Kapitel 19

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Die Winchester-Brüder und Cat fuhren zu dem Haus, in welchem die alte Frau Ken umgebracht hatte.
»Ich kann kein Schwefel finden«, sagte Dean nach einer Weile. »Was ist mit dem EMF?«
»Ja, die spielen verrückt. Vor allem hier am Fenster. Hier war auf jeden Fall ein Geist.«
»Der Geist stand am Fenster und hat zugesehen?«, fragte Dean verständnislos.
»Sieht so aus«, meinte Sam, als er das EMF-Gerät wieder ans Fenster hielt und es laut stark piepte.
»Und was schlussfolgern wir daraus?«
»Zuerst gibt es drei Brüder«, sagte Cat und zog somit die Aufmerksamkeit der anderen beiden auf sich. »Zwei von denen werden zerfetzt - als hätte ein Tier sie angegriffen. Dann wird ein Paar, welches sich im Wald verirrt hat, von einer netten alten Dame ins Haus eingeladen und dort bekommen die beiden etwas zu essen. Aus der Dame wird eine Psychopathin, die den Mann zerstückelt, und die Frau kann gerade so noch flüchten. Ein kleines Mädchen sieht zu; schwarze Haare, blasse Haut - ich denke, es liegt auf der Hand.«
»Ja. Ich habe auch an Märchen gedacht«, stimmte Sam zu.
»Oh, das ... das ist schön«, meinte Dean. »Denkst du etwa häufiger an Märchen?«
»Nein, Dean, ich spreche von den Morden. Dieser Junge und das Mädchen, die sich im Wald verirren, und die alte Frau, die sie essen will - das ist Hänsel und Gretel.«
Cat nickte daraufhin.
»Dann sind da die drei Brüder, die sich darüber streiten, wie man Häuser baut und vom bösen Wolf angegriffen werden.«
»Die drei kleinen Schweinchen«, sagte Dean.
»Ja.«
»Na ja, die Jungs waren wirklich etwas füllig«, kommentierte der ältere Winchester. »Ich dachte, Märchen enden immer mit: »Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende«?«
»Nein, nein, nicht die Urfassung«, erwiderte Sam. »Die Märchen der Gebrüder Grimm waren eine Art, na ja, sie gehörten zum damaligen Volksgut - voll von Sex, Gewalt und Kannibalismus. Über die Jahre wurden sie verharmlost und es wurden Disney-Streifen und Gute-Nacht-Geschichten daraus.«
»Ihr glaubt also, die Morde sind eine Art Neuinszenierung?«, fragte Dean Cat und Sam. »'n bisschen verrückt, he?«
»So verrückt wie was?«, entgegnete Sam. »Jeder Tag in unserem Leben?«
»Touché«, stimmte Dean zu. »Aber wie passt das Geistermädchen herein?«
»Sie war aus irgendeinem Grund hier. Auf der Baustelle war sie sicher auch. Was denkt ihr?«
»Wir sollten der Sache nachgehen«, meinte Dean und kurz darauf fuhren sie zurück zur Stadt.
Dean suchte in den Archiven nach Informationen, während Cat und Sam sich anderweitig umhörten.
»Und?«, fragte Sam, als sein Bruder wieder aus dem Gebäude kam.
»Laut den Akten gibt es in dieser Stadt eine ungewöhnliche Anzahl von Todesfällen in dieser Kindheit. Was schätzt ihr, wie viele kleine Mädchen mit schwarzen Haaren dabei waren?«
»Null«, antworteten Cat und Sam gleichzeitig.
»Null«, wiederholte Dean zustimmend. »Habt ihr eine Ahnung, wie viele kleine Mädchen mit schwarzen Haaren als vermisst gemeldet wurden? Wieder richtig: Null - nichts, nada. Ich hoffe, ihr habt bessere Neuigkeiten. Bei mir waren die letzten zwei Stunden reine Zeitverschwendung.«
»Sagt dir der Name Lillian Baily was?«, wollte Sam wissen. »Sie war ein britisches Medium in den dreißiger Jahren.«
»Hatte sie was für Märchen übrig?«, fragte Dean.
»Nein, Trancen. Sie hat sich in Bewusstlosigkeit versetzt und dann, jetzt hör zu, und dann wurden ihre Handlungen und Gedanken vollkommen von Geistern gelenkt.«
»Und du denkst, die Kleine tut das auch? Sie versetzt den Wolfs-Jungen und die Großmutter in Trance und die verfallen in einen Blutrausch?«
»Schon möglich. Na ja, wie eine Art Geisterhypnose oder so was.«
»Trancen versteh ich, aber Märchen-Trancen? Das ist selbst für uns reichlich seltsam.«
Plötzlich quakte etwas vor den Füßen der drei und verwundert blieben sie stehen und blickten zu Boden. Dort saß eine dicke Kröte, die sich nicht rührte, sondern lediglich Geräusche von sich gab.
