4 - L wie Lüge

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Das orange-rot farbene Licht der Kerzen, welche auf meinem Regal standen, erhellte mein Zimmer. Es tränkte den Raum in eine entspannte und ruhige Atmosphäre, die mich nicht vollkommen verrückt werden ließ, während meine Eltern nacheinander auf mich einredeten. Fragen. Ich hörte nur Fragen, hier und dort und wie und warum. Wie ein Wasserfall sprachen sie weiter und irgendwann, da stand ich einfach auf. Meine Beine agierten wie von selbst und plötzlich blieben sie stumm, schauten mich mit großen Augen an und lauschten der Stille. Sie warteten und ich legte los mit meinen Lügen.

,,Mike Wrinwood, sein Name ist Mike Wrinwood und er schlug mich aus nur einem einzigen Grund. Es gab im Flur eine kleine Prügelei, kurz bevor die Stunde anfing. Er und ein anderer Junge streiteten sich, warum wusste ich nicht, aber als Mike ausholen wollte, ging ich dazwischen, weil ich ihn davon abhalten wollte. Und dann schlug er mich, reflexartig, aber ungewollt. Ja, er war im Sanitätszimmer nicht bei mir und ich weiß auch nicht, was man euch am Telefon erzählt hat, doch Fakt ist, dass es ein Versehen war und er sich deshalb wahrscheinlich furchtbar schämt. Vielleicht entschuldigt er sich eines Tages bei mir, vielleicht kann er mir nie wieder in die Augen schauen, geschweige denn mit mir reden und vielleicht, ja vielleicht ignoriert er mich einfach für den Rest seines Lebens und vergisst, dass er ein Mädchen verletzt hat, aber wisst ihr was? Das ist okay, weil ich es ihm nicht Übel nehme und weil Menschen Fehler machen, sowohl bewusst, als auch unbewusst, doch irgendwann, da wird er sich vor den Spiegel stellen und sagen, dass er es war. Er wird es seinem eigenen Spiegelbild beichten und er wird weinen, weil er es nicht wieder gut machen kann, aber er wird auch weinen, weil er es akzeptieren muss."

Es war ruhig. Meine Eltern wirkten wie gelähmt und ich war es auch. Ich fühlte mich so unglaublich dreckig. Nicht nur, weil ich gelogen hatte, sondern auch, weil ich diesen Menschen in Schutz nehmen musste, damit ich mich selbst beschützen konnte. Mir war klar, dass er es nicht verdient hatte, aber ich glaubte an meine letzten Worte. Eines Tages, so wird er sich vor den Spiegel stellen, mit seinen verfilzten Haaren und seinem Drei- Tage- Bart und weinen, da er sich unglaublich schuldig fühlt. Er wird die Zeit nicht zurückdrehen können, so, wie die anderen. Sie werden alle vor dem Spiegel stehen und wissen, was für furchtbare Menschen sie doch einst gewesen waren.

Und ich, ich werde glücklich sein.

,,Und du bist dir wirklich sicher?" ,fragte meine Mutter skeptisch. ,,Ja." ,,Ist gut." ,ertönte es von meinem Vater. ,,Wir werden nichts unternehmen, aber falls sich das wiederholen sollte, kommt der Bursche nicht so leicht davon." ,,Danke." ,flüsterte ich, während sie zusammen mein Zimmer verließen. Meine Beine gaben zitternd nach und ich fiel auf die Knie, nachdem die einzelnen Tränen aus meinen Augen kullerten. Zwanghaft bildete sich ein Lächeln auf meinen Lippen.

,,Ich werde glücklich sein."

Song: Sunbird ~ William Henries Michael Holborn

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