8. Kapitel

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Meine gute Laune verflog leider schon am nächsten Morgen, denn während alle anderen in die Schule gingen oder aufs Feld oder sonst irgendeiner Tätigkeit innerhalb des Dorfes
nachgingen, betrat ich den einzigen Gerichtssaal, den unser Dorf besaß.

Natürlich ließen die Richter ihre volle Macht und Überlegenheit raushängen und ich musste auf sie warten. Diese Methode diente nur dazu, den angeklagten noch verrückter vor Angst zu machen und ich muss leider zugeben, dass es sehr gut funktionierte. Die quälende Ungewissheit in mir wuchs mit jeder Sekunde, die ich warten musste.

Die höchste Strafe, die wir Gestaltenwandler hatten, war die Verbannung und das bedeutete, dass ich nicht nur den endlosen Wald verlassen musste, sondern auch das im Westen liegende Eis-Gebirge und nie mehr zurückkehren dürfte, aber diese Strafe wurde in unserem Dorf noch nie verhangen, denn keiner hatte bis jetzt etwas so schlimmes getan, dass er gehen musste. Andererseits hatten wir bis jetzt auch nie eine Ausgangssperre gehabt und folglich hatte auch keiner dagegen verstoßen können.


Eine weitere Strafe wäre für eine begrenzte Zeit ins Exil zu gehen und das hieß in eine dunkle Kammer eingesperrt zu werden. Die Maximalzeit betrug fünf Jahre, das Minimum eine Woche, aber auch für diese Strafe hatte ich doch zu wenig schlechtes getan, oder?

Ich hoffte inständig, dass ich die mildeste Strafe bekommen würde. Das wären Strafstunden auf den Feldern oder Kinderbetreung oder ähnliches. Was musste man nocheinmal machen, damit man diese Strafe bekam? Verdammt, ich wusste es ncht mehr.

Ich bemerkte, wie meine Hände zitterten und presste sie auf meine Oberschenkel. Ich musste ruhig bleiben. es würde schon alles gut werden. ... Hoffentlich... .

Die Tür ging auf und ich erhob mich hastig, als die sieben Richter den Saal betraten. Alles wird gut. Alles wird gut, alles wird gut, alleswirdgut!

Ich wiederholte diesen Satz für mich immer wieder, aber mein Herz raste trotzdem in meiner Brust und als die Richter ihre Plätze eingenommen hatten und der heutige oberste Richter meinen Namen sagte, zuckte ich zusammen.

"Hill Raven?"

"Ja?", meine Stimme war furchtbar leise. Ich räuperte mich und sagte nocheinmal, "Ja."

"Setz dich."

Ich tat es und war froh darüber, obwohl meine Beine auch auf dem Stuhl weiter zitterten.

Ich hatte nie wirklich Glück in irgendwechen Dingen und das bewies dieses Verfahren mal wieder eindrucksvoll, denn ausgerechnet heute war der oberste Richter (, der wöchentlich durch das Los bestimmt wurde) Novan. Ein Ratsmitglied, mit dem ich mich nicht gerade wirklich gut verstand, da wir oft nicht einer Meinung waren und er war auch gestern bei meiner Rückkehr dabei gewesen und hatte mich natürlich am meisten zur Schnecke gemacht. Ich machte mir keine großen Hoffnungen mehr für diese Anhörung.

"Die Vorwürfe gegen dich sind folgende: Du Hast trotz Ausgangssperre das Dorf verlassen und nicht nur das, du hast diesen Bezirk verlassen. Anschließend hast du dich in Dinge eingemischt, die dich absolut nichts angingen und du hast dich unnötigerweise in Lebensgefahr gebracht. Du hast dein Leben für einen Seher aufs Spiel gesetzt!" Bei jedem anderen hätte das wie ein Lob geklungen, aber nicht bei Novan. "Bekennst du dich dazu?"

Ich nickte. "Ja, das tue ich." Was auch sonst? Bestreiten machte keinen Sinn.

"Du hast nun die Möglichkeit, etwas zu deiner Verteidigung zu sagen."

Ich atmete tief durch. "Zu meiner Verteidigung habe ich folgendes zu sagen:...", setzte ich an, dann stockte ich, denn der Kloß in meinem Hals machte es unmöglich zu sprechen. Ich atmete tief durch. Beruhig dich!

