, ich rechnete eigentlich nicht damit, dass wir uns nochmal begegnen würden. (Auch wenn Jana das ja gemeint hat.) Aber irgendwie...klangen Leos Worte in meinen Ohren doch bedrohlich und erschreckend wahr.

Verdammt, wieso war ich da noch nicht selber draufgekommen?!

„Der wird mich nicht suchen", erstickte ich sein Argument im Kern.

„Bullshit, klar wird er das", kam postwendend die Antwort.

„Nein, wird er nicht", zischte ich durch meine zusammengebissenen Zähne und knallte die Gabel auf den Tisch. „Er hat dieses verdammte Country-Blondchen geküsst, nicht mich! Also ist die Sache offiziell klar! Klarer geht es gar nicht, Leo!! Und ich werd den Teufel tun und ihm nachlaufen, so blöd bin ich wirklich nicht!"

„Woah woah woah, ganz ruhig, Sam", sagte er mit großen Augen und hielt die Hände hoch, „jetzt komm mal wieder runter, ich kann doch gar nichts dafür."

„Tschuldigung...", nuschelte ich und griff zaghaft nach meiner Gabel. Mir stiegen schon wieder die Tränen in die Augen und bevor ich mich versah, rollte die erste auch schon meine linke Wange hinunter. Ich schluckte schwer und blickte hinunter auf mein halb aufgegessenes Pizzastück.

„Du musst dich nicht entschuldigen", murmelte Leo, „ich hab das Thema angesprochen, was eigentlich keine gute Idee war... Also muss wenn dann ich mich entschuldigen."

Ich schwieg, da ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte.

„Versuch erst einmal, dass es dir besser geht, Schwesterchen, du hast ja noch ein paar Tage, bis er wiederkommt", sagte Leo und stand vom Tisch auf. „Ich muss jetzt los zum Training, bis später!"

Mit diesen Worten drückte er mir einen Kuss auf die Stirn und verschwand aus der Küche.

Ich erhob mich ebenfalls und machte mich mit finsterem Gesicht daran, die Küche aufzuräumen.

Anschließend kehrte ich dorthin zurück, wo ich hergekommen war: in mein Bett.

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt