Torn

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Ich.

Kannst du mich sehen?
Kannst du mich greifen, fühlen, ertasten, riechen, hören, schmecken?

Denn ich
Tue es nicht.

Ich sehe mich nicht.
Ich blicke in den Spiegel und eine Fremde starrt mir entgegen, durch mich hindurch.
Ich höre mich nicht.
Zahllose Stimmen wüten in meinem Kopf, eine jede versucht die andere zu übertönen.
Ich fühle mich nicht.
Wohl in meinem Körper, er fühlt sich an wie ein Käfig.
Ich rieche mich nicht.
Denn der permanente Gestank meiner verkohlten Seele sticht so penetrant, dass mir dieser Sinn nahezu verlorengegangen ist.
Ich schmecke mich nicht.
Sondern nur den unausstehlichen Geschmack von meiner enttäuschenden Existenz.

Wie findet man sich?
Wie viele Leute haben sich diese Frage bereits gestellt?
Wie viele haben darauf eine Antwort gefunden, wie viele glaubten eine Antwort darauf gefunden zu haben und stürzten hinab, in das tiefe Loch der Identitätskrise.

Vielleicht ist die Antwort sein Leben einfach zu leben und nicht weiterhin lächerliche Gedanken an diese Problematik zu stellen, bei der es eigentlich gar keine geben sollte.

Denn es gibt keine eindeutige Antwort darauf.

Es gibt das Ich, wie wir uns sehen.
Und es gibt das Ich, wie uns andere wahrnehmen.
Wer bin ich?
Bin ich ich?
Bin ich dein ich? Oder mein ich?
Bin ich das Ich, das ich gestern zu sein pflegte, oder bin ich ein Ich, das einem anderen gehört?

Ich bin die, die ich sein will.
Ich bin die, zu der ich mich entschließe zu sein.

Wenn es nur so einfach wäre.

Ich bin ...
Nichts.

Ich bin das Tosen, Pfeifen und Rauschen des Windes, ich bin das Wüten des zornigen, unbändigen, erbarmungslosen Sturms, der alles um sich herum niederwalzt.
Ich bin der Blitzschlag im Himmel, der dich erzittern lässt und das immer näher heranrollende Donnergrollen in der Ferne.
Ich bin eine Naturgewalt, an die sich niemand herantasten kann, die dich umreißt und in der Luft umherwirbeln lässt wie eine Feder.
Ich bin der Regen, der sanft über deine Haut streichelt und dein Gesicht küsst, eine willkommene Abwechslung, ein unerwünschter Gast.
Ich bin die tristen Wolken, die sich vor den grauen Himmel schieben, das so sehr verhasste Wetter.
Ich bin der Regentropfen, der schüchtern an dein Fenster klopft und dir die lange Geschichte meiner Reise erzählen möchte.
Ich bin das Leuchten des Mondes in stiller Nacht der Einsamkeit, wenn dich jeglicher Mut verlassen hat.
Ich bin das zögerliche Glitzern der Sterne, die dich aufmunternd Anlachen und die Verheißung auf einen besseren Tag sind.
Ich bin der dichte, düstere, geheimnisvolle Wald, der sich schlichtweg nicht ergründen lässt und auf dessen Pfaden sich bisher jede Seele verloren und ratlos wiedergefunden hat.
Ich bin das Gefühl das dich überkommt, wenn dich der Beat des Tracks zum Tanzen animiert, und ich bin das traurigste Klagelied das du kennst.
Ich bin ...
Alles.
Ich bin Nichts.

Ich bin eine verlorene Seele die offen auf dem unbarmherzigen Meer herumtreibt, eine von so vielen

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Ich bin eine verlorene Seele die offen auf dem unbarmherzigen Meer herumtreibt, eine von so vielen. Bedeutungslos.
Die droht zu ertrinken, zu ersticken und unterzugehen unter all dieser Last, all diesen Ängsten und Zweifeln, diesem qualvollen Erinnerungen und diesen gewaltigen, gewaltigen Massen an Emotionen.
Ich bin jemand, der nie offen um Hilfe bitten wird, weil er sein ganzes Leben lang geschwiegen hat, er hat nichts anderes gelehrt bekommen.
Jemand, der stillschweigend zusammengekauert auf dem bitterkalten Fußboden liegt und lautlos stirbt, denn zersplitternde Seelen brechen ungehört und insbesondere unbeachtet.
Eine Person, die stumm und mit verschlossenen Lippen eine rettende Hand ersucht, an die sie sich klammern kann, doch die alle nur in den Abgrund zu reißen scheint.
Durchsichtige Hilfeschreie, die jeder zu missachten, ignorieren und zu übergehen pflegt.

Ich bin eine Person, die du niemals je wirst einordnen können, außer in die Unordnung des Chaos, denn ich bin all das und gleichzeitig nichts davon.
Ich werde instinktiv darüber entscheiden, ob ich dich mag oder nicht, und falls das nicht der Fall ist, dann werde ich dich das spüren lassen. Ob du dich dazu entscheidest es wahrzunehmen, liegt nicht in meiner Macht.
Diese Entscheidung fällt selten in meinem Bewusstsein, denn ich scheine seit Jahren in einer Ohnmacht zu liegen.
Du wirst nicht verstehen können, warum ich dich nicht mag und warum ich dich deswegen behandle wie ich dich behandle, denn es ergibt keinen Sinn.
Ich selbst verstehe es nicht und ich werde es dir nicht erklären können.
Nicht selten kommt es vor, dass ich jemanden mag, dieser das aber anders wahrnimmt oder ich einfach das Gefühl vermittle, als sei dies nicht der Fall.
Vielleicht bin ich auch einfach nur unausstehlich.
Ich könnte mit Tränen in den Augen vor dir stehen, sie wegblinzeln, einen unlustigen Witz reißen und dir sagen, dass es mir gut geht.
Ich werde dir nie mein wahres Lächeln zeigen können, denn ich habe es vor langer Zeit verloren. Das Geräusch, das ich mache, wenn ich lache, ist meine atemlose Seele die dabei ist zu ersticken.
Denn anders fühlt es nicht an.
Nie.

Wenn ich alleine bin, wirst du Narben auf meinem Wesen sehen, die dabei hervortreten und die ich nicht mehr verbergen kann, denn mit keinem Make-Up der Welt lässt sich dieser Fehler kaschieren.
Außer ich ritze mir in Lächeln ins Gesicht, so wie beim Joker.
Vielleicht
Ist meine Fassade dann undurchdringlich.

Wenn ich verletzt bin, werde ich dich meiden.
Ist das der Fall, dann hast du es ordentlich verkackt, denn ich werde zuvor versucht haben unser Problem anzugehen und eine Lösung zu finden.
Wenn ich dich meide bin ich dabei aufzugeben.

Du wirst mich nie richtig ergründen können, denn dafür müsstest du dich in den gleichen Abgründen befunden haben wie ich.
Du wirst mich nie verstehen können, denn die Sprache die ich spreche ist für jeden unverständlich.
Du wirst mich nie richtig zu greifen bekommen, denn wie ich denke ist unbegreiflich.

Ich bin voller Gegensätze.
Denn ich bin zerrissen.
Liebe und Hass.
Gut und Böse.
Wo gehöre ich hin.

Das ich
Dass ich mal war
Sieht mich an
Als wären wir Fremde

Und das sind wir.
Wenn sie nach rechts gehen will, gehe ich links, wenn bei ihr die Sonne aufgeht, geht sie bei ihr unter, wenn sie die Hand ausstreckt, zieh ich meine zurück, wenn sie lacht, weine ich, wenn sie liebt, hasse ich.

Sie ist die Eingesperrte, eingemauert hinter undurchlässig durchsichtigen Wänden, an denen ihre Worte einfach abprallen. Die aus meinem Kopf verbannte, denn sie hat das Recht auf das Kommando längst verspielt.
Manchmal, wenn ich mich umdrehe, da sehe ich ihren flehentlichen Blick.
"Tu es nicht", scheint sie zu flüstern, als mein Blick auf ihre Lippen gleitet.
Immer und immer wieder versucht sie es. Redet mir dies ein und das aus.
Dabei bin ich doch genau das.
Oder?
Denn ich kenne nichts anderes.
Die Welt hat mir nichts anderes gezeigt.

12/05/2017 - Freitag [17:47 Uhr]
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