Kapitel 3

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Drittes Kapitel

"Und, wie war es, als du gemerkt hast, dass du schwanger warst? Hat es lange gedauert, bis du dich für das Kind entschieden hast?" Sie saßen gemeinsam auf einer Bank am Spielplatz. Myrla spielte im Sand mit ihren Förmchen.
Regina wandte sich Nelly zu. "Es wäre eine Lüge, wenn ich sage, dass alles einfach und klar war. Selbstverständlich gab es Momente, in denen ich in mein altes Leben zurückkehren wollte, nichts lieber als dieses lästige Ding in meinem Bauch loswerden wollte. Aber wenn ich sie jetzt sehe, meinen kleinen Schatz, dann weiß ich, dass ich alles richtig gemacht habe. Es war eine harte Zeit, und auch heute gibt es Tage, an denen ich mein Handeln hinterfrage, oder Myrla mich mit ihrem Trotz zum Verzweifeln bringt. Aber ich liebe sie nunmal. Beantwortet das deine Frage?", wollte Regina wissen.
Nelly nickte, aber es gab noch mehr, was sie erfahren wollte. "Und", Nelly stockte. "Was ist mit ihrem Vater? Wirst du es ihm irgendwann sagen? Es ist doch genauso sein Kind." Regina schob das Kinn vor. "Er hat mich quasi vergewaltigt." - "Ja.", unterbrach Nelly sie. "Das verstehe ich wohl. Aber Myrla hat doch ein Recht, zu wissen, wer ihr Vater ist." Nelly hoffte inständig, den Namen richtig ausgesprochen zu haben. "Ja. Ich will es ihm auch sagen, aber ich kann es einfach nicht. Ich verschiebe jede Gelegenheit." - "Du könntest Niklas - wie war doch gleich sein Nachname?" - "Borkmann." Innerlich klopfte sich Nelly auf die Schulter. Sie wusste noch nicht, was sie mit diesen Informationen anfangen sollte, aber wenigstens kannte sie jetzt den vollständigen Namen. "Du könntest ihn also tatsächlich ausfindig machen?" - "Ja. Er wohnt sogar in der Stadt. Nur am anderen Ende." Nelly jubilierte im Stillen. Es wurde ja immer besser.
Mit diesen Informationen dürfte es kein Problem mehr sein, Myrlas Vater zu finden, so sie das wollen würde. In ihr reifte ein Plan heran. Sie würde zwar nochmal mit Paula darüber reden, aber eigentlich stand ihr Beschluss fest: sie wollte Niklas und Regina wieder zusammenführen. Denn, wenn sie eines aus ihrem Leben gelernt hatte, dann das:
morgen konnte schon zu spät sein.

"Nein. Das kannst du nicht tun!" Resolut verschränkte Paula die Hände vor der Brust. "Das ist nicht deine Sache! Wenn das Mädel den Vater ihres Kindes nicht aufklärt, dann geht das nur sie etwas an." Nelly hatte Paula selten derart aufgebracht erlebt. Gerade Paula, so hatte Nelly gedacht, würde schon verstehen, warum Nelly das aufklären wollte. Aber Paula verstand es ganz und gar nicht. "Was soll denn gut daran sein, wenn du im Leben anderer herumpfuschst.", fauchte Paula weiter. Nelly traten Tränen in den Augen. Sie hatte es nicht verdient, jetzt so runtergeputzt zu werden. Sie hatte es nur gemeint. Sie wollte Regina doch nur helfen. Stattdessen wurde sie nun von Paula angeschrien. Für etwas, was sie gar nicht getan hatte. "Oh, lass mich in Ruhe!", brüllte Nelly und rauschte aus Paulas Zimmer. Verdattert blickte Paula ihr nach. Nelly hatte, solange Paula sie kannte, noch nie geschrien.
Hilflos ließ Paula sich auf ihrem Schreibtischstuhl sinken. Nelly hat ja so recht. Ich wäre verdammt froh gewesen, wenn jemand die Initiative ergriffen und meinen Vater darüber informiert hätte, dass er Vater ist, dachte sie sich. Denn Paula kannte die Geschichte. Ihre Eltern hatten auch in sehr jungen Jahren Sex gehabt, eigentlich hatten sie sich kaum gekannt und aus dieser - nicht ganz so tiefen - Liebe war sie, Paula, entstanden.
Im Grunde war Paulas Mutter eine ältere Regina. Sie hatte nie den Mut gefunden, Paulas Vater zu sagen, dass er ein Kind hatte. Als Paula schließlich den Namen ihres Vaters erfuhr, hatte sie sich sofort auf die Suche nach ihm gemacht. Aber bevor sie mit ihm sprechen oder ihn treffen konnte, starb er bei einem Verkehrsunfall.

"Ich habe ihn nie kennengelernt." Paula ließ ihre Hände sprechen. Nelly klopfte neben sich auf die Bettdecke. Schnell hüpfschwebte Paula zu ihr und setzte sich neben sie. "Meinen Vater. Es geht mir wie es Reginas Kind irgendwann gehen wird." - "Das tut mir leid. Ich wusste nicht, dass ich alte Wunden aufreiße." - "Nein. Mir tut es leid. Ich habe überreagiert, weil ich an meine Situation gedacht habe. Und irgendwie wollte ich nicht, dass du dich da einmischst, weil ich auch niemanden gehabt habe, der es meinem Vater gesagt hat. Ich war gerade eben eifersüchtig, wollte nicht, dass es jemandem besser geht. Du musst Regina auf jeden Fall fragen, ob es für sie in Ordnung wäre, wenn der Vater auftauchen würde." - "Was ist mit deinem Vater?", fragte Nelly vorsichtig. Paula begann zu weinen. "Tot.", sagten ihre Hände. "Oh, Paula, das tut mir so leid." Nelly zog Paula in ihre Arme. Diese vergrub ihren Kopf in Nellys Halsbeuge.
Und zum ersten Mal erlaubte es Paula, getröstet zu werden. Zum ersten Mal schluckte sie ihre aufgestaute Trauer nicht wie üblich herunter, sondern ließ sich von ihr überrollen, ließ zu, immer und immer wieder von Schluchzern durchgeschüttelt zu werden.
Sie weinte, weil sie ihren Vater nie hatte kennenlernen dürfen.
Sie weinte, weil ihr Vater nicht einmal gewusst hat, dass er ein Kind in die Welt gesetzt hatte.
Sie weinte, weil ihre Mutter so stur gewesen war.
Sie weinte um ihren Verlust.
Und Nelly tröstete Paula.

MeShgWo Geschichten leben. Entdecke jetzt