»Ja, du hast recht. Das ist völlig normal«, meinte Sam ironisch.
»Küss den Frosch«, sagte Cat amüsiert und hockte sich vor das Tier.
»Na, schön. Vielleicht sind es Märchen. Ganz verdrehte Märchen«, entgegnete Dean. »Aber wenn du denkst, dass ich den Frosch jetzt küsse, irrst du dich gewaltig.«
Cat seufzte und erhob sich wieder. »Schade. Hätt's gerne gesehen.«
»Hey, seht mal«, sagte Sam und deutete auf einen Kürbis, der auf einer Veranda stand.
»Ja, bald ist Halloween«, meinte Dean.
»Erinnert ihr euch an Cinderella? Der Kürbis, der sich in eine Kutsche verwandelt, und die Mäuse, die zu Pferden werden.«
»Jetzt übertreibst du es aber«, sagte Cat.
»Dann hab' ich mir die Maus gerade eingebildet?«
»Und du bist die Prinzessin?«, erwiderte Dean verständnislos an seinen Bruder gewandt. Sam schwieg daraufhin genervt. »War ja nur 'n Vorschlag.«
Die drei erklommen die Stufen zur Haustür und gekonnt öffnete Dean sie. Jeder zückte seine Schusswaffe und langsam liefen sie durch das Haus.
»Hilfe!«, erklang auf einmal eine weibliche Stimme. »Ich bin hier!«
Die Winchesters und Cat rannten los und fanden in der Küche eine junge Frau, welche mit Handschellen an einen Schrank gekettet war.
»Warten Sie. Einen Moment. Wir helfen Ihnen«, sagte Sam und holte ein Etui heraus.
»Was ist passiert?«, wollte Dean wissen.
»Meine Stiefmutter ist völlig ausgeflippt. Sie hat mich angeschrien, geschlagen und mich angekettet«, erklärte die Frau panisch.
»Wo ist sie jetzt?«, fragte Sam.
»Ich weiß es nicht.«
»Leute«, flüsterte Dean und sein Bruder und Cat blickten auf.
Das schwarzhaarige Mädchen, von welchem Miss Wilson berichtet hatte, stand halb verdeckt hinter dem Türrahmen. Dean erhob sich und lief ihr hinterher, während Cat und Sam bei der Frau blieben und der jüngere Winchester diese befreite.
Danach riefen sie den Notarzt, der die Frau abholte. Sam ging, nachdem der Arzt gefahren war, zu Cat und Dean, die draußen am Impala gewartet hatten.
»Der Notarzt hat Cinderella abgeholt«, erklärte Sam.
Dean warf ihm einen roten Apfel zu, den er zuvor in der Hand gehalten hatte. »Ein kleines Mädchen, ein roter Apfel - ich nehme an, das sagt dir doch irgendwas, mein Märchenprinz.«
»Klingt nach Schneewittchen«, sagte Sam.
»Jetzt habt euch nicht so.« Cat riss Sam den Apfel aus der Hand und lehnte sich neben den Dean gegen des Motorhaube des Wagens.
»Vorher warst du noch überzeugt davon, dass Märchen wahr werden«, meinte Sam.
»Bei Menschen, ja, aber bei Obst? Ich bitte dich.« Ohne Vorwarnung biss die Frau in den Apfel und schluckte das Stück selbstsicher hinunter. »Seht ihr? Nicht vergift-« Ihr Satz wurde durch ihr Husten unterbrochen.
»Cat?«, fragte Sam vorsichtig.
Doch die Frau schüttelte nur den Kopf, unfähig zu antworten. Zitternd stützte sie sich auf der Motorhaube ab, ihre Augen waren bereits mit den Tränen gefüllt.
»Dean, mach irgendwas!«, rief Sam panisch.
Sein Bruder hatte sich mittlerweile aufgerichtet und ebenso wie er hilflos zu Catherine geblickt.
»Was soll ich denn machen?«
»Küss sie!«
»Was?«
»Der Prinz bei Schneewittchen hat sie auch geküsst«, erklärte Sam hastig.
»Das war Dornröschen«, meinte Dean. »Ich dachte, du hast 'ne Ahnung von Märchen.«
»Dann ... dann schlag sie!«
Cat schüttelte hastig den Kopf und sank hustend auf die Knie.
