Nightmare

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Sag mir, dass das nur ein Albtraum ist.
Sag mir, dass ich bald aufwachen werde, das alles bald ein Ende haben wird und dass das einzige, was hiervon übrig bleiben wird, eine Erinnerung sein wird.
Das hier kann nicht real sein.
Es ist nicht real.
Es ist nicht real.
Es ist nicht real.

Ich wiederhole die Worte wie ein Mantra. Immer und immer wieder. Sie sind das einzige, was ich kenne, das einzige in meinem Kopf. In meinem kranken, von Chaos erfüllten Kopf.
Ich verliere meinen Verstand.

Ich bin gefangen in diesem Körper, in mir selbst, in meinem Kopf. Ich selbst erschaffe diesen Käfig und lege mir diese Ketten auf. Ich kann nicht entkommen.
Ich kämpfe gegen mich selbst.
Es ist ein Kampf, den ich nicht gewinnen kann. 

Denn diese Stimme in meinem Kopf, sie schreit mich an, sie schlägt mich, lockt mich.
»Sieh es endlich ein. Hör doch auf, dich selbst zu belügen. Du kennst die Wahrheit bereits. Du bist nur zu feige, es dir selbst einzugestehen. Aber ich nicht. Keiner braucht dich. Es würde keinen Unterschied machen, wenn du fehlen würdest. Niemand würde dich vermissen. Also warum noch Zeit verschwenden? Du willst es doch auch. Ich weiß, dass du es willst. Du kannst mich nicht belügen, dich nicht vor mir verstecken. Ich bin du.«
»Nein«, flüstere ich nur, »nein. Nein, nein, nein, nein. Nein! NEIN! Verschwinde. Geh raus. Raus aus meinem Kopf! Geh weg!«

Ein scharfer Schmerz fährt durch meinen Kopf und ich verkrampfe mich.
Aufhören.
Es soll aufhören!
Bitte. Mach, dass es aufhört.
Ich ertrage das nicht länger.

Alles verschwimmt, wird undeutlich. Nicht so, wie es bei Tränen immer geschieht, die nehmen mir ohnehin die Sicht.
Ich verliere alles.
Den Faden zu mir selbst, zu anderen Menschen, zu meinem Verstand, zur Welt.
Alles wird bedeutungslos.

Ich will nicht durch diese Tür gehen und mich wieder dem stellen, vor dem ich zu fliehen versuche. Ich kann das nicht. 
Ich will es nicht.

Ich will fort von hier, einfach nur noch fort und weit, weit weg.
Denn es fühlt sich falsch an. Alles. Meine gesamte Existenz.
Ich gehöre hier nicht her.
Das hier kann einfach nicht mein Zuhause sein.

Sämtliche Sicherungen brennen durch.
Meine Gedanken kollabieren.
Ich verliere endgültig die Kontrolle.

Meine Hände, meine Beine, mein gesamter Körper - ich zittere. Und verkrampfe. Zucke. In alternierendem Rhythmus.

Denn meine Seele versucht verzweifelt zu entfliehen.
Und dafür muss sie den Körper zerstören.

Nichts ist mehr im Einklang; Geist und Körper führen ein Eigenleben und sträuben sich gegeneinander, sie führen Krieg, wie Herz und Kopf. Eine vollkommene Dissonanz.

Mein Verstand entgleitet mir, als sich die Seele erhebt und sich mit voller Gewalt gegen diesen Schmerz wehrt, der ihr durch diese Welt und ihre physischen Fesseln auferlegt wird. Sie kracht geradewegs in meinem Kopf gegen die Wände, wird zurückgezwungen, doch nicht ohne dabei gewaltige Schäden zu hinterlassen.
»Hör auf«, wispere ich nur.
Natürlich hört es nicht auf.

Ein Stich nach dem anderen jagt mir durch den Kopf, als sich die Seele wieder und wieder dagegenwirft. Sie will nicht aufgeben. Sie hatte genug Schmerzen. Und der einzige Weg, damit sie aufhören ist der, das Auto zu verlassen und ein Krankenhaus aufzusuchen.
Und ich kann sie so gut verstehen.
Ich will doch auch nur nach Hause. Nichts will ich mehr, als das.
Mein dunkles Ich nimmt dies direkt als Ansatz dafür, wo es vorhin aufgehört hat.

»Los«, drängt es mich. »Tu es. Was hast du schon zu verlieren? Nichts! Du kannst höchstens gewinnen. Nichts hält dich hier. Geh. Geh. Geh!«
»GEH WEG!«, schreie ich mich an.
Mein Kreischen hallt laut nach, denn in meinem Kopf ist es leer. Bis auf die gesamten wahnsinnigen Gedanken, die gerade Amok laufen.

Ein leises, kaum wahrnehmbares Wispern. Unfassbar weit weg und begraben und übertönt von Milliarden anderer Stimmen, die lauter, energischer, drängender und überzeugender sind. Als ich versuche hinzuhören, entgleitet sie mir beinahe.
»Nicht«, kommt es von weit her. »Alles wird gut«, versucht mir die Stimme gut zuzusprechen.
»LÜGE!«, kreischt die andere Stimme. »Los, verschwinde wieder!«

Sie alle wirbeln umher und herum, drunter und drüber. In einem einzigen Kopf. Sie zerstören alles um sich herum und reißen in ihrem Wirbelwind des Chaos Schubladen voller Erinnerungen auf, die längst hätten geschlossen sein sollen.
Eine nebensächliche Peinlichkeit nach der anderen geht auf mich nieder, eine nichtige Enttäuschung folgt der nächsten. Ich hätte sie längst alle vergessen sollen. Aber das habe ich nicht. Das tue ich nie.

Und sie alle zerfetzen mich.

Es nimmt kein Ende. Es gibt kein Ausschaltknopf, kein Notausgang, kein Weg zu entkommen.

All dieser Schmerz. Dieser sinnlose, unbegründete und doch grenzenlose Schmerz den niemand verstehen will.
Er treibt mich in den Wahnsinn.
Ich stolpere durch die Gegend, laufe gegen Wände und Schränke, lasse mich an ihnen zu Boden gleiten, balle meine Hände zu Klauen und möchte am liebsten eigenhändig meine Seele aus mir herausreißen, damit es endlich aufhört.

Aber das tut es nicht.
Stattdessen höre ich auf.
Zu existieren.
Denn mit jedem weiteren Tag dieser Torturen löst sich ein Stück mehr meiner Selbst auf.

Bis nichts weiter zurückbleibt.
Außer einer Hülle.

27/10/2016, Donnerstag [23:37 Uhr]

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