Blau, Alice, es ist blau.
Der Sportunterricht war eigentlich einer meiner liebsten Fächer gewesen. Ich mochte den Sport und die vielen Möglichkeiten, doch auch wenn ich die Stunde damit verbrachte, mich ausnahmsweise mal auf mich zu konzentrieren, so gab es einpaar Momente, in denen in nachgab.
Die einen vorhersehbarer, als die anderen.
Ich kniete auf dem Boden. Er war kalt und spiegelte die Temperatur der Umkleidekabine wieder, in der ich mich befand, halbnackt und weinend. Die vielen Mädchen standen wie immer um mich herum, bewarfen mich mit schrägen Anschuldigungen und Beleidigungen, die ich mir zu Herzen nahm.
Immer wieder und ich spürte, wie die Kälte meinen Körper übernahm und aus ihm eine lähmende Hülle formte, aus der ich nicht entkommen konnte. Die Wut schlummerte in meinem Kopf, aber sie teilte sich ihren Platz mit der Angst, der furchtbar großen Angst, die sie von dem abhielt, was sie wollte. Die Wahrheit, die Ehrlichkeit, eine Chance.
Auch Mike spukte in meinem Kopf herum und ich erinnerte mich an unsere Auseinandersetzung. An das Gefühl, welches ich aufeinmal verspürt hatte und wie die Angst verschwand. Hilflos suchte ich nach einem Grund. Warum konnte ich zum ersten Mal das sagen, was ich wollte und nicht das, was die anderen hören wollten?
Ein Rätsel, das nicht komplizierter hätte sein können. Sie musste sich irgendwo in meinem Kopf versteckt haben, die besagte Antwort, das Wundermittel, mit dem ich selbstbewusst sein konnte, auch wenn es nur einpaar Minuten waren.
Meine Beine verkrampften sich seltsam und der Blick fiel auf meinen dunkelblauen BH.
Blau, Alice, es ist blau.
Er sollte mir einen Weg zeigen, den ich endlich hätte gehen können, doch wo war er? Wieso beschimpfte man mich, für das, was ich tat, was ich dachte, was ich war.
,,Rede gefälligst mit mir!" ,schrie sie. Ihre braunen Haare fielen nach vorn und ihre Augen strahlten eine Widerwärtigkeit aus, die mich störte. Sie alle störten mich, während sie hinter ihr standen.
,,Ihr...seid so unglaublich armselig. Jeder einzelne von euch glaubt, er wäre etwas besseres, aber ihr steht alle hier und macht mich fertig, beleidigt mich, verspottet mich, aber wofür? Habe ich euch jemals etwas schlechtes getan oder euch ungerecht behandelt? Ich war respektvoll, habe versucht, es euch recht zu machen, doch wisst ihr, was ihr seid? Ein Haufen von sexistischen Monstern, Parasiten, die nicht mal wissen, was sie gerade von sich geben. Ihr solltet euch schämen." ,rief ich schluchzend.
Mein Körper bebte förmlich, von der Angst spürte ich keinen einzigen Funken mehr. Stattdessen hörten sie auf zu schreien. ,,Du wirst niemals glücklich sein. Du wirst irgendwo verrotten, so, wie du es verdient hast!"
Blau, Alice, du bist blau.
,,Nein. Ihr werdet diejenigen sein, die verrotten. Allein und unglücklich, weil sich niemand für euch interessiert. Und dann werdet ihr es bereuen, alles, was ihr jemals getan habt, aber es wird zu spät sein."
Song: In a Black Out ~ Hamilton Leithauser

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Different
Teen FictionNachdem die 15 Jährige Alice sich ihrer Geschlechtsdysphorie bewusst wird, trifft diese auf ein äußerst helles Köpfchen, welches ihr bei dem schweren Prozess der Selbstfindung hilft.