Dann setzte ich neu an: "Mir ist bewusst, dass ich das Dorf niemals hätte verlassen dürfen und ich entschuldige mich für diese Tat. Mitlerweile bereue ich mein überstürztes Handeln auch."  Das stimmte nicht. Ich bereute gar nichts, aber wenn ich einen Rückzieher machte, dann würden sie eher milder urteilen und das erste zurück zu nehmen war einfach, aber nicht alles konnte ich mit meinem Gewissen vereinbaren und deshalb gab ich Widerworte, als ich fortfuhr: " Allerdings bereue ich es nicht, Atztek geholfen zu haben. Auch, wenn er nicht zu meinem Bezirk gehört, würde ich es mir nie verzeihen, wenn ich in diesem Moment nicht reagiert hätte. Wir sind schließlich alle ein Volk und in solchen Zeiten müssen wir zusammenhalten."

Ich hatte das Gefühl, dass ich zu weit gegangen war, aber was ich gesagt hatte, war gesagt. Novan musterte mich mit ausdrucksloser Miene, aber ein anderer Richter nickte nachdenklich. Das gab mir wieder etwas Mut.

"Möchtest du noch etwas sagen?", fragte Novan.

Ich schüttelte den Kopf. "Nein. Ich habe alles gesagt, was ich sagen wollte."

"Dann werden die Richter sich jetzt zum endgültigen Urteil zurück ziehen."

Er erhob sich und verschwand mit den anderen sechs Richtern durch die gleiche Tür, durch die sie auch herein gekommen waren.

Ich atmete einen Teil meiner Anspannung aus und fiel auf dem Stuhl in mich zusammen. Vielleicht war der Schluss doch nicht so vorteilhaft für mich gewesen. Wenn die Richter eins nicht mochten, dann waren es Widerworte eines angeklagten vierzehnjährigen Mädchens, oder gar Belehrungen, aber was geschehen war, war geschehen und ich musste mich jetzt damit abfinden, ob ich wollte oder nicht. Meine Mutter sagte immer, man sollte aus jeder Situation das beste machen, egal, wie hoffnungslos sie scheint und ich hatte mir einmal fest vorgenommen, diesen Spruch zu meinem Lebensmotto zu machen. Also: Augen zu und durch.

Die Richter brauchten überraschenderweise nicht sehr lange, bis sie wieder auftauchten, aber ich konnte nicht sagen, ob das nun ein gutes der ein schlechtes Zeichen war.

Als alle wieder saßen, ergriff zuerst Novan das Wort.

"Was du getan hast, war ausgesprochen dumm, risikoreich und unvorsichtig. Du hast dich unnötig in große Gefahr gebracht."

"Gleichzeitig...", fuhr ein anderer Richter dazwischen, "... dürfen wir nicht vergessen, dass wir magschen Völker in den Hopelanden ein Ganzes sind. So gesehen hast du keinem Seher das leben gerettet, sondern einem Freund. Zweifelsfrei war es unverantwortlich und falsch von dir, allein und verbotenerweise in den Wald zu gehen und so lange dort zu bleiben, aber dass du dem seher vermutlich das Leben gerettet hast, spricht sehr für dich."

Langsam beruhigte ich mich. Das klang doch gar nicht so schlecht, aber dann sprach Novan wieder und sein Ton war vel härter, als der des anderen Richters.

"Wir wollen dich keinesfalls loben, Hill, denn im Vordergrund steht immernoch, dass du unser Verbot missachtest hast, aber da der Rat abgestimmt hat..." Er machte eine Pause und ich klammerte mich gespannt an den Stuhl.

Was? Was verdammt hatten sie entschieden?!

Endlich fuhr Novan fort.

"Das Urteil lautet mit knapper Mehrheit Freispruch. Du bekommst keine Strafe. Sollte sich das jedoch wiederholen, dann wird es harte Konsequenzen geben. Du darfst gehen."

Sein Gesicht war eine einzige starre Maske, als er aufstand und an der Spitze der anderen Richter den Saal verließ.

Selbst als alle weg waren, saß ich immernoch, wie versteinert auf dem Stuhl und wusste nicht, ob ich wach war oder träumte.

Freispruch. Das war.... Das war einfach nur gigantsch und außerhalb jeder Möglichkeit, die ich durchgegangen war. Ich hatte keine Bestrafung bekommen! keine Konsequenzen. Ich konnte es nicht fassen. Anscheinend hatte mein Glück doch beschlossen, sich mal zu melden.


Hätte ich doch nur dort schon gewusst, was noch passieren sollte..., denn dann hätte ich sicher nicht halb tanzend den Saal verlassen und ich hätte auch nicht vor lauter Freude Mutter und sogar Rose umarmt.

RabenmutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt