„Deine Wahl? Nenne mir jemanden, sonst wähle ich." Gelangweilt spielte er mit den Ohren der merkwürdig aussehenden Katze auf seinem Schoß. Dabei kringelten sich seine schwarzen Locken wild um sein Gesicht. So traten die spitzen Wangenknochen des Mannes noch mehr hervor, als sie es ohnehin schon taten. Im trüben Licht, das von einer Deckenlampe auf ihn runter strahlte, sah sein blasses Gesicht kränklich, beinahe tot aus. Er bemühte sich nicht, seine Desinteresse zu verbergen. „Ich brauche mehr Zeit!", sagte ein, ihm den Rücken zukehrender, in einen dunklen Mantel gehüllter Mann. Er war von großer Statur und hatte kurze braunblonde Haare. Eine Narbe zog sich quer über seinen Nacken. Er wirkte nervös und knetete unruhig seine Finger. Jetzt drehte er sich um und sah, sich die Schläfen massierend, die Katze an. Er hatte die ganze Zeit, seit er in den kleinen, dunklen Lagerraum des Kaffeeshops getreten war, Kopfschmerzen. Wie gerne würde er jetzt sie sein. Keine Verantwortung, keine Entscheidungen, die man treffen musste. Nur stillliegen und sich die Ohren kraulen lassen. „Du hattest genug Zeit! Mehr als ich allen anderen gegeben habe", holte ihn die Stimme des ihm gegenüber sitzenden Mannes aus seinen Gedanken zurück. „Noch mehr Zeit wirst du nicht bekommen." Der Blonde machte einen Schritt auf ihn zu: „Lu..." „Nein Niklas!", wurde er sofort unterbrochen, „Nicht hier! Hier bin ich immer noch Devon." „Trotzdem, Devon, habe ich noch niemanden! Ich kann dir doch jetzt nicht einfach irgendeinen Namen nennen." Verzweifelt blickte er direkt in die tiefschwarzen Augen von Devon. Dieser gab der Katze einen kleinen Schubs. Sie machte einen Buckel, miaute und sprang dann ärgerlich von seinem Schoß. Dann verschwand sie hinter einem Regal in der Dunkelheit. Plötzlich ertönte ein melodiöses Klingeln aus Niklas Manteltasche. Verblüfft zog er sein Handy aus der Tasche hervor. Hatte er es im Auto nicht noch extra auf lautlos gestellt? Der Name des Anrufers erschien. In diesem Fall der Name der Anruferin. Elena, stand dort. In seiner Überraschung über den Zeitpunkt des Anrufs, drückte er auf 'Annehmen'. „Hallo, ich bin's! Sag mal, wolltest du nicht schon vor einer Stunde hier sein? Ich hab extra Muffins gebacken. Du weißt doch, dass ich fast nie backe. Jetzt sind sie schon ganz kalt. Ist alles okay bei dir?" „Ähm, hi. Ich...", stammelte Niklas und sah zu Devon hinunter, welcher noch auf dem Sessel saß. Dann sagte er an sein Handy gerichtet: „Ich stehe noch im Stau. Ganz doof gelaufen, die Autobahn ist seit einer halben Stunde gesperrt. Ich weiß nicht, ob ich es heute noch schaffe. Vielleicht such ich mir auch ein Hotelzimmer." „Okay, mach das. Wir bekommen die Muffins auch ohne dich auf. Ich wollte nur wissen, ob etwas passiert ist." Eine leisere und jünger klingende Stimme war vom anderen Ende der Leitung zu hören, dann ein Lachen: „Dann ruf doch nachher nochmal an, wenn du im Hotel bist. Und ich soll dich von Leah grüßen." Leah. Diesen Namen hatte Niklas länger nicht gehört. Auf einmal fing es am anderen Ende an zu rauschen. Dann knackte es und die Verbindung wurde unterbrochen. Ein zweites Knacken und das Handy ging ganz aus. Er nahm das Handy vom Ohr und steckte es wieder ein. „Entschuldige, ich muss vergessen haben es auszustellen." „Soso, du stehst also im Stau", sagte der sich jetzt erhebende Devon spöttisch. Er zog eine Augenbraue hoch und verzog dann sein Gesicht zu einem diabolischen Grinsen. Seine dunklen Augen ließen ihn noch furchteinflößender aussehen, als er es auch sonst schon tat. Die ebenfalls dunklen Haare und seine Kleidung, sogar seine Ausstrahlung ließen ihn böse wirken. Das bemerkte Niklas nun zum wiederholten Mal. „Sag mir, wer ist Leah?", fragte Devon und strich mit seinem Zeigefinger ein Katzenhaar von seiner schwarzen Jeans. „Die Tochter von einer Freundin von mir. Ich habe ihrer Mutter versprochen zu ihrem 16. Geburtstag morgen zu kommen." „Weißt du was? 16 ist ein wunderbares Alter." Stirnrunzelnd sah Niklas den nun vor ihm stehenden Devon an. Er war doch ein ganzes Stück kleiner, als Niklas ihn in seiner Erinnerung abgespeichert hatte. Das letzte Treffen war aber auch schon eine längere Zeit her. Vier Jahre? Oder waren es fünf? „Ein wunderbares Alter wofür?", fragte er nun und zog die Stirn in Falten. Schwungvoll drehte sich Devon um. „Für das hier!", rief er und Begeisterung schwang in seiner Stimme mit. Ein kalter Luftzug fuhr durch die kurzen Haare von Niklas und er blinzelte unruhig zu der Katze hinüber, welche gerade ihren rötlich schimmernden Schwanz wieder unter dem Regal hervorzog, unter dem sie sich verkrochen hatte. Ein unfassbar lauter Knall ertönte und es wurde auf einen Schlag eiskalt im Raum. „Was meinst du? Ich finde meine Idee hervorragend. Du darfst mir dankbar sein, ich habe dir die Entscheidung, mir einen Namen zu nennen, abgenommen", erklärte Devon mit einem unschuldig klingenden Unterton in der Stimme. Er strich sich eine Locke aus der Stirn. „Nein!", schrie Niklas, die Idee jetzt erst begreifend. Gedanken von seiner Verwandlung schossen ihm durch den Kopf und er musste kurz die Augen schließen, um die Erinnerung daran zu verdrängen. Dann fuhr er sich hektisch mit dem rechten Arm über seinen Rücken. Die Narben zeichneten sich deutlich unter seinen Fingerkuppen ab. Seine Augen fingen an zu jucken und er wusste, dass sie rot leuchteten, genau wie die, des immer noch lachenden Devons. Von Wut gepackt stürzte Niklas sich auf sein lachendes Gegenüber. Doch dieser war darauf vorbereitet und sprang zur Seite. Unerwartet riss Devon beide Arme über den Kopf und schrie mit einer eiskalten schneidenden Stimme: „Leah!" Er klatschte über seinem Kopf in die Hände und ein blendender, weißer Blitz trat zwischen ihnen hervor. Dann verschwand er mit einem ohrenbetäubenden Knall. Da, wo er bis vor ein paar Sekunden noch stand, flogen jetzt wie aus dem Nichts grelle kleine Funken von der Decke. Niklas sank auf die Knie und presste die Hände an den Kopf. „Es tut mir Leid!", war das letzte, was er flehentlich schrie, bevor es stockdunkel um ihn wurde.
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Black and White
Teen FictionStell dir vor, an deinem 16. Geburtstag fängt dein Körper an sich zu verändern. Unmenschliche Flügel wachsen aus deinem Rücken. Und plötzlich musst du dein Leben als Engel weiterführen, ohne je darauf vorbereitet worden zu sein. Und als wenn das ni...