Gründe |||

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Jako zog sich schwermütig an der Wand hoch. Er schlang die Arme um seinen Torso. Obwohl er seinen dicken Pulli trug, fror er.
Ihm war kalt. Innerlich.
Und er wusste nicht, ob diese innere Kälte je wieder in Wärme umgewandelt werden würde.
Er war noch immer vollkommen überrascht von sich selbst, dass er es nach all den Monaten geschafft hatte, sich zu überwinden und Felix zu beichten, wie es ihm ging.
Warum seine Augen immer toter und leerer waren, warum er oft nur so tat, als wäre er noch lustig und zu Späßen aufgelegt. Warum er immer seltener mit den anderen abends oder über den Tag verteilt zusammen hockte oder raus ging. Warum das Bett immer mehr und mehr sein einzig sicherer Rückzugsort war, warum er in der Musik und in dem Papier seine zwei besten Freunde fand. Und weswegen er noch mehr als üblich rauchte.
Sich teilweise von David dazu verführen ließ, öfters Alkohol zu trinken. Sich selbst immer mehr zum Geist einer ohnehin doch so belasteten Gesellschaft machte.
Alles in allem fand er keine Kraft mehr, sich in der modernen Welt, die so sehr am überbordern von Reizen und Geräuschen und Menschen war, dass es ja doch ein Wunder des Universums war, dass er, Jakob Joiko, vierundzwanzig Jahre alt, und ja eigentlich viel zu jung, um so verbraucht und müde, ja so müde zu sein, dass das eigentliche Wunder hier doch war, dass er noch im Ganzen hier stand.
Felix trat wieder in das Zimmer, um ihn zu holen. Damit sie zum Arzt konnten. Doch er wusste gerade nicht mehr, wie sehr er das wollte.
Beziehungsweise, wie sehr er das noch konnte. Jakob fühlte etwas.
Angst. Unsicherheit. Schlechtes Gewissen Felix und allen anderen, die mit ihm zu tun hatten, packte ihn.
Packten ihn wie lange, metallene Nadelfinger, die schon rostig waren und ihn hinunterzerren und für immer im schweren, dunklen See der Einsamkeit ertränken wollten.
Doch Felix zog ihn beschützend an sich, kurz bevor Jakos Beine ganz kurz vorm Nachgeben waren, flüsterte ihm liebevoll freundliche, warme und vor Allem beruhigende Worte zu. Kleine Schnipsel seiner Liebe in Jakos Inneren fügten sich wieder sehr langsam zusammen.
Er wagte es, aufzusehen, in die friedlichen, dennoch besorgten Augen seines besten Freundes.
Er schämte sich, so schlecht von seinen Freunden und vor Allem von sich selbst zu denken. Er wollte das ja auch nicht. Er hasste es, immerzu so niedergeschlagen und immer während so...ja. So unfassbar leer zu sein. Er mochte das Gefühl nicht.
"Verzeihst du mir?
Felix?", krächzte er leise und fühlte im nächsten Moment Felix Hand, welche vorsichtig über seine Haare strich, immer wieder. Er verstand, lehnte sich, nun etwas kleiner wirkend trotz seiner hochgewachsenen Größe an den Kleineren, hörte das beruhigende, so schöne Pochen des Herzens seines Leidensgenossen.

One shots (Youtube)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt