Nach zehn Minuten Fahrt komme ich am Kino an. Ich springe von meinem Fahrrad und schiebe es auf die Gruppe Teenager zu, die sich vorm Kino versammelt hat. Ich schließe mein Rad ab und umarme Alexandra. „Wir warten noch auf Vanessa und Lukas und gehen wahrscheinlich in diesen neuen Autofilm. Fast und noch irgendwas." Sie runzelt die Stirn und ich lache, dann frage ich: „Bist du wegen des Films oder der Jungs hier?" Auch Alexandra lacht und wirft ihre Haarpracht zurück: „Was denkst du denn?" Darauf erwidere ich nichts. Nach ein paar Minuten Warten stoßen Vanessa und Lukas zu uns. Sie hat einen Arm bei ihm eingehakt und schleift ihn hinter sich her. „Leute es tut uns soo Leid für die Verspätung, aber wir waren noch zusammen ein Eis essen und haben total die Zeit vergessen!" Sie lacht übertrieben laut und marschiert mit Lukas am Arm an mir vorbei ins Kino. Als Lukas beim Vorbeigehen meine Schulter berührt, habe ich das Gefühl, als hätte er mir einen Stromschlag verpasst. Irritiert drehe ich mich zu ihm um, auch er mustert mich. Dann versteinert sich seine Mimik wieder. Dieser Junge ist merkwürdig und dieses Gefühl gerade, als er mich berührt hat, war noch merkwürdiger. Ich folge den letzten Leuten ins Kino und bekomme von Markus eine Karte in die Hand gedrückt. „Danke", murmle ich und gehe hinter ihm her in den Kinosaal. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und suche die Sitzreihen nach Alex ab, entdecke sie jedoch nirgends. Sie wird schon auftauchen, denke ich und lasse mich in einen der weichen Sitze fallen. „Ist hier noch frei?" Die Stimme kommt mir bekannt vor, obwohl ich sie noch nicht oft gehört habe. Ich hebe meinen Kopf und sage: „Wenn du mit Vanessa kuscheln willst ist hier leider kein Platz mehr frei." Lukas zieht eine Augenbraue hoch. Durch seine dunklen Haare und Augen ist er in dem dunklen Kinosaal nur schwer zu erkennen, doch als er sich zu mir runterbeugt, habe ich das Gefühl, als würde er leicht anfangen zu leuchten. Ist das möglich? Ich blinzle und als ich ihn wieder angucke ist das Leuchten verschwunden. „Ich habe nicht vor mit irgendjemandem zu kuscheln, also denke ich, der Platz hier ist frei." Damit setzt er sich neben mich und richtet den Kopf starr geradeaus nach vorne. Die Werbung hört auf und die Titelmelodie setzt ein. Langsam verstummen die Gespräche im Raum. Ich versuche Lukas und sein herbe riechendes After-Shave zu ignorieren und konzentriere mich auf die Leinwand. Nach ein paar Minuten legt Lukas seine Unterarme auf die Sessellehnen und ich werfe einen kurzen Blick auf diese. Jede einzelne Ader ist stark zu sehen und schimmert dunkel unter seiner Haut hervor. An seinen T-Shirt Ärmeln sind Ansätze seiner Muskeln zu erkennen, ich gebe es nicht gerne zu, aber Lukas' Muskeln sind nicht zu vergleichen mit denen anderer Jungs in seinem Alter. Ob er trainiert? Lukas dreht seinen Kopf zu mir und schnell schaue ich auf meine Hände, dann wieder nach vorne. Sein Blick ruht seit einer Ewigkeit auf mir, zumindest kommt es mir so vor. Kann er nicht den Film gucken wie jeder andere Mensch hier auch? Genervt von seinem Starren gucke ich ihn direkt an und flüstere: „Bist du fertig? Oder soll ich dir vielleicht Licht machen, dass du besser siehst?" „Geht schon, danke", antwortet Lukas nur und dreht seinen Kopf endlich weg.
Erst die Hälfte des Films ist vorbei, als die Leinwand schwarz wird und der Ton erstirbt. Verwundert drehe ich mich um und versuche in dem jetzt finsteren Kinosaal etwas zu erkennen. Beschwerendes Gemurmel wird laut. Warum geht das Licht nicht an? Müsste jetzt nicht ein Kinomitarbeiter kommen und versuchen, was auch immer kaputt ist zu reparieren? Auf einen Schlag wird es eiskalt im Raum. Nichts ist zu hören, es ist, als hätte jemand die Zeit angehalten. Plötzlich wird mir mein Mund von hinten zugehalten, ein starker Arm dreht mir meine Hände auf den Rücken und zerrt mich hoch. Panisch versuche ich zu schreien, ich schüttel meinen Kopf und bin kurz davor in die Hand des Unbekannten zu beißen, als sich der Griff um meine Hände lockert. Dafür nehme ich ein schmerzhaftes Pochen an meinen Schläfen wahr. Immer größer wird der Druck in meinem Kopf, ich will meine Hände dagegen pressen, doch werden diese mir immer noch auf den Rücken gedreht. „Wehr dich nicht dagegen, alles wird gut. Bleib ruhig Leah... Wehr dich nicht..." Was war das? Werde ich jetzt verrückt und höre Stimmen in meinem Kopf? Oder wache ich gleich aus meinem Alptraum auf und höre weder Stimmen, noch habe ich Engelsflügel auf dem Rücken? Immer wieder höre ich den Satz. „Ich wehr mich doch gar nicht! Ist ja gut!", denke ich und tatsächlich lässt der Schmerz nach. „Bleib ruhig und hör auf das was ich sage, verstanden?" Die Stimme duldet keinen Widerspruch und doch frage ich in meinen Gedanken: „Wer zum Teufel bist du und was willst du von mir?" „Bleib ruhig, Leah. Ich bin's, Lukas. Ich erkläre es dir später. Tu jetzt was ich sage und bleib ruhig!" Lukas? Meine Panik weicht blanker Angst. Was passiert hier? „Was willst du von mir?", frage ich mit der Kraft meiner Gedanken. Mit Mühe halte ich die Tränen zurück. „Ich zähle bis drei, dann fährst du deine Schwingen aus, lass auf keinen Fall meine Hand los verstanden? Auf keinen Fall!", fordert Lukas Stimme mit einem scharfen Unterton. Mir ist schlecht. Lukas weiß von den Schwingen. Er weiß, dass ich übernatürlich bin. Woher? Niklas meinte, Übernatürliche würden sich untereinander an ihren Schatten erkennen, warum habe ich an Lukas keinen gesehen? Doch! Das Leuchten vorhin! Das heißt, ich habe mich doch nicht geirrt und Lukas hat wirklich gestrahlt. Er ist also auch übernatürlich. Die Frage ist, ob das gut oder schlecht ist? Ich nicke und umfasse Lukas' Handgelenk, der mir immer noch meinen Mund zuhält. „1...,2...,3!" Ich atme aus wie ich es mit Niklas geübt habe und spüre die Last der Flügel auf meinem Rücken. Ich werde an Lukas Brust gedrückt und ein gewaltiger Wirbel erfasst uns. Meine Haare peitschen mir ins Gesicht und ich schreie aus voller Kehle.
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Black and White
Teen FictionStell dir vor, an deinem 16. Geburtstag fängt dein Körper an sich zu verändern. Unmenschliche Flügel wachsen aus deinem Rücken. Und plötzlich musst du dein Leben als Engel weiterführen, ohne je darauf vorbereitet worden zu sein. Und als wenn das ni...