9 - Auf 3

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Ellie hatte einen Wunsch.

Ein Wunsch, der so verrückt war, dass ich sie verwirrt anstarrte, als sie in der Nacht plötzlich vor meinem Fenster stand und daran klopfte. Zuerst kam es mir wie ein Streich vor, den mir mein Kopf spielte, doch das Klopfen verstärkte sich. Barfuß näherte ich mich ihm und erschrak, nachdem Ellie mir zuwinkte. Sie hatte mich schon mal aus Neugier zu meinem Haus begleitet, doch dass sie sich den Weg merken würde, hätte ich nicht vermutet.

,,Was ist los?" ,fragte ich sie daraufhin, als ich es öffnete. ,,Warst du Nachts schon mal schwimmen?"

,,Nein."

,,Ich auch nicht, lass uns schwimmen gehen!" ,flüsterte Ellie und ich sah dieses Funkeln in ihren Augen, als würde sie mit ihrer Idee die Welt vollkommen verändern. ,,Du willst um fast zwei Uhr schwimmen gehen?" ,fragte ich einwenig verunsichert. ,,Ja." ,,Ich kann nicht. Was ist, wenn meine Eltern merken, dass ich nicht zuhause bin?"

Sie stieg durch das Fenster, griff nach den vielen Kissen, die auf meinem Sessel lagen und stopfte diese unter meine Bettdecke. ,,So, ich denke, dass das reichen sollte." ,bewunderte Ellie ihr Werk. ,,Du kannst deine Tür noch abschließen, falls dir das nicht sicher genug erscheinen sollte, aber die Kissen Methode klappt bei meinen Eltern immer."

Ihre Hände öffneten meinen Kleiderschrank und zogen eine Jacke heraus, die sie mir zuwarf. ,,Es ist nicht all zu kalt draußen, aber wenn du erst mal klitschnass bist, frierst du dir deinen Hintern ab." Ich schaffte es nicht, sie von ihrer Idee abzuhalten. In binnen Sekunden griff die Hand des verlorenen Engels nach meiner und ich stolperte mit meinen Beinen fast aus dem Fenster.

,,Warte, ich kann es doch nicht einfach so offen lassen." Ein Lachen ertönte. ,,Glaub mir, kein Mensch wird den winzigen Spalt erkennen. Die Erwachsenen sind nicht so zierlich, wie wir und verursachen daher auch mehr Lärm."

Während wir durch die Straßen der Stadt schlenderten, zog ich mir meine Jacke an und beobachtete Ellie. ,,Wie hast du dir das eigentlich vorgestellt?" ,hakte ich nach. ,,Es gibt da so ein Freibad, am Ende der Stadt, in dem ich früher oft mit meinem Dad war, aber irgendwann ergriff die Dummheit Besitz von ihm und er kaufte sich diese teuren Zigarren. Du weißt schon, die komischen, etwas dickeren Stangen, von denen ich nie verstand, warum sie teurer waren, als die anderen. Er fühlte sich wohl irgendwie total wichtig, während er bewusst den tödlichen Rauch inhalierte, obwohl er damit total bescheuert aussah, wie ein kleiner Junge, der nicht viel Ahnung von Zigaretten hatte, aber trotzdem welche rauchte, weil der Gruppenzwang ihn dazu überredete. Vielleicht waren es seine Arbeitskollegen, vielleicht auch seine Freunde, doch der Punkt ist, dass er mir nie genau erklären konnte, warum er rauchte. Und dann, eines Tages, kam er aufgelöst und schockiert nachhause, gelähmt, weil er zuvor auf der Arbeit bewusstlos geworden war. Er bekam tatsächlich Lungenkrebs und starb daran, trotz Chemotherapie. Und weißt du, was er mir sagte, als er im Sterben lag? Es wäre die Sucht und der Stress gewesen, die ihn davon abhielten, damit aufzuhören und ich lachte, weil der Krebs ihn nicht nur tötete, sondern seinem Gehirn noch mehr Dummheit schenkte. Wenn er es gewollt hätte, hätte er auch damit aufgehört, aber das hat er nicht."

Ellies Ehrlichkeit überraschte mich und ich konnte nichts anderes tun, als gebannt ihrer Stimme zu lauschen. Ich brachte kein einziges Wort zu stande. ,,Wie auch immer, ich erinnere mich daran, dass dieses Freibad nicht sonderlich viel von Sicherheit hielt und es nur einen einfachen Metallzaun gab, der mich von ihm trennte."

Tatsächlich existierte der alte, grüne Zaun immer noch. Wir kletterten ihn hinauf und sprangen von der anderen Seite ab. ,,Bist du dir sicher, dass wir hier nicht erwischt werden?" ,,Absolut." Sie lief mit mir über die grüne Wiese, blieb vor einem großen Becken stehen, welches mit Wasser gefüllt war und streifte sich ihre Klamotten vom Körper, bis sie letztendlich nur noch in Unterwäsche vor mir stand.

,,Du bist dran. Vertrau mir."

Und ich vertraute ihr, zog mir die Kleider aus und umschling ihre Hand. ,,Mir ist jetzt schon kalt." Meine Zähne klapperten vor sich hin. ,,Das wird super! Auf 3...1, 2, 3!"

Zusammen holten wir tief Luft und sprangen nach vorn, in das eiskalte Wasser, welches unseren Körper umhüllte.

Song: Waterfall ~ James

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