Samstag, der sechste Tag der längsten Woche.
An dem Tag verlief nichts so wie es sollte, wie es geplant war, das ist vermutlich die beste Beschreibung dafür. Es begann alles damit, dass Adas Vater plötzlich wieder in der Tür stand, in seiner alten, braunen Lederjacke, mit den langen Fingernägel im Türrahmen lehnend. Ada war gerade im Esszimmer, von welchem man problemlos auf die Eingangstür stieren konnte, und tat so, als wäre sie gerade beschäftigt. Sie blickte immer wieder, wenn sie dachte, gleich würde er sie registrieren, in ihr Buch hinab, mit welchem sie noch immer nicht einmal bei der Hälfte war, obwohl sie sonst immer eine relativ schnelle Leserin war. Zumindest war das damals so, als sie noch jeden Abend daheim saß und von Tag zu Tag dahin vegetierte.
Ihre Mutter versperrte ihm mit ihrem rustikalen Körper den Weg in die Wohnung, und hatte ihre Arme in die Hüfte gestemmt. "Sag mir, was erwartest du? Dass ich dir nach all dem einfach so verzeihe oder was?", schnauzte sie ihn an und griff nach der Türschnalle. Er kratzte sich an seinem minimalen Bartwuchs und plusterte seine schmalen Lippen auf.
"Naja, ich weiß auch nicht.", brachte er hervor, und machte Anstalten rein zu gehen, rein in die Wärme, doch ihre Mutter schubste ihn wieder aus der Tür und er machte einen Satz nach hinten, ließ seine rote Umhängetasche fallen.
"Du weißt nie irgendetwas, du hast doch keine Ahnung wie schlimm das alles für mich, uns ist!"
Thomas öffnete seinen Mund, er wusste schon genau wie er kontern würde, nur ein Satz und sie wären auf derselben Höhe bei dem Gespräch, auf derselben Stufe; nur ein Satz, und er würde sich nicht mehr dominiert fühlen. Doch Adas Mutter fuhr dazwischen, so wie sie es immer tat, und die Braunhaarige sah, wie der kleine Zopf am Hinterkopf der Frau sich nach links und nach rechts trieb, als sie verneinte.
"Wag es gar nicht erst zu reden. Ich lass mich scheiden, das hat kein Sinn mehr. Es ist mir mittlerweile auch egal, was du zu sagen hast. Mir reichts, es langt. Endgültig."Ada fuhr hoch und öffnete ihre Augen, als wäre sie endlich aus einem Albtraum erwacht, riss sie auf, bis es schon weh tat und nicht genug Flüssigkeit mehr an den Augenlidern war. Und sie lehnte sich mehr gegen die Wand und schnaufte erleichtert ein und aus und ein und aus. Ihre Haare rieben sich gegen die blaue Tapette, als sie vor Nervosität vor dem Neuen und Besserem zitterte. Sie hatte das Gefühl zu schweben, und das Schweben stand ihr eindeutig besser, ließ sie fast hübsch wirken, als das Trübsal blasen. Vielleicht wirkte es egoistisch oder gar krankhaft, dass sie sich wünschte, ihre Mutter würde ihn endlich verlassen, doch dieser Mann hatte ihre Familie und sie selbst zerstört. Außerdem wusste sie, wie schwer ihrer Mutter die Entscheidung fiel. Sie wusste zu dem Zeitpunkt nicht, was der ausschlaggebende Punkt war, und irgendwie war es ihr auch nicht sonderlich wichtig. Das war wieder ihr Kaffee; und der betraf Ada nicht.
Als Adas Vater vor fünf Jahren gefeuert wurde, meinte er zu seiner Tochter im Auto, während er seine Hand auf ihr Knie platzierte und sie wegzuckte, dass jeder seine Retourkutsche bekommen würde, und Klein-Ada hat sich mit ihren großen Kulleraugen gefragt: "Und wann bekommst du endlich das alles zurück?". Sie glaubte zu wissen, dass ihre Mutter das auch gedacht hatte, als Ada ihr später daheim davon berichtete, denn sie lehnte sich gegen die Arbeitsplatte, welche sie zuvor von Krümeln befreit hatte, und beugte sich zu ihrer Kleinen hinunter. Dabei fielen ihr ihre schwarzgefärbten Haare vors Gesicht, und sie strich sie sich stetig hinters linke Ohr.
"Irgendwann, ganz bestimmt.", hatte sie geflüstert und Ada über die Wange gestrichen.
"Zerbrich dir darüber nicht dein hübsches Köpfchen, darum wird sich jemand anderes kümmern."Und wie recht sie hatte, es war sie, die sich darum gekümmert hatte. Es war, als würde ihre Mutter die ganze Zeit wissen, dass diese Bombe irgendwann platzen müsste, und sie nur auf den richtigen Moment gewartet hatte. Und dann riss sie alles in Schutt und Asche und sah dabei mindestens genauso umwerfend aus wie Schwarzenegger in "the Terminator".
"Das kannst du nicht tun, Katharina.", stammelte er verblüfft und schien aus allen Wolken zu fallen. Er blickte Ada in die Augen, fast so als würde er an sie appellieren wollen, doch sie verzog keine Miene.
"Und ob ich das kann. Ich bring dir deine Sachen morgen, oder noch besser; ich schmeiß sie dir einfach auf den Gang raus und du holst sie wenn du Zeit findest.", blinzelte sie ihn bösartig an. Die Luft war so angespannt und nicht einmal die künstliche Radiomusik schien die Stille zu lockern. Thomas' Sorgenfalte schien von Sekunde zu Sekunde größer zu werden, bald ihre maximale Größe zu erreichen, doch alles was er tat war auf die Knie zu fallen. Und er wimmerte, klagte den Namen ihrer Mutter mit einem gelogenen "ich liebe dich" hinten dran, doch alles was sie tat, war ihm die Tür vor der Nase zu zu hauen und ihn alleine am Gang draußen sitzen zu lassen."Das war intensiv.", bemerkte Ada spöttisch und blätterte eine Seite in dem Buch um. Katharina rollte mit den Augen und ließ sich auf den Metallstuhl gegenüber von ihr fallen, schlang ihre Hand mit den etwas zu dick geratenen Fingern um ihr Glas mit Himbeersirup und schnaubte:
"Das musst du mir nicht sagen, danke für den produktiven Kommentar."
Ada linste durch ihre Brille und lachte schief.
"Immer wieder gerne, Mama. Dennoch, es war die richtige Entscheidung."
"Dessen bin ich mir auch bewusst.", atmete sie tief aus und fuhr sich mit den Händen in ihre Haare, wobei sie ihren Zopf lockerte. Auch als Ada ihre Mutter fixierte, starrte diese nur weiterhin auf die schmutzige Tischplatte.
"Und warum schaust du dann so missmutig?"
"Weil es trotzdem schwer und verfahren ist."
"So ist das Leben nun mal; nicht unbedingt simpel.", sagte Ada und legte ihren Kopf in den Nacken.
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dies also ist leben
Contodinge entwickeln sich so schnell, und ehe man sich versieht, vergisst man wie es funktionierte sich zu erinnern. eigentlich will ada nur, dass man ihre geschichte erzählt. dass man sie nicht vergisst. doch wer erinnert sich schon noch an einen, wenn...