Kapitel 10.

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Ich ziehe meinen Bordeaux farbenen Schal enger um meinen Hals und setze mir eine Mütze auf meine, heute in Wellen fallenden Haare. Es ist ein kalter Mittwochnachmittag, das perfekte Wetter für einen warmen Kaffee in meinem Lieblingscafé. Ich schiebe mein Mountainbike von der Auffahrt und schwinge mich auf den Sattel. Mein Vater kommt mir entgegen und hält mich auf. „Fahr vorsichtig, ja? Es ist glatt geworden. Und sei bitte spätestens um sieben wieder hier",sagt er und wirft mir seinen strengen Blick zu. Ich nicke und mache mich auf den Weg. Die eisige Luft zischt mir um die Ohren. Eine gute Viertelstunde später schließe ich mein Fahrrad ab und laufe zu Lias. Er zieht mich in eine kurze Umarmung und grinst. „Bist ja ganz rot, war der Weg zu anstrengend für die Prinzessin?" Er lacht und ich falle mit ein, dann drehe ich mich beleidigt von ihm weg und stoße die Tür zum „Crispy Cake" auf. Sofort steuere ich auf den Platz links am Fenster zu. Ich lasse mich in einen der grauen Sessel fallen und lege Mütze, Schal und Jacke ab. Lias tut es mir gleich. Ich greife nach der Karte, obwohl ich schon ganz genau weiß, was ich bestelle. Ich lehne mich zurück und gucke mich im Café um. Der Laden ist sehr aufwändig dekoriert, überall stehen Kürbisse und Blätter und Kastanien liegen herum. Die Möbel sehen so aus, als wären sie alle wild durcheinander gekauft worden, nichts passt zueinander. Der Raum wirkt gemütlich und ist schon seit Jahren mein Lieblingsplatz. Die Bedienung holt mich aus meinen Gedanken zurück. „Was darf es sein?", fragt sie lächelnd und schwebt mit einem Kugelschreiber über ihrem Notizblock. „Für mich bitte einen Vanillekaffee mit Karamelsirup.", antworte ich und lächel ebenfalls. „Gerne, und für dich?" Sie wendet sich an Lias. Er bestellt sich einen Latte macchiato und die junge Frau verschwindet hinter dem Tresen. „Erzähl. Wie geht's dir?", fragt Lias und legt den Kopf schief. Ich überlege kurz: Ich versuche so gut es geht zu vergessen, dass ich ein Engel bin und habe somit ein riesen Geheimnis vor dir. Aber sonst ... „Gut", sage ich nur, „und dir?" „Ganz gut. Ich bin froh, dass mein Dad mir heute mal frei gegeben hat. Autos lackieren ist auf Dauer nämlich ganz schön langweilig, glaub mir." „Kannst du ihm nicht sagen, dass du deine Freizeit damit nicht verbringen möchtest?", frage ich und nehme meinen Kaffee von der Bedienung entgegen. „Nee. Dann müsste er alles alleine machen, weil sein Auszubildender momentan krank ist. Das will ich ihm nicht zumuten." Lias beäugt seinen Macchiato. Seit der Trennung seiner Eltern hilft er seinem Dad viel in dessen eigener Werkstatt, doch es war schon immer klar, dass das niemals sein Hobby, geschweige denn sein Beruf werden würde. Ich nehme einen Schluck von dem heißen Getränk und winkle die Beine an. „Naja es gibt anstrengenderes", sagt Lias und wirft einen Blick auf sein Handy. „Ich wurde von Markus zu einer Gruppe hinzugefügt. Spontane Herbstparty, diesen Freitag. Du bist auch in der Gruppe. Alle aus der Klasse und noch ein paar, die ich nicht kenne. Oh nein. Lukas ist auch eingeladen." Er verdreht die Augen und legt es zurück auf den Tisch. „Was hast du eigentlich mit dem zu tun? Ihr guckt euch dauernd an im Unterricht", fragt er mit einer vorwurfsvollen Stimme. „Nichts, ich sollte ihm nur die Schule zeigen. Gehst du hin? Zur Party?", frage ich um von dem Thema Lukas König abzulenken. Lias schüttelt den Kopf: „Ich kann nicht. Bin übers Wochenende bei Mom. Ich schreib Markus gleich. Gehst du?" Ich zucke mit den Schultern. „Mal sehen. Solche Feiern sind eigentlich nicht so meins, weißt du ja." Ich habe zwar nichts gegen Parties generell oder Angst davor neue Menschen kennenzulernen, aber der viele Alkohol ist einfach nichts für mich. Und als eine der wenigen nur ein Bier und ansonsten Cola zu trinken ist nicht unbedingt das Coolste. Ich trinke meinen Kaffee leer und krame das Geld aus meinem Portemonnaie. „Ich mach schon", hält Lias mich zurück und winkt der Bedienung. Ich lächle ihn dankbar an und stehe auf um mir meine Sachen wieder anzuziehen. Wir verlassen das „Crispy Cake" und schlendern zu den Rädern. „Ich fands cool, dass wir uns getroffen haben Leah. Lass uns das öfter machen, okay?" „Machen wir", sage ich und umarme Lias. Dann schließe ich mein Fahrrad auf und winke ihm zu: „Bis morgen!" Er winkt zurück und ich fahre los. Nach ein paar Minuten Fahrt wird der Gegenwind immer stärker und ich befürchte, dass meine Abkürzung durch den Wald eine falsche Entscheidung war. Ich überlege, ob ich eine kurze Pause einlege, doch da kommt mir eine bessere Idee. Ich konzentriere mich und fahre die Schwingen aus. Obwohl sie noch so neu sind ist es kein ungewohntes oder unangenehmes Gefühl mehr. Ich bewege meine Schulter vorsichtig und spüre wie die Flügel in Bewegung kommen. Anfangs ist es noch ein zaghaftes Wippen, doch so häufiger ich meine Schulter bewege, desto kräftiger werden die Schläge der Schwingen. Ganz ohne in die Pedale zu treten schieße ich den Waldweg entlang. Ich klammere die Hände fest um den Lenker und hoffe, dass ich nicht runterfalle. Die Bäume rechts und links von mir werden zu einem grünen Strich, ich nehme die Kälte nicht mehr wahr. Nur die atemberaubende Geschwindigkeit. Ich habe das Gefühl, als ob ich ewig so weiterfahren könnte, doch in ein paar Metern erkenne ich unsere Gartenpforte. Ich bremse mich selbst ab und fahre die Schwingen ein, dann springe ich vom Rad. Glücklich und berauscht von der Fahrt stelle ich mein Fahrrad in den Schuppen und gehe ins Haus. Also hat es doch etwas gutes ein Engel zu sein.
Ich geh hoch in mein Zimmer und sinke auf mein Sofa, dann entsperre ich mein Handy um die Nachrichten in dem Gruppenchat von Kylie, Mia, Alexandra und mir zu lesen. Als Alexandra bemerkt dass ich online bin, eröffnet sie einen Videochat. „Ich bin dafür, dass wir uns Freitag um fünf bei Kylie treffen. Du wohnst am nächsten an Markus und deine Schwester könnte uns um sieben hinfahren. Dann haben wir genug Zeit um uns fertig zu machen!", erklärt Alexandra uns anderen. „Ich weiß gar nicht, ob Tirza Freitag da ist und uns fahren kann", wirft Kylie ein. „Dann fragst du sie eben. Gib uns einfach morgen Bescheid. Mia? Leah? Ihr kommt doch oder?" „Ich weiß nicht... Ich frag gleich erstmal meine Mutter", sage ich und auch Mia sagt nicht fest zu. „Ihr müsst kommen! Wir haben so lange nichts mehr unternommen, tut mir den Gefallen. Außerdem müsst ihr mich bei meinem Outfit beraten!", sagt Alexandra bettelnd. Mia stöhnt genervt: „Okay ich komme. Dann musst du aber auch kommen Leah." „Ich frag und schreib euch, ja? Bis nachher!", beende ich das Gespräch. Während ich mit meinen Englischhausaufgaben anfange klopft es und meine Mutter steckt den Kopf in mein Zimmer. „Wie war's in der Stadt?" Sie kommt rein und setzt sich auf mein Bett. „Cool, wir wollen uns ab jetzt mal wieder öfters treffen. Ich bin von Markus zu einer Party eingeladen worden. Freitagabend. Darf ich hingehen?" „Bis wann hast du denn vor wegzubleiben? Nicht länger als eins." Ehrlich gesagt hatte ich vor, spätestens um elf wieder zu gehen, also nicke ich: „Kein Problem. Also darf ich?" „Meinetwegen. Aber jetzt deckst du bitte erstmal fürs Abendessen ja?" Sie steht auf und streicht mir über die Haare, bevor sie geht. Ich schreibe schnell Alexandra, dann gehe ich in die Küche.

Die nächsten zwei Tage passiert nichts aufregendes in der Schule, Lukas ignoriert mich und ich verbringe die meiste Zeit mit Alexandra und Mia und höre mir gefühlte Millionen Mal ihre Vorstellungen von ihrem Partyoutfit an. Um kurz vor fünf schnappe ich mir meine Tasche und laufe die Treppe runter. Ich kraule Emmy schnell hinter den Ohren und betrete das Wohnzimmer. „Ich fahr jetzt zu Kylie. Ich nehme einen Schlüssel mit, dann weck ich euch nachher nicht, wenn ich wiederkomme." „Du kennst die Regeln mit Alkohol auf Parties. Übernimm dich nicht, klar?", sagt mein Vater und sieht von seiner Zeitung auf. Ich nicke und verkneife es mir die Augen zu verdrehen. „Viel Spaß und grüß deine Mädchen, pass auf dich auf!", ruft meine Mutter mir noch hinterher als ich den Raum verlasse. Ich finde weder meine Handschuhe, noch meine Mütze, daher beschließe ich für den Rückweg Kylie zu bitten mir etwas zu leihen und beeile mich zu ihr zu kommen. Nach einer zehnminütigen Fahrt klingel ich bei den Sommers. Kylies Mutter Linda öffnet mir die Tür. „Hallo Leah! Du warst ja auch lange nicht mehr bei uns", begrüßt sie mich herzlich, „Komm schnell rein, du erfrierst noch da draußen." Sie nimmt mir meine Jacke ab und ich bedanke mich. Ich laufe nach oben in Kylies Zimmer und öffne schwungvoll die Tür. „Ach nee, beehrst du uns auch noch mit deiner Anwesenheit?", fragt Kylie spöttisch. Ich gucke auf die große Wanduhr über Kylies Spiegel. „Komm mal runter, ich bin nur fünf Minuten zu spät. Außerdem hab ich Brownies mit, reicht dir das als Entschuldigung?" „Oh ja!", ruft Mia und nimmt mir die Box mit dem Kuchen aus der Hand. „Alsooo", ergreift Alexandra erneut das Wort, „wer zieht was an? Ich hab verschiedene Kleider mit. Dir Kylie würde das hier fabelhaft stehen." Sie zieht ein hellgrünes Cocktail Kleid aus ihrer Tasche und drückt es Kylie in die Hand. „Anziehen!", befiehlt sie und schickt Kylie ins Bad. „Und für dich", sie zerrt an einem pinken Stofffetzen, „hab ich das mit." Strahlend gibt sie Mia das pinke Etwas in die Hand und schiebt sie ebenfalls raus Richtung Bad. „Jetzt zu dir. Mein persönliches Highlight! Tadaaaaa!", begeistert und voller Enthusiasmus befördert sie ein dunkel rotes Kleid aus ihrer Tasche. „Meine Mutter hat es mir mal mitgebracht, aber es passt einfach nicht. Ich bin etwas zu groß für das Kleid. Aber für dich müsste die Länge perfekt sein. Probier es an!" Ich nehme das Kleid und geselle mich zu Kylie und Mia in das Badezimmer. Kylie hat ihr Kleid bereits an und wie erwartet sitzt es wie angegossen. Das Dekolleté wird von Strasssteinchen verziert und am Saum bauscht sich das Kleid ein wenig. Mia fummelt an dem Verschluss ihres Kleides rum und Kylie eilt ihr zu Hilfe. Schnell und mit einem gekonnten Handgriff verschließt sie das Kleid und streicht über Mias Rücken. „Und? Kann ich das tragen?", fragt Mia ängstlich und guckt mich an. „Najaa... Bis auf dass dir deine Brüste vorne fast rausfallen sitzt es toll!", murmle ich und unterdrücke ein Lachen. „Das kriegen wir hin! Komm mit", sagt Kylie energisch und zieht Mia mit sich. Ich schließe die Tür hinter den beiden und schlüpfe in mein eigenes Kleid. Alexandra hatte Recht. Das Kleid passt gut und betont meine Taille und Hüfte. Meine blonden Haare harmonieren gut zu dem Rot und das Dekolleté zeigt weder zu viel noch zu wenig. Ich höre Alexandra nach mir rufen und gehe zurück in Kylies Zimmer. „Wow!", quietscht Mia als sie mich sieht. Kylie wirft mir einen anerkennenden Blick zu. „Ich wusste, dass es dir steht. Jetzt noch Locken und ein bisschen Make-up und fertig", flötet Alexandra. Sie selbst trägt ein blaues Abendkleid und hat sich eine lockere Hochsteckfrisur gemacht.
Als sie auch meine letzte Strähne durch den Lockenstab gezogen hat ist es zwanzig vor sieben. Tirza erscheint im Türrahmen und klimpert mit den Autoschlüsseln. „Können wir?", fragt sie und begutachtet uns alle. Kylie springt auf und drückt ihrer Schwester ihr Handy in die Hand: „Mach noch schnell ein Foto, dann kanns los gehen." Wir rücken zusammen und strahlen in die Kamera. Kylie nimmt ihr Handy zurück und wirft einen Blick auf das Bild, dann lädt sie es in ihre Snapchatstory. Sie grinst und hakt sich mit dem einen Arm bei mir und mit dem anderen bei Alexandra unter. „Partytime!", kichert sie und hüpft die Treppe runter.

Black and WhiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt