Kapitel 16.

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Als ich meine Augen öffne sitze ich auf einem unbequemen Stuhl. Die Luft ist eisig und die Wände um mich erinnern an einen alten Keller. Auch die massive Holztür an der mir gegenüberliegen Wand sieht nach einem Kellereingang aus. Der Raum ist dunkel, nur eine matt leuchtende Lampe hängt von der gewölbten Steindecke. Ich will aufstehen und zur Tür gehen, doch als ich mich aufrichte spüre ich einen Widerstand an meinem Handgelenk. Erst jetzt bemerke ich eine Eisenkette, die mich an einen Haken an der Wand fesselt. Mit meiner linken Hand versuche ich die Kette abzuziehen, doch das stellt sich schnell als so gut wie unmöglich heraus. Ich überlege ob ich schreien soll, aber wahrscheinlich würde ich damit eher nach Gabriel als nach Hilfe rufen. Wie auf ein Stichwort wird plötzlich die Tür geöffnet und drei männliche Dämonen betreten den Raum. Unter ihnen ist Gabriel. Ich beiße die Zähne zusammen und drehe gereizt meinen Kopf zur Seite. Gabriel kommt auf mich zu. „Ich hoffe dir gefällt es bei uns, meine Teuerste. Nicht jedem unserer Gäste gewähren wir ein eigenes... Zimmer", sagt er und blickt auf mich herab. Ich will mir weder vorstellen was er mit Gästen noch mit der langen Pause vor „Zimmer" meint. „Was willst du?", frage ich und verfolge ihn mit meinem Blick. „Ich will deine Kraft. Und du wirst sie mir verraten." Plötzlich ist seine Stimme kalt und er umklammert die Lehne des Stuhls auf dem ich sitze. „Ich weiß meine Kraft nicht, das hab ich doch schon gesagt!", antworte ich wütend. „Lüge!", schreit Gabriel und bevor ich etwas erwidern kann, schnellt seine Hand nach vorne und verpasst mir eine Ohrfeige. Erschrocken halte ich mir meine Wange. Die Eisenkette klirrt. „Ich weiß meine Kraft nicht! Ich kann und werde dir nicht helfen, egal bei was!", kreische ich hysterisch und voller Panik. Ein zweites Mal spüre ich seine Hand auf meiner Wange. Die Stelle brennt und ich muss mich zusammenreißen, um nicht los zu weinen. Warum kann ich nicht einfach aus diesem schrecklichen Traum aufwachen? „Du willst also nicht reden...", zischt Gabriel. „Bringt mir Lukas", befiehlt er und die Tür wird geöffnet. Ich muss genauer hinsehen um in der gekrümmten Gestalt den sonst so selbstsicheren Lukas zu erkennen. Ich zittere bei seinem Anblick am ganzen Körper. Lukas hebt seinen Kopf und sieht zu mir. Diese Bewegung strengt ihn unglaublich an. Seine Augen funkeln nicht mehr, rote Kratzer und Striemen zieren sein Gesicht. Ich kann die Träne nicht zurückhalten, sie rinnt heiß mein Gesicht hinunter. „Lass mich zu ihm", flehe ich und ziehe an meiner Fessel. „Sag mir deine Kraft", antwortet Gabriel. Es kümmert ihn nicht im Geringsten, dass sein Sohn wie tot hinter ihm kauert. „Sag es, oder ich werde ihm Schmerzen zufügen, die er nie wieder los wird." Er hebt die Hand und einer der hinter Lukas stehenden Dämonen tritt ihm mit voller Wucht in den Rücken. Lukas schreit nicht, sondern sackt nur noch weiter in sich zusammen. „Nein!", rufe ich, „Wie kannst du nur? Er ist dein Sohn!" Gabriel wirft einen Blick zu Lukas, dann guckt er wieder zu mir. „Er ist wertlos. Er hat den Clan verlassen. Dieser Junge verdient es nicht, mein Sohn zu sein." Mein Herz krampft sich zusammen. Ich glaube, ich habe noch nie so viel Hass für jemanden empfunden. Gleichzeitig war ich noch nie so vollkommen hilflos. „Ich werde dir helfen... Aber lass Lukas gehen", flüstere ich ergeben. „Ich stelle hier die Forderungen, Leah. Du tust was ich dir sage, und du tust es, ohne etwas dafür zu verlangen. Heute Abend ist eine Versammlung einiger Übernatürlichen. Sie werden sich mit Devon treffen und ihre alljährlichen Gespräche führen. Und wir werden in die Versammlung platzen und Devon töten. Und du wirst mir dabei helfen. Soweit verstanden?" Nein. Kein einziges Wort, außer, dass Gabriel Devon töten will und dass ich diesen Namen schon einmal gehört habe. Aber wann? Ich versuche mich zu erinnern und plötzlich fällt es mir ein. Niklas hat damals mit ihm telefoniert und ihm von meinem Schatten berichtet! Aber wer genau dieser Devon ist, weiß ich nicht. „Wer ist Devon?", frage ich. Gabriel lacht und auch die beiden anderen Dämonen lachen auf. „Devon ist der Herrscher unserer Welt, er beruft Engel und Dämonen, er löscht Abtrünnige aus. Er ist dafür verantwortlich, dass alle Übernatürlichen ihre Aufgabe erledigen und es sich keine Gruppen bilden. Gruppen wie wir es sind. Wir sind die Abtrünnigen, Devon tötet uns ohne den Finger zu bewegen. Er ist der Mächtigste. Er hat einen zweiten Namen, du wirst ihn kennen. Sein richtiger Name ist Luzifer." Ich muss schlucken. Luzifer, der Teufel. „Aber wie willst du ihn stürzen, wenn er so mächtig ist wie du sagst?" Gabriel lächelt böse:„ Oh nein meine Liebe. Nicht ich werde ihn töten, sondern du. Du wirst mir den Weg freiräumen, mich zum Herrscher der Übernatürlichen machen." „Warum denkst du, dass ich das kann?", frage ich. „Deine Kraft muss sehr stark sein, so schnell wie du dich entwickelt hast. Also finde sie heraus, heute Nacht wirst du sie einsetzen!" Mit diesen Worten dreht er sich um und geht mit schnellen Schritten und in Begleitung beider Männer aus dem Raum. Die Tür fällt hinter ihnen ins Schloss. Jetzt sind Lukas und ich allein. Leblos liegt er vor mir. Ich lasse erst jetzt meinen Tränen freien Lauf. Ich zerre an der Kette, verbiege meine Hand um aus der Schnalle zu entkommen und nach einer gefühlten Ewigkeit ziehe ich mein blutiges Handgelenk aus der Fessel. Ich verbanne den höllischen Schmerz und stürze zu Lukas. „Wach auf, bitte wach auf", wimmere ich und bette seinen Kopf auf meinen Beinen. Lukas Lider zucken und er öffnet schwach seine Augen. „Es tut mir Leid", formt er mit den Lippen. Ich lege ihm meinen Finger auf den Mund: „Nicht sprechen." Ich streiche ihm über seine Haare. Lukas Hand zuckt und er will sie heben, doch ich greife nach ihr und halte sie fest. Vorsichtig streicht er über mein wundes Handgelenk, dann verschränkt er langsam seine Finger mit meinen. Seine sind rau und krustig, und doch fühlt es sich genau richtig an. So sitzen wir auf dem kalten Steinboden. Ich kann nicht sagen wie lange, denn ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Irgendwann richtet Lukas sich halbwegs auf, bis er sich an die Wand anlehnen kann. „Ich wollte das alles nicht", flüstert er. Dieses Mal unterbreche ich ihn nicht. „Der Anruf gestern Abend", Lukas schluckt, „das war Gabriel. Er hat gesagt, dass ich dich herbringen soll oder er würde dich gewaltsam holen. Er hat gedroht, dir etwas anzutun. Ich wollte Niklas anrufen, doch Gabriel hat gesagt, dass Niklas von ihm überwacht wird. Ich musste dich herbringen. Wenn Gabriel etwas will, bekommt er es auch. Egal auf welchem Weg. Es tut mir so unfassbar Leid." Er hustet und schluckt erneut. „Du hättest es mir sagen müssen", flüstere ich, erschrocken über seine Worte. „Ich hatte zu viel Angst um dich. Ich wollte dich beschützen, will es immer noch. Aber ich weiß nicht wie. Ich habe versagt", antwortet Lukas und legt den Kopf in den Nacken. Seine Augen sind glasig. Lukas hat Angst um mich und dachte, er würde mich so schützen. Bei diesem Gedanken beschleunigt sich mein Puls. Ich rutsche auf ihn zu: „Es ist okay. Du kannst nichts dafür. Wir müssen einen Weg finden um hier rauszukommen." „Niemand kommt hier raus. Und wenn, dann nicht lebendig." Lukas klingt bitter, ich weiß, dass er bereits aufgegeben hat. „Aber du bist doch auch schonmal entkommen", rufe ich ihm in sein Gedächtnis. „Ja, aber ich hatte Hilfe von Niklas und..." Mitten im Satz hält er inne. Sein Blick schnellt zu mir. „Was ist? Was ist los?", frage ich erschrocken. „Ich weiß nicht, ob es funktioniert, aber wir müssen es probieren...", murmelt Lukas. „Was denn??", wiederhole ich. Lukas beugt sich zu mir. „Du musst versuchen mit Niklas zu kommunizieren. Jeder Hüter hat eine Verbindung zu seinem Schützling, die es ihm erlaubt, mit dem jeweils anderen Kontakt aufzunehmen. Erinnerst du dich an das Kino? Wir haben miteinander geredet, per Gedanken." Mir fällt wieder ein, wie ich auf einmal Lukas Stimme in meinem Kopf gehört habe. Ich nicke. „Okay. Wie mach ich das?", frage ich, fest entschlossen es zu versuchen. „Du musst ein Bild von ihm vor deinem inneren Auge haben, konzentrier dich. Denk nur an Niklas. Irgendwann wirst du ein komisches Gefühl haben, du merkst, wenn du in seinen Kopf gedrungen bist." Ich schließe die Augen um mich besser konzentrieren zu können. Ich denke an Niklas, sein Aussehen, seine Stimme, seine für ihn so typischen Gesten. Auf einmal überkommt mich ein Gefühl, es ist unbeschreiblich. Es ist, als würde ich Niklas Gedanken hören, ich kann nichts zuordnen, nur einzelne Wortfetzen fliegen an mir vorbei. Ich spüre meinen Körper nicht mehr, höre nur noch Niklas Gedanken. „Niklas?", frage ich leise und bete, dass er mich hört. Ich erhalte keine Antwort, also wiederhole ich meine Frage: „Niklas? Kannst du mich hören?" „Leah?", seine Stimme klingt skeptisch und doch so vertraut. Ich will los jubeln, aber ich reiße mich zusammen. „Ja, hier ist Leah. Wir sind gefangen, Gabriel will, dass ich Devon töte und Lukas ist verletzt, wir sind hier in irgendeinem Keller...", sprudelt es aus mir heraus. „Langsam, wo genau bist du? Und warum bist du bei Gabriel?", unterbricht Niklas meinen Wortschwall. Ich fasse kurz und knapp alles zusammen, was ich weiß. Als ich fertig bin, kriege ich lange keine Antwort von Niklas und will gerade in Tränen darüber ausbrechen, dass ich mit der Kommunikation gescheitert habe. Doch da höre ich erneut seine Stimme: „Ich bin auf dem Weg. Wir holen euch da raus, haltet durch, okay?" Dann bricht unsere telepathische Verbindung ab. „Er kommt", sage ich und drehe mich zu Lukas. „Niklas ist auf dem Weg hierher!", wiederhole ich etwas lauter, doch Lukas reagiert nicht. Ich stolpere zu ihm zurück. Seine Lider sind geschlossen, sein Kopf ist zur Seite gekippt. Ich taste fahrig mit den Fingern nach seinem Puls. Ich finde ihn nicht. Oder hat er keinen mehr? Nein, das darf nicht sein. Ich drücke meinen Finger erneut auf die Stelle, wo sein Puls zu fühlen sein müsste, vergeblich. „Lukas, komm zu dir; Niklas holt uns hier raus, bitte, komm zu dir", flüstere ich und fange wieder an zu weinen. Jegliche Freude über mein Gespräch mit Niklas ist verflogen, in meinem Kopf ist nur noch Sorge und Angst. Ich nehme Lukas Hand in meine. „Lass mich hier nicht allein, wach auf, du verdammter Vollidiot", schluchze ich, doch Lukas rührt sich nicht. Ich verflechte unsere Finger ineinander. „Wach auf", bitte ich ein letztes Mal. Das darf alles nicht passieren. Nur tote Wesen haben keinen Puls, und Lukas ist nicht tot, darf nicht tot sein. Ich senke meinen Kopf und drücke ihm einen Kuss auf seine Lippen. Der nicht erwiderte Kuss schmeckt salzig, ich schluchze immer heftiger und lege meinen Kopf auf seine Brust. Ich umklammere seine Hand, flehe, dass er aufwacht. Auf einmal spüre ich eine Wärme in meiner Hand, ein Gefühl, als würde ich meine Hand an einen Ofen legen. Das Gefühl wird immer unangenehmer, jetzt fühlt es sich an wie eine Verbrennung. Ich richte mich auf und betrachte meine, in Lukas Hand liegende, Rechte, doch äußerlich ist nichts zu erkennen. Sie pocht und schmerzt und ich will mich von Lukas losreißen, aber ich kann sie nicht bewegen. Ich presse die Lippen aufeinander um vor Schmerz nicht loszuschreien, ich spanne jeden Muskeln an. Plötzlich spüre ich noch ein zweites Gefühl in meiner Hand, als würde jemand sie drücken. Ich sehe in Lukas Gesicht. Dieses ist verkrampft. Er keucht und atmet schwer. Panisch realisiere ich, was hier passiert. Meine Hand brennt nicht mehr wie Feuer und ich kann wieder klar denken. Lukas stöhnt gequält auf. Ich hebe seinen Kopf, damit er mich ansehen kann. „Ich bin hier, alles wird gut. Niklas ist auf dem Weg zu uns", beruhige ich ihn, fühle mich aber selbst total aufgewühlt und schwach. Mein Schädel dröhnt, ich hole tief Luft. Mir wird schwindelig. Lukas zieht sich hoch: „Leah", fragt er, doch ich höre ihn nur, wie durch Watte. Die Welt um mich dreht sich langsamer, meine Sicht ist eingeschränkt. Die Tür wird aufgerissen, verschiedene Leute strömen in den Raum. Mein Name wird gerufen, doch ich kann nicht reagieren. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Mir wird schwarz vor Augen und ich sacke auf Lukas Brust in mich zusammen.

Black and WhiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt