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Am nächsten Morgen stehe ich schon ziemlich früh auf. Ein Blick auf die Uhr am Nachtkästchen verrät mir, dass es erst 4.30 Uhr ist. Aber da Lina und ich noch packen müssen ist die Uhrzeit leider ein Muss zum Aufstehen.

Im Halbschlaf schleppe ich meinen Koffer aus dem Schrank und werfe Kleidung und andere Gegenstände wahllos hinein. Bei Linas Koffer mache ich dasselbe, damit sie noch ein wenig länger schlafen kann.
Als ich dann fertig bin, ziehe ich mir schnell eine weinrote Reithose, ein schwarzes Top und Sneakers an und verlasse das Haus Richtung Stall.

Da ich, um meinen Platz am Internat zu verteidigen, am Wettbewerb nächstes Monat teilnehmen muss, jedoch kein Pferd dazu habe, versuche ich mein Glück bei den geretteten Pferden im Stall. Mit Tracy darf ich leider nicht teilnehmen, da der Bewerb ausschließlich für Großpferde ist.
Aber auch mit einem der geretteten Pferde würde es ein Risiko und eine Menge Arbeit werden, da jedes einzelne warscheinlich auch seelischen Schaden von der Situation davon getragen hat.

Vor einer schönen, dunkelbraunen Stute mit Stern bleibe ich stehen. Sie ist etwas abgemagert und verdreckt, da sie sich in den letzten Tagen noch von niemandem anfassen hat lassen und auch ihr Futter nicht angerührt hat. Aber ich denke, dass sie viel Potenzial zum Springen hat, da sie etwas leichter und wendiger ist, als die anderen Pferde hier.
Lina und ich haben gestern Abend versucht sie mit Äpfeln und Brot zu füttern, jedoch hat sie nur die Ohren angelegt und uns das Hinterteil zugedreht.
Meine beste Freundin kam dann auf den grandiosen Einfall sie nach dem Esel in ihrem ersten Reitstall zu benennen. Virginia, oder kurz Gini. Ich fand den Namen schön.

Meine Entscheidung ist also auf auf die unnahbare Stute gefallen. Wir haben einen Monat Zeit, um zu einem Team heranzuwachsen, aber zuerst müssen wir es schaffen, dass ich ihr überhaupt näher als 5 Meter kommen darf.

Seufzend mache ich noch ein paar Fotos von den geretteten Pferden und gebe die bekannten Infos jedes einzelnen darunter in den Computer ein. Dann drucke ich die fertigen Flyer aus und stecke sie vorne in meine Tasche.
Ein Blick auf meine Armbanduhr verrät mir, dass es fast 6 Uhr ist, weshalb ich schnell die Pferde füttere und einige der Boxen ausmiste. Dann schnappe ich mir eine Karotte aus dem Futterlager und hole Tracy aus ihrer Box. Mit der Karotte in der einen Hand und meinem Handy in der anderen, schwinge ich mich auf meine Isländerstute und lenke sie mit Schenkelhilfen aus dem Stall Richtung Wald. Während ich meinem Pferd freien Lauf lasse, wähle ich die Nummer des Zuchtstalls.

"Guten Tag, Zucht-und Fohlenhof Kerber. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?" meldet sich die nette Frau, der der Hof gehört.
"Hallo Frau Kerber, entschuldigen Sie für die frühe Störung, aber ich wollte Ihnen nur Bescheid geben, dass ich mein Hengstfohlen Sundancer heute schon mit nach Hause nehmen werde. Passt es Ihnen wenn ich um 10 Uhr da bin?"
"Oh hallo Emma. Wir haben uns ja neulich nicht mehr gesprochen. Mein Beileid zu Royal of Dream. Und natürlich, du kannst dein Fohlen jederzeit abholen. Annika war die ganze Nacht in seiner Box und ist gerade erst eingeschlafen. Es ging ihm diese Nacht also sehr gut." lachte sie. Ich kicherte nur, da mir sofort ein Bild vor Augen erschien, wie der Kleine die schlafende Annika misstrauisch beäugt, während sie friedlich in seiner Box schläft.

Dankend lege ich also auf und stecke mein Handy in die Hosentasche. Zwei Sekunden später hole ich es jedoch wieder heraus, da ich noch jemanden anrufen sollte. Mein Telefon wird in den letzten Tagen ziemlich häufig gebraucht.

"Hallooooo?"
"Ähm..Isa? Geht es dir gut?"
"Oh hallo Emma! Ja, mir geht es supeeeeeer. Was gibts?" Sie klingt ziemlich betrunken. Ist sie nicht erst 14 Jahre alt?
"Ich bin mir sicher, dass du, wenn ich richtige liege mit meiner Vermutung, morgen einen Kater hast und dich an meine Worte nicht mehr erinnern kannst. Ich wollte dir sagen, dass ich heute Nachmittag zurückkomme und du wenn du möchtest kommen kannst. Du kannst ja auch mal etwas anderes als Reiten mit Tracy machen. Wenn du willst zeige ich dir ein paar Bodenarbeit-Übungen."
"Mhmmmm..."murmelt sie nurnoch und legt dann auf. Komisch, ich dachte mir eigentlich, dass die Mutter ihr soetwas niemals erlauben würde. Zumindest sah es für mich danach aus, als ich sie zum Ersten Mal sah.

Dieses Mal stecke ich mein Handy endgültig in die Hosentasche und konzentriere mich dann wieder auf Tracy, welche ungeduldig vor einem langen Feld steht und mit den Hufen scharrt. Meine Stute steht eben auf Schnelligkeit.
Ich treibe sie an und strecke meine Arme im Galopp zur Seite aus. Der Wind bläst mir ins Gesicht und ich fühle mich seit langem endlich wieder einmal frei. Tracy scheint es genauso zu gehen, denn sie macht Freudensprünge und wiehert erfreut.

***Zurück am Hof***

Ich steige ab und bringe mein Pferd mit einer Abschwitzdecke in die Box. Kurz darauf stoßt auch Lina zu mir.
"Hey Du. Seit wann bist du denn schon wach, Schlafmütze?" frage ich sie grinsend.
"Seit 10 Minuten circa. Und du?" Sie verdreht ebenfalls grinsend die Augen und öffnet neben mir Calimeros Box.
"Seit 4.30 Uhr wenn du es genau wissen willst. Wie spät ist es jetzt eigentlich?" antworte ich ihr und schaue selbst auf meine Uhr. Es ist schon kurz vor 9. Waren wir so lange weg?

"Ich nehme heute schon Sundancer und Gini mit ins Internat. Wir brauchen den Vierer-Transporter." gebe ich Lina Bescheid während sie sich mit Calimero einen Apfel teilt.
Plötzlich hustet sie und sieht mich erschrocken und erstaunt zugleich an.
"Gini??"
Ich nicke nur und Lina gibt sich damit zufrieden. Sie weiß, dass ich wenn ich mir etwas vornehme, es auch durchziehe.

2 Stunden später stehen wir mit Sundancer, Calimero und Tracy im Anhänger noch immer am Hof. Gini will sich nicht verladen lassen. Es war mühsam genug ihr das Halfter anzulegen, die Transportgamaschen mussten wir sowieso weglassen, aber in den Anhänger will sie auf gar keinen Fall.
Zu allem Übel löst sich dann plötzlich auch noch der Strick, an dem Sundancer angebunden war und der Kleine bleibt mitten auf dee Laderampe stehen. Gini wiehert und stampft mit den Hufen, aber als Sundancer nähert kommt und sie beschnüffelt, wehrt sie sich urplötzlich nicht mehr und tritt mit dem Fohlen in den Transporter. Als dann wirklich alle Pferde verladen sind, checke ich nochmal schnell durch die Seitenöffnung ob es Dreams Fohlen eh gut geht, da es ja ein ziemliches Risiko ist mit so einem jungen Fohlen, dass auch noch keine Mutter mehr hat, zu fahren, und verabschiede mich dann mit Lina von meinen Eltern.
Dann fahren Lina und ich endlich los.

Reitinternat Sunshine 2-Pferde fliegen ohne FlügelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt