7. Kapitel

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Ich riss den Albinowolf zu Boden, er wand sich unter mir weg und wich dann nach hinten zurück. Während Atzek hinter mir in Deckung ging, hielt ich den Feind mittels knurren auf Abstand. Ich konnte nicht erkennen, ob es sich bei ihm um einen echten Wolf oder einen Gestaltenwandler handelte und zögerte ihn an zu greifen, solange er uns nicht erneut attackierte.

Doch plötzlich veränderten sich die roten Augen des Albinowolfes und wurden zu bernsteinfarbenden. Die Augen kannte ich doch. Im nächsten Moment verwandelte sich der Wolf auch schon und eine all zu vertraute Gestalt stand vor mir. Ich verwandelte mich ebenfalls und machte einen Schritt rückwärts.

"Szaran, was machst du hier? Wie hast du mich gefunden?"

Die Bernsteinfarbenden Augen sahen mich wütend an. Ja, wir waren Freunde, aber wenn Szaran sauer auf mich war, dann hatte ich trotzdem jedes Mal Angst vor ihm.

"Was hast du dir dabei gedacht, einfach ab zu hauen, Hill?!", rief Szaran aufgebracht. "Dir hätte sonst etwas passieren können, solange die...", erbrach ab und biss sich hastg auf die Lippe.

"Ich weiß, was los ist.", sagte ich, "Die Menschen sind in unseren Wald eingedrungen."

"Du wusstest es und trotzdem bist du weggelaufen?"

"Nein! Ich habe es erst dann gesehen." Ich erzählte hastig, was passiert war und war überrascht, dass Szaran mir bis zum Ende zuhörte und mich nicht unterbrach, so angespannt, wie er war. Als ich fertig war, kommentierte er das Geschehene nicht, er sagte lediglich, "Wir müssen jetzt los."

"Nein.", rutschte es mir heraus. In diesem Moment hätte ich ihn am liebsten angeschriehen. Warum war er auf einmal so abweisend zu mir? Ja, ich hatte das Dorf verlassen trotz Ausgangssperre, aber ich war mir meiner Tat ja auch bewusst und würde vom Rat noch genug Ärger bekommen, also warum musste er jetzt Erzieher spielen?

Szaran atmete tief durch. "Hill, wir müssen solange due Soldaten noch im Wald sind im Dorf bleiben, sonst passiert wirklich noch etwas, also stell dich nicht an, wie ein Kleinkind."

"Ich stelle mich an?", schrie ich wütend, "Wir können uns doch nicht im Dorf verstecken, wenn die Menschen sich bei uns wie selbstverständlich breit machen. Wir müssen uns doch wehren! Die müssen doch sehen, dass wir das nicht einfach hinnehmen!"

"Nein.", Szarans Stimme war schneidend, "Der Frieden zwischen unserem Volk und den Menschen ist Jahrhunderte alt und wir sind froh, dass wir ihn haben. Wir werden nicht diejenigen sein, die ihn brechen."

"Mach doch die Augen auf!", rief ich aufgebracht, "Sie haben den Frieden doch längst gebrochen. Sie haben mitten im Wald ihr Lager aufgeschlagen ohne Vorankündigungen oder Erlaubnis. Sie haben unnötig Bäume gefällt und hätte ich nicht eingegriffen, hätten sie Atztek entführt! Denen geht unser Frieden doch am Arsch vorbei. Wir müssen etwas tun!"

Szaran seufzte kopfschüttelnd. "Mir war klar, dass du das nicht verstehen würdest. Bitte komm einfach mit zurück. Meinetwegen kannst du auch dem Rat deine Argumente vortragen, aber jetzt und hier haben wir keine Zeit dafür."

Ich ballte die Hände zu Fäusten. Das hier brachte nichts und den Rat würde, das, was ich zu sagen hatte, nicht interressieren. Sie würden sich als allererstes darauf stürzen, dass ich das Dorf und unseren Bezirk verlassen hatte. Warum hatte ich auch das Volk abbekommen, das von allen am passivsten war?

"Na gut.", knurrte ich. Szaran atmete erleichtert auf. was hatte er denn gedacht? Dass er mich erst noch bewusstlos schlagen musste?

"Tschüss", verabschiedete ich mich knapp von Atztek. Er nickte nur. Dann verwandelten Szaran und ich uns und flogen los.

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Szaran brachte mich, zurück im Dorf, ersteinmal nach Hause, wo Mutter und Rose schon auf mich warteten, ebenso, wie drei weitere Ratsmitglieder und allen musste ich meine Geschichte erzählen. Die Reaktionen darauf fielen aus, wie ich sie mir schon gedacht hatte. Vorwurfsvoll. Von Niemandem kam ein Lob oder wenigstens eine kleine Anerkennung. Obwohl ich das nicht erwartet hatte, war ich enttäuscht.

Als die Ratsmitglieder sich verabschiedeten (nicht ohne zu betonen, dass ich am nächsten Tag ins Ratsgebäude zum Gericht kommen musste) und auch Szaran dann gegangen war, nahm mich meine Mutter in den Arm.

"Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist, kleines.", sagte sie, hielt mich ganz fest und prompt traf mich das schlechte Gewissen. Im Wald hatte ich das nicht gehabt. Ich war so aufgewühlt und egoistisch gewesen, dass ich nicht eine Sekunde wirlich darüber nachgedacht hatte, wie sehr sich Mutter um mich sorgen würde.

"Tut mir Leid.", flüsterte ich, "Ich maches es nicht wieder." Ich war mir noch nicht sicher, wie ich die Zeit der Ausgangssperre überstehen würde, aber allein für Mutter würde ich nicht noch einmal einfach so weglaufen solange sie galt. Mutter drückte mich nocheinmal ganz fest, dann lies sie mich los.

"Das du dem Seher geholfen hast, war mutig von dir. Egal, was die anderen sagen. Bei dieser Sache bin ich stolz auf dich." In mir ging eine kleine Sonne auf, als sie das sagte und auch Rose' Augengerolle im Hintergrund konnte meine Laune nicht wieder trüben.

RabenmutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt