2 - Montag

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Montag.

Der erste Tag nach den Sommerferien war ein Montag gewesen. Ein verregneter Tag, der sich in die Länge zog. Ich mochte den Regen. Wie er so klar über meine Stirn kullerte und das prasselnde, angenehme Gefühl auf der Haut, vereint mit dem schönen Plätschern, das er verursachte, wenn er auf den kahlen Asphalt fiel.

Stundenlang könnte ich draußen stehen, vielleicht nur mit einem großen T-Shirt bekleidet und ihn auf meiner Haut spüren, den Regen. Es war unbeschreiblich, schon fast magisch, wenn die Zeit für einen kurzen Moment still stand.

Trotz der schönen Klänge des Regens, wachte ich an diesem Tag mit Bauchschmerzen auf. Keine Bauchschmerzen, die man bekam, wenn man etwas schlechtes gegessen hatte oder vielleicht krank war, nein, das bebende Ziehen und Drücken, dass nicht von dir abließ. Ich fühlte mich träge und spürte die Angst, wie sie sich an mein schwaches Herz klammerte.

Schon seit Jahren bereitete mir der Aufenthalt in der Schule Angst. Sie war super gelegen und umgeben von einem Stück Wald, dass ich jeden Morgen durchqueren musste, doch die dazugehörigen Menschen jagten mir einen Schauer über den Rücken. Damals hatte ich noch Freunde gehabt, denen ich einst von meinem Traum erzählte. Wie schwer es für mich war, aber sie blieben an meiner Seite, bis ich eines Tages in das besagte Klassenzimmer lief.

Eine zusammenhaltende Menschenmenge, die mich herablassend und angewidert anstarrte, als wäre ich ein Insekt, welches sie hätten vernichten müssen.

,,Hinterhältige Transe!"

Es tat weh. Jede einzelne Beleidigung, die sie mir an den Kopf warfen, sie taten alle weh und das nur, weil ich zwei Menschen meine Liebe geschenkt hatte. Von nun an lauerte man mir hinterher, schubste oder pöbelte mich an, wenn man die passende  Gelegenheit dazu bekam. Oft sagte ich mir, es wäre nur eine herkömmliche Phase, die die Jugend irgendwann durchlebte, getrieben von einer großen Packung Langeweile, aber ich hatte mich geirrt. Es entwickelte sich purer Hass, doch warum?

Der Montag führte mich durch die mir bereits bekannten Schulgänge, die Bauchschmerzen breiteten sich währenddessen in meinem Körper aus. Mir wurde schlecht, als ich die vielen Menschen vor dem Klassenzimmer entdeckte. Sie schienen mich nicht wirklich zu bemerken, weshalb ich mich durch die Menge mogelte und an einen Spind lehnte, die Hände dabei im Inneren der Jackentasche.

Ein beißender Duft stieg in meine Nase. Er roch nach einem billigen Aftershave, dass man sich für einpaar Cent im Kiosk am Stadtrand kaufen konnte. Mein Kopf schoss in die Höhe und da standen sie, wie auf einem Kindergeburtstag und betrachteten das Geschenk, welches ausgepackt werden sollte: Ich. ,,Hattest du schöne Ferien, Alice?"

Den Sarkasmus konnte ich auf meiner Zunge schmecken und meine Augen fielen auf die eindringlichen, blauen Augen des Jungen, der genüsslich auf seinem Kaugummi rumkaute. ,,Ja, die hatte ich." ,meinte ich leicht verunsichert. ,,Oh, ist das so? Tja, man sagte mir, du hättest Gestern Geburtstag gehabt und da wollte ich dir dein Geschenk überreichen."

Er spuckte sein Kaugummi aus und drückte es mit einer schnellen Handbewegung an meine Stirn. Wut stieg in mir auf und plötzlich waren sie verschwunden, die Bauchschmerzen. Sofort schnipste ich es weg, während sich ein boshaftes Grinsen auf seine Lippen formte. ,,Was willst du eigentlich von mir, Mike?" Sein Grinsen verärgerte mich.

,,Weißt du, Alice, für eine ekelhafte Transe bist du ziemlich frech. Du bedankst dich nicht einmal." ,,Wofür sollte ich mich bedanken, für deinen miesen Charakter oder deine Dummheit?" Sofort verkrampften sich die einst weichen Gesichtszüge des Jungen. ,,Hast du mich gerade dumm genannt?" ,,Taub bist du also auch noch." Mike presste mich gegen den Spind, woraufhin ich zusammenzuckte. Fest umklammerte er meine Arme und sie fingen an zu schmerzen.

,,Lass mich los!" Die Griffe verstärkten sich. ,,Weißt du, was du bist? Eine blöde Kuh, die nicht mal weiß, ob sie ein Junge oder Mädchen ist. Es wundert mich, dass deine Eltern dich nicht sofort abgetrieben haben, so wertlos wie du bist." Autsch. ,,Loslassen!" ,rief ich laut. ,,Schrei nur noch lauter, so einem Misstück wie dir hilft sowieso niemand."

Sie feuerten ihn alle an. Nacheinander, klatschten begeistert in die Hände und jubelten, bis plötzlich die vielen Schmerzen durch mein Gesicht fuhren. Ich fiel hin, hörte den unglaublich lauten Lärm, der  nach und nach verblasste, als wären meine Ohren vollkommen taub gewesen. Die Augen füllten sich mit Tränen, die meine Sicht verdunkelten, bis irgendwann das Licht ausging und mein Körper in die tiefe Schwärze fiel.

Song: Through the Cellar Door ~ Lanterns  On The Lake

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