zwei. vom beobachten von geschöpfen und anton

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Beruflich arbeitete Adas bester Freund, Anton, der kleine naive Mann, in einer Bar um Miete für seine zukünftige Wohnung zu sparen und anderes Zeug zu finanzieren. Es war wirklich nicht sein Traumjob zu kellnern, aber er hatte das ellenlang mit seiner braunäugigen Freundin, die wie eine Schwester für ihn war, besprochen und kam zu dem Entschluss, dass dies eine gute Möglichkeit für ihn war, sich aus dem Sumpf der Langeweile und Monotonie hinauszuziehen. Anton kam aus relativ guten Verhältnissen, das wusste jeder an der Schule, jeder wusste, dass seine Eltern ein Restaurant besaßen. Das war nichts außergewöhnliches, doch damals wurde er deshalb geliebt. Das machte ihn besonders, irgendwie anders, zumindest hatte Ada das so in Erinnerung.
Anton kümmerte sich nicht viel um sein Aussehen, was vollkommen in Ordnung war. Seine Klamotten passten nur selten zu hundert Prozent zusammen, und wenn sie es einmal taten, dann hatte seine Mutter sie aufeinander abgestimmt. Anton sah trotzdem immer toll aus; seine Stimme und seine Aura waren anschmiegsam.
Er schwamm immer auf einer Flut aus Ruhe, die Ada jedes Mal aufs Neue mit sich riss. Manchmal, ja da nervte sie das, weil er während dem Gehen beinahe einschlafen hätte können. Anton war ein sehr gegensätzlicher Mensch, eigentlich immer friedlich, doch wenn es um Ada ging konnte er förmlich aus der Haut fahren. Immer freundlich, doch Lehrern gegenüber nie sonderlich respektvoll, was vermutlich auch mit Adas Haltung gegenüber diesen zusammenhing. Anton war Adas Spiegel, Ada war Anton. Die waren einfach immer zusammen.

Sie ging ihn so oft sie konnte besuchen. Sie hätte sicher noch öfter gehen können, doch da stellte sich ihre Psyche den beiden in den Weg und das wusste Anton auch. Er war dankbar, dass sie sich einmal in der Woche dazu überwand und freute sich jedes Mal aufs Neue das Mädchen am Tisch, nahe dem Fenster, zu sehen. Das hatte sich irgendwann zu ihrem Stammplatz entwickelt. Es war Donnerstag, vielleicht aber auch Freitag und Anton hatte nur noch 30 Minuten zu arbeiten. "Ein Kinderspiel", wie er es betitelte. Ada fand zwar nicht, dass diese Zeitspanne kurz war, doch ihr Lichtblick war, dass sie danach noch etwas machen würden. Anton meinte zuvor er hätte wichtige Neuigkeiten. An seinem Grinsen erkannte sie sofort um was es sich handelte, doch dazu später mehr.
Er räumte also im orangestichigen Licht der Kneipe die Tische ab, balancierte die dreckigen, mit Rissen übersäten Teller und Gläser zur Theke, was ihm nicht immer gelang.

Ada hatte aufgehört ihn zu beobachten, das machte sie nur umso nervöser, sie lenkte ihre Aufmerksamkeit lieber auf die Menschen die außerhalb des Lokals standen, sich trafen, vorbei gingen mit erhobenem Haupt, und einfach ihr Leben lebten. Ihr spitzes Kinn hatte sie auf ihrer rechten Handfläche platziert, ihre Haut war rauer geworden in der letzten Zeit und sie wusste nicht genau warum. Zunächst kam kein Mensch vorbei und sie wollte schon fast wieder wegsehen und sich mit etwas Anderem beschäftigen, als plötzlich der erste Mann auf dem Gehweg entlang spazierte. Das Mädchen hinter dem verschmutzten Fenster richtete sich interessiert auf und sah dabei zu, wie sich besagter Herr gegen eine tapezierte Litfaßsäule lehnte und in einem Buch zu lesen begann. Ada konnte den Namen "Grashalme" auf dem Cover schimmern sehen, sie spürte, dass ihre Mundwinkel freudig zuckten. Der Mann hatte Haare, die ihm bis zu seinem kantigen Kinn gingen und braunrot glänzten unter einer Straßenlaterne, er hatte einen Nasenring am rechten Nasenflügel, an welchem er alle dreißig Sekunden herumspielte. So hatte jeder seine Ticks. Tess bestand immer darauf ihre Finger nachzuzählen, täglich, und Adas Mutter, die zog die Tür nach dem Zusperren zu sich, um ja sicher zu gehen, dass sie verschlossen war.

Außerdem hatte er ein Tattoo, das sich über seinen Hals zog, es wirkte, als würde es der Aorta folgen. Sie konnte es nicht ganz deuten, doch sie war sich sicher, dass es ein Schriftzug war. An seinen breiten Schultern hing ein knallgelber Rucksack mit einem senkrechten schwarzen Streif, welcher aussah wie ein Campingrucksack, er hatte ihn zu groß eingestellt, sodass er in Hüfthöhe hing. Seine Hose war abgenützt, ob gewollt oder Lauf der Zeit war unklar, doch sie stand ihm wirklich. Es passte zu dem Rest seines eher lockeren Looks. Ada kam sich nicht seltsam vor, einen Wildfremden zu taxieren und zu mustern, sie war einfach nur interessiert. Nicht an ihm, viel mehr an seiner Geschichte. Was hatte ihn in diese ungute Gegend dieser wunderschönen Stadt geführt, und warum sah er so ungeduldig, ungehalten aus? Er wippte dort zehn Minuten auf und ab, bis ein älteres Paar auf ihn zukam und ihn in ihre Arme schloss. Die Frau und er hatten eindeutig die selbe Nase und der Mann hatte die selbe Statur - seine Eltern. Seine Mutter lächelte nach oben zu ihrem Sohn, welcher mindestens einen Kopf größer war als sie. Irgendwas in ihren Augen sagte Ada, dass sie sich ewig nicht mehr gesehen hatten und auch die Miene des Vaters ließ auf Unzufriedenheit schließen. Der Sohn, der etwas friedfertiges an sich hatte, nickte scheu in eine Richtung und zeigte mit seiner Hand nach rechts. Seine kleine, dünne Mutter grinste erfreut und stiefelte voran, dicht gefolgt von ihrem grauhaarigen Mann. Der Sohn atmete erleichtert aus, und verschwand.
Ada hatte viel eher damit gerechnet, dass er auf seine*n Freund*in wartete, doch so war es scheinbar nicht.

dies also ist lebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt