#125 - P.

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Frustriert legte ich nach ein paar Minuten auf, die ich noch mit Jana über dies und das geredet hatte.

Ich ließ das Telefon auf den Couchtisch sinken und griff nach meinem Handy. Kurzerhand machte ich es aus.

Ich hatte keinen Bock auf irgendwen.

Ich wollte einfach mal alleine sein.

Ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass es inzwischen nach halb sechs war. Es wunderte mich ehrlich, dass ich überhaupt keinen Jetlag hatte. Eigentlich war es zu Hause in Deutschland jetzt kurz vor Mitternacht, aber ich war immer noch putzmunter, obwohl ich für meine Verhältnisse früh aufgestanden bin und einen anstrengenden, langen Flug hinter mir hatte.

Ich war und blieb einfach komisch. Fertig.

Ich steuerte auf die offene Küche zu, die nahtlos an das helle Wohnzimmer anschloss und beschloss, Papa ein Willkommensessen zu kochen.

...uuuhhh, er musste dringend wieder zum Einkaufen gehen, stellte ich fest, als ich den Kühlschrank öffnete.

Naja, für Spaghetti Bolognese (ohne Hackfleisch, sowas spuckte der Kühlschrank nicht aus) würde es gerade noch reichen.

Ich drückte auf den Knopf des Radios und drehte die Musik voll auf.

Ich schaltete komplett ab. Ich machte mein Hirn aus, legte meine Synapsen lahm und genoss einfach die Klänge in meinen Ohren und den Geruch in meiner Nase, der jetzt durch die ganze Wohnung strömte.

Ich summte alle Lieder mit (ja, ich bin so eins von diesen Wesen, das grundsätzlich JEDES Lied kannte, egal aus welchem Jahrzehnt) und deckte den Tisch, während die Nudeln in ihrem Topf und die Soße in ihrer Pfanne köchelte.

Währenddessen tanzte ich ein wenig durch die Wohnung und sprühte gerade vor Ideen für eine neue Choreo.

Ich goss gerade die Nudeln ab, als ich hörte, wie sich der Schlüssel an der Wohnungstür im Schloss drehte.

Mein Herz fing an, schneller zu klopfen und ein nervöses Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. Ich hatte Papa schon so lange nicht mehr gesehen! Und ich war wirklich gespannt auf seine Reaktion, mich hier vorzufinden.

Ich blieb in der Küche stehen und wartete, dass er seine Schuhe und Jacke ausgezogen hatte und in die Küche kam.

Und da war er.

Er kam um die Ecke, schwer beladen mit einer riesigen Einkaufstüte (aha, der leere Kühlschrank bekam jetzt wieder Inhalt) – und blieb wie angewurzelt mit weit aufgerissenen Augen stehen (Sams Papa ist rechts zu sehen!).

Ihm rutschte die Tüte aus der Hand und sie landete mit einem lauten Scheppern auf dem Boden.

„Hi Papa", sagte ich atemlos und schlitterte über das Parkett, um ihm in die Arme zu springen. Ich schloss meine Arme um seinen Hals und spürte, wie meine Füße vom Boden abhoben.

„Sam", murmelte Papa ungläubig und umschloss mich automatisch mit seinen Armen.

Urplötzlich stiegen mir die Tränen in die Augen und liefen über meine Wangen. Ich schluchzte leise vor mich hin, während ich geborgen in seiner Umarmung in der Luft hing. Von mir aus hätte die Welt jetzt stehen bleiben können.

Er strich mir sanft über den Rücken und setzte mich wieder vorsichtig auf meinen Füßen ab. Ich löste die Arme von seinem Hals und stand ihm jetzt gegenüber. Meinem Papa. Ich hatte ihn so vermisst.

Ich strahlte ihn an.

„Was machst du denn hier?", bekam er heraus und sah mich immer noch total erstaunt aus seinen dunkelbraunen Augen an.

„Ähm...", sagte ich und verzog das Gesicht.

Papa kannte mich viel zu gut. Er wusste, dass ich ihm erzählen würde, was los war, aber dass ich ein wenig Zeit und Anlauf brauchen würde. Deswegen ließ er das Thema fallen und bückte sich, um die Einkaufstüte aufzuheben.

