Kapitel 5

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Myotis wachte dadurch auf, dass sie Rauch roch. Sie hielt ihre Augen geschlossen und murmelte leise etwas vor sich hin. "Es war alles nur ein Traum, alles nur ein Traum." Oh ja, wie gerne würde sie das nur glauben. Sie würde aufstehen und zusammen mit Noctis hinunter gehen. Ihre kleinen Geschwister würden aufgeregt quicken, weil die beiden endlich die Stadt verlassen würden. Ihre Mutter würde sie in ihre Flügel schließen und..." Myotis spürte einen brennenden Schmerz in ihrem rechten Flügel. Sofort öffnete sie die Augen. Sie lag immer noch an der kalten Gesteinswand. Es war kein Traum gewesen. Sie verspürte den Drang los zu schluchzen, doch sie unterdrückte ihn. Plötzlich viel ihr etwas auf. Alles brannte. In dem Feuer konnte sie die Leiche ihres Bruders erkennen. Sie war vollkommen verkohlt und die Augen waren aus ihrer Höhle gebrannt, die Flügel nur noch ein paar Fetzen. Und dann blickte Myotis auf ihren eigenen Flügel. Seine Spitze stand in Flammen! Ihr entfuhr ein leiser Aufschrei und sie schoss beinahe senkrecht in die Höhe. Ihr Herz klopfte laut und ihr Atem ging schnell. Verzweifelt schüttelte sie den Flügel und schlug ihn so lange gegen eine Felswand, bis er endlich aufhörte zu brennen. Hoffentlich hat das kein Pugnator gesehen, oder sind die schon lange weg? Nun kam Myotis dazu sich umzublicken, doch nirgendwo konnte sie eine rote Schuppe entdecken. Ihre Stadt und ihr einziges Zuhause stand still und steif da wie ein Stalagmit. Flammen züngelten hoch in den Himmel auf und überall lagen tote Kadaver von Drachenkindern. Nie wieder würde man hier ihr Lachen hören, nie wieder würde man hier ihr weinen hören, nie wieder würde man hier Noctis durch die Straßen der Stadt gehen sehen. Oh ja, in der Stadt hatte es viele Drachenkinder gegeben. Dort hatten nur Mütter mit mindestens fünf Jungen gelebt. Sie hatten sechs Schulen hier gehabt und keine anderen Arbeitsplätze. Wofür wurden ihre Mütter dann bezahlt? Aus den Schriftrollen wusste Myotis, dass es in anderen Städten ganz anders ablief. Dort hatten alle Erwachsenen Drachen eine Arbeit mit der sie sich ihr Futter verdienten. Jedenfalls in den Stämmen die Städte hatten, so wie die Pugnators. Sofort konnte Myotis Wut in sich aufsteigen fühlen. Warum hatten sie das getan? Warum hatten sie nicht den Palast angegriffen? Der Palast lag viel weiter unter der Erde. Soviel wie Myotis wusste, lag ihre Stadt nahe am Ausgang. Vielleicht trauen sie sich ja nicht weiter rein und wollen Königin Tenebris nur Angst machen? Myotis schüttelte sich. Die Pugnators hatten sie nur verschont, weil sie dachten dass sie im Feuer umkommen würde. Ein Schwall aus Wut breitete sich in ihr aus. Ihr war ganz genau klar, was sie jetzt tun wollte. Ich werde ganz bestimmt nicht in der zerstörten Stadt bleiben und auf die Königin warten, nur um dann zur Armee zu gehen! Allerdings kann ich mich dann auch an den Pugnators rächen. Doch Myotis wollte sich an ganz bestimmten Pugnators rächen und an die würde sie dabei nicht heran kommen. Nein, sie hatte einen ganz anderen Plan. Myotis flog noch ein bisschen höher, so hoch, dass sie fast mit dem Kopf gegen die Decke der Höhle stieß. Natürlich, sie könnten schon weit fort sein, hier könnte man schlecht die Uhrzeit ablesen, aber das glaubte Myotis nicht. Sonst wäre sie schon lange von dem Feuer verbrannt wurden. Sie flog über die Stadt hinweg, bis hin zu der zerstörten Stadtmauer. Hier konnte man gut erkennen, wo die Pugnators mit ihrem Angriff begonnen hatten. Nur ein einziger Tunnel führte von hier aus weiter von der Stadt weg. Myotis holte noch einmal tief Luft. Sollte sie das wirklich tun? Aber dann rief sie sich noch einmal das Bild von Noctis Leiche in den Kopf und ihre Augen wurden hart. Ich muss. Für meine Familie. Sie holte tief Luft, dann flog sie in den Tunnel. Auch hier war die Decke immer noch ziemlich hoch, so dass jemand der nicht im dunkeln sehen konnte, ein schwarzer Umbra gar nicht auffiel. Myotis konnte spüren wie ihr Kopf und ihr Flügel wieder zu schmerzen anfingen. Sie musste die Zähne fest zusammen beißen um nicht doch noch umzukehren. Vielleicht sind sie ja doch schon viel zu weit weg, als das ich Ihnen noch folgen kann, dachte sie. Aber dann stellte sie sich wieder vor, wie sie ihr Feuer auf Slasher spuckte und sie konnte noch ein bisschen weiter fliegen. Zum Glück dauerte es aber nicht lange bis sie Schritte hörte. Viele Schritte. Von vielen Drachen. Das müssen sie sein! Aber warum sind sie so still? Warum redet niemand? Aber vielleicht war das ja bei den anderen Drachenarten immer so. Eigentlich war Myotis sich sicher, so etwas noch nie gelesen zu haben, aber sie konnte sich irren. Lautlos segelte sie näher heran. Bald konnte sie schon die ersten roten Schuppen entdecken. Vorsichtig flog sie über die Gruppe der Pugnators hinweg. Jeder Zweite von ihnen trug eine kleine Fackel. Myotis war froh über das Licht. Durch ihre scharfen Drachenaugen konnte sie erkennen, dass jeder von ihnen auf den Boden starrte. Es sah eher wie ein Trauerzug aus, als wie Sieg. Es dauerte nicht lange  bis sie die einzigen Stimmen in der Gruppe gefunden hatte. Es waren die Königin und Ihre Schützlinge. "Einige unserer Krieger sind verletzt. Wir sollten Sie wieder nach oben schicken und Verstärkung holen", erklärte Slasher. "Auf gar keinen Fall! Nicht alle sind so schwach wie du", fauchte Scatlet. "Ach was, das ist eine gute Idee. Und da du darauf gekommen bist, darfst du sie zurück führen", meinte die Königin. "Warum bekommt immer er die wichtigen Aufgaben", maulte Scarlet. "Oh gerne. Du darfst dich um die Gefangenen kümmern", befahl Villainous. Die andere fauchte, doch sie befolgte den Rat und verschwand irgendwo weiter vorne. "Du wirst jetzt gleich aufbrechen", knurrte die Königin. "Natürlich. Aber wer wird sich um dich kümmern", erwiderte Slasher. Myotis Hass auf ihn wurde immer stärker. Am liebsten würde sie sich jetzt hinunter stürzen und mit ihm kämpfen, doch sie hatte andere Pläne. Sie fauchte fast unmerklich. Trotzdem wirbelte die Königin herum und blickte mit ihren stechenden Augen nach oben.  Myotis schluckte. Das Horn der Königin war weggeätzt. Trotzdem machte sie keinen Mucks. Sie wollte Slasher nach draußen folgen und. Nun ja..dann würde sie ihn umbringen.

Scales of Darkness - Hüter der SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt