11 - Umzingelt

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Die vielen Äste und Blätter auf dem Boden erzeugten ein lautes Rascheln, während ich durch den Wald lief. Es war warm und die Sonne schien durch die verschiedenen Baumkronen auf den schmalen Waldweg. Schon von weitem erkannte ich Ellie, wie sie lächelnd meine Schritte beobachtete.

,,Gut, dass du da bist! Ich muss dir unbedingt einpaar Gedichte vorlesen, die ich vorhin entdeckt habe!" ,begrüßte sie mich und ich setzte mich auf die andere Seite der Bank. ,,Schieß los."

,,Es reden und träumen die Menschen
viel von besseren Tagen,
nach einem glücklichen, goldenen
Ziel,
sieht man sie rennen und jagen.
Die Welt wird alt und wieder jung,
doch der Mensch erhofft
Verbesserung."

Sie setzte erneut an.

,,Manchmal vergess ich die Welt
und geniesse die Stille.
Schweigend sitz ich auf jener Bank
um zu vergessen des Herbstes Winde.
Schweigend und Träumend
inmitten der Welt
Friede tritt ein, in meinem Herzen
für eine kurze Zeit"

,,Das erinnert mich an dich." ,gab ich zu. Ellie warf mir einen irritierten Blick zu. ,,Was, das Gedicht etwa?" Mein Kopf nickte. ,,Manchmal, wenn ich nachhause gehe, sehe ich, wie du deine Lektüre zu Seite legst und deine Augen schließt, einfach so. Oft frage mich dann, worüber du wohl nachdenkst oder ob du einfach nur dem Zwitschern der Vögel lauschst, doch gewusst habe ich es nie. Vielleicht träumst du von deiner Zukunft oder deinem Abschluss  aber es ist und bleibt mir ein Rätsel." ,gab ich zu. ,,Ich halte nicht viel von Rätseln. Sie sind nervig und reine Zeitverschwendung."

Ich schmunzelte. ,,Und dabei macht es dich selbst zu einem." ,,Weil du nicht so viel über mich weißt?" Sofort schüttelte ich den Kopf. ,,Nicht nur das. Es ist deine Art, dein Aussehen, dein Verhalten, es macht dich geheimnisvoll. Im ersten Moment wirkst du vollkommen unschuldig und dann steckst du plötzlich voller verrückter Ideen. Du erzählst nicht sonderlich viel von dir, aber wenn du es tust, dann auf eine besondere Art und Weise. Es ist irgendwie...rätselhaft."

Ellies Augen weiteten sich. ,,Woah, die anderen Menschen halten mich sonst immer für langweilig und uninteressant." ,,Blödsinn!" ,rief ich empört. Plötzlich hörte ich das laute Rascheln der Blätter und erschrak, als kurz darauf Mike mit einpaar anderen Jungs erschien. In seiner Hand hielt er eine Bierdose, aus der er einen Schluck nahm, bevor er auf den Boden spuckte.

,,Na, wen haben wir denn da? Ich hab's euch doch gesagt, diese beschissene Stimme erkennt man sogar, wenn man am Arsch der Welt ist. Du solltest nach der Schule eigentlich zu deinen Eltern rennen, im Wald können schlimme Dinge passieren, Alice." Er lief mit seinen Gefährten zu uns und blieb vor der Bank stehen. ,,Und wer ist das? Deine neue Lesbenfreundin? Sorry, wo bleiben denn meine Manieren."

Er hielt ihr seine Hand hin. ,,Ich bin Mike." ,,Und ich bin nicht interessiert." ,konterte Ellie monoton. ,,War ja klar, dass du dir so ein unverschämtes Weib geangelt hast." Er fuhr sich durch das gegelte Haar. ,,Wie dem auch sei, ich habe noch eine offene Rechnung mit dir zu begleichen. Dank deiner Heulerei letztens wurde ich an meine Eltern verpfiffen, weil dieser Witzbold, Mr. Harlware, nicht sein blödes Maul halten konnte und es gefiel ihnen anscheinend nicht, dass man dir ab und zu mal auf die Fresse hauen muss, damit du aus deinen Fehlern lernst."

Ich bekam Panik. Nicht nur, weil ich wusste, dass man mich erneut verletzen würde, sondern auch, weil ich nicht alleine war. Ellie ignorierte sein Gerede und stand ruckartig auf. Zuerst wollte ich sie davon abhalten, doch sie fokossierte sich auf Mikes Augen und ich sah, wie ihre unverzüglich anfingen vor Wut zu funkeln.

,,Jetzt pass mal auf, du Arschgeige, ich weiß ja nicht, für wen du dich hältst und was für gottverdammte Versager du als Eltern hast, die es nicht mal hinbekommen, ihrem Kind Respekt und Höflichkeit beizubringen, doch ich sage es dir jetzt zum ersten und zum letzten mal, also hör mir gut zu. Wenn du es noch einmal wagen solltest, Alice oder eine andere Person in irgendeiner Art und Weise zu verletzen, dann schwöre ich dir, so wahr ich hier stehe, dass ich dafür sorgen werde, dass du den Rest deines mickrigen Lebens in einer Jugendstrafanstalt verbringst, in der du es nicht einmal schaffen wirst, alleine auf die Toilette zu gehen, weil du deine Beine vor Schmerzen nicht mehr spüren kannst, also nimm deine lächerlichen Schoßhündchen und verschwinde."

Song: The Great Longing ~ Luh

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