„Hoffentlich ist nichts kaputt gegangen", meinte ich besorgt, als ich ihm half, die ganzen Sachen wieder zusammenzusammeln.

„Nee, wird schon alles okay sein", antwortete er und ging mir voraus zum Kühlschrank.

Ein fettes, glückliches Grinsen war jetzt auf mein Gesicht gepflastert und es fühlte sich an, als wären alle meine Sorgen davon gespült. (Was natürlich nicht der Fall war, aber jetzt wollte ich nicht daran denken.)

„Ohhh, du hast gekocht!", rief Papa verzückt, als er den gedeckten Tisch sah.

„Na klar, für dich doch immer!"

~~~

„Es hat wirklich hervorragend geschmeckt, Fräulein Ferroni. Sie sollten eine Kochkarriere anstreben", sagte Papa näselnd in einem übertriebenen Hochdeutsch, als er sich kokett den Mund an seiner Serviette abwischte.

Ich brach lauthals in Lachen aus und hätte mich beinahe an der letzten Nudel verschluckt, die sich noch in meinem Mund befand.

Ich grinste ihn über den Tisch hinweg an und konnte es nicht glauben.

Ich saß wirklich hier bei ihm.

Ich war wirklich nach New York zu Papa geflogen.

Himmel, ich hatte ihn so sehr vermisst, es war unbeschreiblich.

„Ich hab dich so vermisst", sagte ich leise und lächelte ihn dabei mit tränenfeuchten Augen an.

„Du weißt gar nicht, wie ich euch alle drei vermisse...", murmelte Papa als Antwort und seufzte. Sein Blick wurde ein wenig besorgt und trüb, als er das sagte.

„Manchmal denke ich, es war das Schlechteste, dass ich die Beförderung angenommen habe. Ich hätte damals kündigen und einen neuen Job suchen sollen, anstatt hierher zu ziehen."

„Der Zug ist schon abgefahren", versuchte ich, die Stimmung ein wenig aufzuhellen.

Klar, es war wahnsinnig schwierig gewesen für uns alle vier. Ich hatte es Papa damals wirklich übel genommen. Ich hatte es persönlich genommen und hatte getobt wie eine Verrückte, weil er uns alleine zurückließ. Aber man konnte sagen, was man wollte, wenn einem so eine Chance geboten wird, muss man sie annehmen. Man muss immer Opfer im Leben bringen, auch wenn das jetzt wirklich makaber klingt.

„Also...", fing ich an und rang nach Worten. Wie sollte ich das alles erzählen...? Er wusste den ersten Teil ja schon, den hatte ich ihm damals erzählt, als ich mit ihm das letzte Mal telefoniert hatte.

Aber wie sollte ich jetzt weitermachen..?

Kurzerhand stand ich auf und griff nach der Zeitung, die ich vorhin schon runtergeschmissen hatte, wobei mir die Seite mit dem Artikel über ihn und mich hinuntergesegelt war.

Ich hielt sie meinem erstaunten Papa hin und er runzelte die Stirn, als er den Artikel sah.

„Erzähl", war alles, was er ruhig sagte.

~~~

Nach einer gefühlten Ewigkeit und ein paar Tränen, die mir still und leise die Wangen hinunter gerollt waren, war Papa auf dem neuesten Stand der Dinge.

Er sah mich einfach nur an und sagte nichts.

Ich nahm es ihm nicht übel, ich wusste ja schließlich auch nicht, was ich noch sagen sollte.

Wir saßen inzwischen auf der Couch im Wohnzimmer. Der Blick aus der Fensterfront war atemberaubend. Ich kannte diese Aussicht natürlich schon, aber sie überwältigte mich jedes Mal aufs Neue. Man konnte das Leben in dieser einzigartigen Stadt pulsieren spüren.

Papa zog mich wortlos zu sich herüber und ich schmiegte mich in seine Arme.

Nach einer Weile sagte er leise: „Bleib einfach eine Weile hier, Schatz. Dein Studium beginnt ja erst in zwei Wochen. Bleib hier und werd dir klar, was du willst. Keiner drängt dich zu irgendetwas. Okay?"

„Danke, Papa", flüsterte ich durch meine Tränen. „Ich hab dich lieb."

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt