Kopfschüttelnd fing sie an, sich wieder aus seinem Mantel zu schälen.
„Sie wollen bestimmt weiter, ich sollte Sie nicht aufhalten", meinte sie mit einem müden Lächeln. Erst nach wenigen Sekunden kamen ihre Worte richtig bei ihm an, zu sehr war sein Gehirn damit beschäftigt, die Schönheit der jungen Frau zu verarbeiten - Denn auch mit der Trauer und den Tränen in den Augen sah sie bezaubernd aus.
„Hör zu, ich werde dich hier garantiert nicht hier alleine sitzen lassen. Okay, das wird sich jetzt wahrscheinlich ziemlich komisch anhören, aber... Ich bin grade alleine, mein Mitbewohner muss seine Mutter pflegen, die ist krank geworden. Wenn du also magst, kannst du mitkommen, wenigstens für die Nacht. Ich könnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, wenn ich dich alleine hierlasse", seufzte er und hoffte inständig, dass sie vernünftig sein und mit ihm kommen würde.
„Ich will Ihnen keine Umstände bereiten", murmelte sie und sah zu Boden, den Mantel noch halb um ihre Schultern geschlungen.
„Oh, bitte. Morgen ist Weihnachten, da bin ich sowieso nicht gerne alleine", lächelte er. Vielleicht würde er sie so überreden können.
„Ich... Es ist nicht so, dass ich Ihnen nicht vertraue, aber ich kann doch nicht einfach...", fing sie hilflos an.
„Mitkommen?", vervollständigte er ihren Satz.
Sie nickte nur.
„Vielleicht sollte ich mich erst mal vorstellen, entschuldige. Ich bin Kevin Olusola, angehender Arzt, Cellist und Beatboxer. Freut mich, dich kennenzulernen", meinte er und streckte ihr seine Hand hin.
Geschlagen gab sie auf und ergriff sie mit einem milden Lächeln.
„Kirstin Maldonado", stellte sie sich vor, während Kevin noch damit beschäftigt war, ihre Berührung zu verarbeiten.
Dieses zarte Wesen, welches so gebrochen vor ihm saß, brachte ihn um den Verstand und weckte seinen Beschützerinstinkt.
„Als angehender Arzt muss ich dir leider befehlen, dich sofort ins Warme zu begeben, sonst erfrierst du hier noch", sagte er und versuchte, seiner Stimme einen möglichst autoritären Klang zu geben. Und auch wenn ihm das nicht den gewünschten Erfolg, sondern ein Lachen von Kirstin einbrachte, war er zufrieden.
„Einverstanden, Doktor Olusola", grinste sie und stand auf.„Ich würde dir ja noch etwas gegen das gebrochene Herz verschreiben, aber ich glaube, dafür habe ich grade nichts da", meinte er bedauernd und lachte leise.
„Ist schon okay. Weißt du, heute sind so viele Leute an mir vorbeigegangen, es ist schon genug Medizin, dass mich endlich jemand wahrnimmt", murmelte sie, wahrscheinlich ohne zu wissen, dass die Worte in sein Herz schnitten. Wie konnte man so jemanden wie sie einfach erfrieren, alleine in der Kälte sitzen lassen? Er verstand die Menschen nicht.
„Danke", flüsterte sie und blieb stehen, um ihm in die Augen sehen zu können. Er schüttelte den Kopf.
„Niemand verdient es, an Weihnachten alleine sein zu müssen. Also ist das eigentlich auch eigennützig", lachte er.
Kopfschüttelnd kicherte sie und ging weiter, Seite an Seite mit ihm.