Am Montag war es erneut so weit und ich lief durch die kahlen Schulflure. Mir fiel sofort auf, dass es ungewöhnlich ruhig war, während ich in den verschiedenen Klassenräumen saß und am Unterricht teilnahm. Es lag eine gewisse Spannung in der Luft und ich fühlte, wie jedes Augenpaar mich anstarrte, als wüssten sie, dass jeden Augenblick etwas schreckliches passieren würde. Vielleicht erzählte man ihnen von den Geschehnissen und sie lachten mich innerlich aus, weil man mich dafür zusammenschlagen würde.
Auch ich wusste es. Ich wusste, dass Mike mich verletzen würde. Vor all den anderen Schülern, er würde vor Wut platzen, doch was er nicht wusste, war, dass ich mich wehren würde. Ich würde mich mit Worten wehren, ihm langsam seine Stärke entziehen und ihn dann verrotten lassen, so, wie er es verdient hatte.
Und er? Er wird nicht zuschlagen können, weil es wahr sein wird, denn wenn man sich vor einer Sache nicht verstecken konnte, dann war es die nackte Wahrheit. Einzelne Schüler kamen während der Pause zu mir und bedrohten mich, als würde mir ihr Gerede Angst einjagen. Viele sprachen von der einen, großen Pause, in der mir Mike mit seinen Freunden die Hölle heiß machen würde. Ich hätte es, laut ihm, verdient und ich lachte sie an, weil sie trotz der vielen Jahre auf dieser Schule dumm geblieben waren.
Das Klingeln der zweiten, großen Pause brach an und ich lief den Schülern hinterher, welche sich auf dem Schulhof versammelten. Von einem Lehrer war weit und breit keine Sicht und so schubsten sie mich in die Mitte, dicht gefolgt von einem lauten Tumult. Doch als ich die schwarzen Haare sah und das billige Aftershave erneut in meine Nase kroch, wurden sie still. Mike betrat lässig die Mitte mit seinen Freunden und lächelte mir verstohlen zu.
,,Ah, da bist du ja, Alice! Wie geht es dir Heute denn so?" ,rief er sarkastisch. ,,Hervorragend." ,antwortete ich monoton und sah ihm dabei tief in seine verlogenen Augen. ,,Ist das so? Das freut mich, sehr sogar, weil ich dir deine gute Laune gleich häppchenweise nehmen werde." Ich rührte mich nicht. ,,Keine Reaktion? Wie niedlich. Wie du weißt, hätten wir das Ganze letztens im Wald klären können, aber da du mit deiner Lesbenfreundin abgehauen bist, sind wir nicht dazu gekommen." ,,Sie ist nicht meine Lesbenfreundin, du Idiot. Du weißt doch nicht mal, was eine Lesbe ist, so erbärmlich bist du."
Das Tuscheln in der Masse zeigte mir, dass ich genau richtig lag. Es klang wie Musik in meinen Ohren und ich machte weiter.
,,Weißt du, Mike, du ziehst immer mit deinen Schoßhündchen durch die Schule, baust dich vor anderen Menschen auf und nimmst ihnen ihre Würde, obwohl sie dir nichts getan haben. Es gab eine Zeit, in der ich mich gefragt habe, warum du so etwas tust und eines Tages, da ist es mir eingefallen. Du bist selbst so unglaublich schwach, dass du den Schwächeren alles nimmst, damit du dich als ganz großer und brutaler Schläger verkaufen kannst, aber du bist keiner und du wirst auch nie einer sein."
Lass nicht zu, dass sie dir deinen Stolz nehmen.
,,Du und deine Freunde, ihr denkt, ihr seid etwas besonderes? Etwas, vor dem man Respekt haben und sich sagen lassen sollte, wie man zu Leben hat? Wie ich mich zu kleiden habe und wer ich sein darf und wer nicht? Welchen Interessen ich nachgehe, ja, sogar welchen Personen ich meine Liebe schenken darf? Das alles soll in euren schmutzigen Händen liegen? Ihr widert mich an. Mit jedem Wort, dass ihr sagt und jeder Tat, die ihr vollbringt, es lässt mich erschaudern. Ihr wollt mir alles nehmen? Dann bitte schön, vergnügt euch an dem, was ich einst liebte, aber eins sage ich euch: Ihr könnt mir meinen Ruhm nehmen, meine Freunde, könnt mir so oft Beleidigungen an den Kopf werfen oder mich bloß stellen, wie ihr wollt, mich nach der Schule dort erwarten, wo mir niemand zu Hilfe eilen kann, wenn ihr mal wieder versucht, mich zu brechen, doch meinen Stolz werdet ihr mir nie nehmen können."
Er lief auf mich zu und holte aus, doch ich hielt seine Hand fest. ,,Nie wieder wirst du mir auch nur einen einzigen Schlag verpassen, weder mir, noch sonst einer Person, hast du mich verstanden? Schluss mit den Schlägerein und Beleidigungen, nicht mal anfassen wirst du mich, Mike." Ich ließ seine Hand los und sah es.
Die Schwäche in seinen Augen.
Ich betrachtete die Gesichter der Schüler und stellte mich aufrecht hin.
,,Ich, Alice Dunn, bin transgender und ich bin stolz darauf."
Song: The Funeral ~ Band of Horses
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Different
Teen FictionNachdem die 15 Jährige Alice sich ihrer Geschlechtsdysphorie bewusst wird, trifft diese auf ein äußerst helles Köpfchen, welches ihr bei dem schweren Prozess der Selbstfindung hilft.