»Sie sieht es genauso«, meinte Dean und deutete auf die Frau. »Ruf einen Notarzt. Los!«
»Wir fahren sie«, erwiderte Sam hastig. »Wir fahren sie zum Krankenhaus. Das ist schneller.«
»Ja.« Dean nickte und zog die Frau wieder auf die Beine. In diesem Moment erschlaffte ihr Körper, so dass sie regungslos in seinen Armen lag. »Was ist mit ihr? Was ist mit ihr, Sam?«
»Sie ist nicht tot«, erklärte sein Bruder. »Los. Leg sie auf den Rücksitz!«
Dean tat, wie ihm geheißen, und fuhr dann rasend schnell zum Krankenhaus. Die wie tot aussehende Cat wurde in ein Zimmer gebracht und dort vom Arzt untersucht.
»Was ist mit ihr?«, fragte Dean nun den Mann.
»Sie liegt in einer Art Schlaf. Sie braucht kein Beatmungsgerät, sie atmet selbst«, sagte er. »Was ist passiert?«
»Sie hat sich verschluckt«, erklärte Sam. »An einem -«
»- Apfel«, beendete Dean. »Wird sie wieder auf die Beine kommen?«
»Ja ... ich ...« Der Doktor wirkte auf einmal bedrückt, als würde ihm etwas auf dem Herzen liegen. »Was ist hier los, Detectives?«
»Wir arbeiten noch dran«, sagte Sam. »Können Sie ihr nun helfen oder nicht?«
»Ich werde sehen, was ich mache kann«, gab der Arzt nur knapp zurück. »Entschuldigen Sie mich.« Mit einem Nicken verließ er das Zimmer.
»Das darf doch nicht wahr sein!«, rief Dean aufgebraucht. »Sie ist in Lebensgefahr.«
»Genau genommen, nicht«, meinte Sam. »Wie der Doktor gesagt hat: Sie atmet selbstständig. Sie hat den Apfel wahrscheinlich nicht verschluckt. Wenn wir den Grund für alledem finden, können wir Cat retten.«
Dean schwieg und musterte das regungslose Gesicht der Frau. »Dann lass uns den Grund finden«, sagte er schließlich und ohne ein weiteres Wort verließ auch er das Zimmer.

Hustend erwachte Catherine und aus Reflex hielt sie ihre Hände vor den Mund. Sie spürte das Apfelstück in ihrem Hals und würgte, bis dieses in ihre Hände fiel. Cats Herz raste vor Anstrengung und sie konnte das laute Atmen nicht unterdrücken. Das helle, reine Weiß um sie herum blendete sie und irritiert blinzelte sie einige Male, bis sie erkannte, dass sie in einem Krankenhaus lag. Da erschien Dean im Türrahmen, zusammen mit Sam.
»Was ist passiert?«, verlangte Cat sofort zu wissen.
»Wir haben gerade dein Leben gerettet«, erklärte Dean mit einem Grinsen. »Und das unzähliger anderer.« Cat öffnete den Mund, doch wusste sie nichts zu sagen.
»Nichts zu danken«, winkte Dean ab.
»War's denn nun ein Geist?«
»Mehr oder weniger«, meinte Dean. »Die Tochter des Arztes liegt seit Jahren im Koma, da sie von der Stiefmutter vergiftet worden war. Sie liebte Märchen, doch als ihr Vater ihr die Geschichten vorgelesen hat, wurden sie wahr.«
»Ich werde nie wieder Äpfel essen«, murmelte Cat nur und erhob sich. Sie lief zum Mülleimer und schmiss das Apfelstück hinein. Bevor sie noch etwas sagen konnte, hatte Sam sie in den Arm genommen. Vollkommen überrumpelt erwiderte sie die Umarmung.
»Tu das nie wieder, ja?«, sagte Sam.
»Ja, ja, klar ...«, meinte Cat stirnrunzelnd.
»Ich meine, nie wieder unüberlegt handeln.« Sam löste sich von ihr. »Wie den Apfel zu essen.«
»Ja, klar. Verstanden.«
Sam lächelte daraufhin und trat zur Seite, so dass Cats Blick auf Dean fiel, der weiterhin im Türrahmen stand, den Kopf gesenkt haltend. Als er aufblickte, warf sie ihm ein leichtes Lächeln zu, erst dann verließen sie und Sam das Zimmer. Dean folgte ihnen mit etwas Abstand, ununterbrochen daran denkend, was sie ihnen verheimlichte.

Blood & Demons || Supernatural Staffel 2/3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt