Auch den Anfang des nächsten Tages verbrachten wir an der selben Stelle, obwohl Ranah sichtlich unruhig wurde.
Ich konnte ihn verstehen. Ich wollte auch so schnell wie möglich aufbrechen. Nicht nur, um wieder zu Hause zu sein, sondern auch um der Gefahr zu entgehen, von Soldaten entdeckt und wieder gefangengenommen zu werden. Aber Szaran ging es kaum besser und so wären wir ohnehin nicht weit gekommen.
Immerhin wachte er gegen Mittag kurz auf und ich konnte ihm erklären, was in der Zwischenzeit geschehen war. Nachdem er wieder weggenickt war, war ich aufgebrochen, um zu Jagen. Wir brauchten etwas zu Essen und glücklicherweise liefen mir auch bald zwei Hasen über den Weg. Weitere Lebewesen (zum Beispiel Soldaten, die nach uns suchten) traf ich nicht.
Sobald ich wieder zurück war, gingen Lorenz und Brida los, um nach einer nahegelegenen Wasserquelle zu suchen. Als sie zurückkehrten, erzählten sie, dass sie zwar einen Bach gefunden hatten. Der lag allerdings zu weit weg, um immer wieder hin zu laufen, wenn wir Wasser brauchten und die Gefahr, sich auf den Hin- oder Rückweg zu verlaufen, war auch zu groß, also zogen wir nach kurzer Disskusion um, an den Rand des Baches.
Jetzt endlich konnte ich Szarans Wunde säubern und sie mir näher ansehen. Ohne das ganze Blut, sah sie tatsächlich nicht mehr so lebensbedrohlich aus. Ich fragte Ranah, ob ich irgendwelche Heilpflanzen oder ähnliches suchen sollte, aber er meinte, das wäre nicht nötig. Die Wunde würde auch von selbst gut heilen. Das einzige, worauf ich achten sollte, war nach wie vor, dass kein Dreck da ran oder rein kam.
So verbrachten wir den nächsten Tag und am Morgen darauf, brachen wir schließlich auf Richtung Hope Lands. Richtung Zuhause.
Ranah hatte zwar Bedenken wegen Szarans Wunde, dass es zu viel sein könnte, wenn wir zu weit liefen, aber Szaran wischte seine Bedenken beiseite und meinte, er wäre ja nicht am Bein verletzt.
Als wir am nächsten Abend wieder unser Lager aufschlugen, waren wir bereits ein gutes Stückchen voran gekommen und hatten guten Abstand zwischen uns und die Hauptstadt gebracht. Trotzdem fanden wir einstimmig, dass es besser wäre, Wachen für die Nacht zu bestimmen und ich meldete mich wieder für die ersten Stunden.
Nachdem alle außer mir und Szaran eingeschlafen waren, saßen wir schweigend nebeneinander mit den Rücken an einen großen Baum gelehnt. Wir hatten wieder ein Feuer entfacht und so starrten wir beide in die Flammen.
Irgendwann legte ich meinen Kopf auf Szarans Schulter und er legte nach ein paar Sekunden wiederum seinen Kopf auf meinen.
"Ich dachte wirklich, du stirbst.", sagte ich leise.
"So schnell wirst du mich nicht los." Ich hörte das Grinsen in seiner Stimme und kuschelte mich enger an ihn. Er legte seinen Arm (mit der unverletzten Schulter) um mich.
So saßen wir beide weitere Minuten da und ich fühlte mich vollkommen glücklich und geborgen. Szarans ruhiger Atmen neben mir, beruhigte mich und ließ mich alles andere vergessen. Das schlimmste lag hinter uns.
Amelina war tot. Wir würden zurück nach Hause gehen und ... "Ich weiß jetzt, was wir zu Hause erzählen.", sagte ich und plötzlich war es so einfach.
"Und was?", fragte Szaran.
"Wir erzählen normal, was vorgefallen ist."
Er hob seinen Kopf von meinem. "Wie bitte? Du warst doch die erste, die das nicht wollte."
"Ja, aber es gibt gar keine andere Möglichkeit.", sagte ich, "Wir berichten alles was passiert ist und auch, dass es nur von Amelina ausging, Dann sagen wir, dass Amelina tot ist und uns somit keine Gefahr mehr droht. Problem gelöst."
"Bist du dir da so sicher?", fragte Szaran, "Was, wenn ein paar trotzdem alle Menschen dafür verantwortlich machen und Rache wollen?"
"Solange es nur ein paar sind, können die das ja gerne machen."
Szaran schwieg. er schien nicht überzeugt, also fuhr ich fort: "Wenn wir über das, was passiert ist, lügen, unterläuft uns in diesem Lügennetz vielleicht ein Fehler und wir fliegen auf. Sollte das Dorf dann erfahren, was tatsächlich passiert ist, werden sie sicher erstrecht Krieg wollen. Wenn wir aber gleich alles richtig stellen, dann können wir das vielleicht unterbinden. Wir sagen, was passiert ist, aber wir sagen, dass es nur Amelinas Verdienst war, was ja auch stimmt. ... Vielleicht können wir noch dazu dichten, dass der König sich bei uns entschuldigt hat und um Verzeihung bittet."
"Verdammt, das könnte wirklich funktionieren.", meinte Szaran und ich nickte begeistert, wozu ich aber leider den Kopf von seiner Schulter nehmen musste.
"Immerhin eine Sache weniger, um die wir uns sorgen müssen.", meinte Szaran.
"Worum müssen wir uns denn noch sorgen?", fragte ich und es war als würde die gesamte Last der letzten Tage einfach verschwinden. Ich drehte den Kopf, sah Szaran an und grinste.
Er sah mich ebenfalls an und nach ein paar Sekunden grinste er ebenfalls und zog mich an sich. "Da wäre nur die klitzekleine, unbedeutende Sache mit deiner Schwester.", nuschelte er in mein Haar.
Meiner Zuversicht tat das keinen Abbruch. "Rose schafft das.", sagte ich , "Das weiß ich einfach."
"Und dann wäre da noch etwas.", plötzlich klang er wieder ernst und ich nahm den Kopf von seiner Brust und versuchte im halbdunkeln seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Irgendwas zwischen Pokerface, Angst und ... Verlegenheit?
"Was wäre denn da noch?", fragte ich.
Szaran holte tief Luft. "Weißt du, ... wir beide sind schon seit ... seit so lange Freunde und ... Ich weiß nicht. Vielleicht musste ich erst todesangst um dich haben, um zu kapieren, dass ..., dass es vielleicht mehr als ... das ist."
"Wovon ... wovon redest du?", stammelte ich.
"Naja, davon, dass ...., dass ...", druckste er herum. Seine Augen schienen die Bäume über uns abzusuchen, als ständen da die Worte, nach denen er suchte. Dann aus heiterem Himmel sah er mich wieder an, beugte sich vor und küsste mich.
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Rabenmut
FantasyHill ist vierzehn Jahre alt und lebt mit ihrer Mutter und ihrer Schwester in einem Gestaltenwandlerdorf im unendlichen Wald. Dort liegt das Reich der magischen Völker. Gestaltenwandler, Trolle, Seher und Feen (sowie viele andere mystische Wesen), ab...