Hellblau ~ Scavi

141 8 7
                                    

„Ich weiß nicht, wann Kirstie und Jeremy zurückkommen!", wisperte Avi und schlich hinter seinem Freund her, der sich darüber jedoch keine Gedanken zu machen schien.
„Quatsch. Jeremy wollte mit ihr nochmal Urlaub machen, bevor das Baby da ist", meinte Scott sicher und öffnete probeweise eine Tür.
„Auch kein kahles Zimmer. Sag mal, bist du sicher, dass sie noch nicht fertig sind?", fragte er dann seufzend.
„Kirstie hat mir doch extra noch gesagt, dass sie sich nicht sicher ist, ob der Urlaub eine gute Idee ist, weil das Zimmer noch nicht mal gestrichen ist. Und sie ist im achten Monat", sagte Avi und ging eine Tür weiter.
„Tada!", rief er triumphierend, nachdem er in das Zimmer geschaut hatte.
„Super!", freute sich Scott und trat nach dem Basssänger in den hellen Raum.
„Das ist wirklich noch etwas öde. Aber das wird jetzt geändert", schmunzelte Avi und stellte den Eimer mit der himmelblauen Farbe neben sich ab, um den Reißverschluss seines Malerkittels schließen zu können. Auch Scott ließ die Eimer auf den hellen Holzboden sinken, den Kirstie und Jeremy schon mit Folie abgedeckt hatten, und zog den Reißverschluss zu - Er versuchte es zumindest.
„Muss ich dem kleinen Scott etwa helfen?", grinste Avi, als Scott frustriert an dem kleinen Metallstück wackelte.
„Hey. Ich bin größer als du", meinte der Blonde dann und stellte sich direkt neben Avi, wie um es zu beweisen, auch wenn der Basssänger natürlich wusste, dass sein Freund ihn um fast einen Kopf überragte.
„Mh, aber trotzdem habe ich meinen Reißverschluss zubekommen, und du nicht", gluckste Avi, während er versuchte, die unsichtbare, aber dennoch fast greifbare Spannung zwischen ihnen zu ignorieren.
Er verstand es nicht. Hatte keine Ahnung, was sich zwischen ihnen geändert hatte, wusste aber genau, dass etwas anders war.
„Okay, kannst du mir bitte helfen?", seufzte Scott beinahe flehend und sah den anderen aus großen, meerblauen Augen an.
„Komm her", lächelte Avi und zog sanft an dem Reißverschluss, der sofort nachgab und sich butterweich nach oben ziehen ließ.
„Er hatte was gegen mich", erklärte Scott in kindischem Trotz, musste letztendlich aber doch grinsen.
„Wir sollten anfangen", meinte Avi dann und wandte sich von dem Größeren ab. Er sollte wirklich erst seine Gedanken ordnen, war er sich doch nicht im Klaren darüber, wie er sich momentan verhalten sollte.
„Ich liebe Blau!", meinte Scott glücklich, als er seinen Pinsel in die dickflüssige Farbe tunkte.
„Komisch, echt? Merkt man gar nicht!", grinste Avi und betrachtete erst Scotts Schuhe, dann seinen Malerkittel. Im Baumarkt gab es zwei Farben zur Auswahl, blau und weiß. Scott hatte ohne zu zögern zwei blaue Kittel aus dem Stapel hervorgezogen und war dann lachend davongerannt, als die Pyramide beinahe ineinander zusammenfiel.
Selbst die Pinsel hatten einen blauen Griff, und als sie zwischen blauer und grüner Farbe entscheiden mussten, hatte Scott so lange gebettelt, bis sie zwei Tiegel mit hellblauer Farbe in ihrem Einkaufswagen hatten.
Und dann machte Avi einen fatalen Fehler.
Lag sein Blick eben noch auf dem Farbeimer, wanderte er nun zu einem anderen Ort, an dem sein Gehirn täglich ein strahlendes Blau registrierte.
Kaum hatte er selbst realisiert, was er grade tat, sah er in Scotts Augen, in denen so viel kindliche Freude, Schelm und Offenheit lag, dass er schlucken musste.
Scotts Ausstrahlung hatte er gleich am ersten Tag bemerkt, doch noch nie hatte sie ihn sprachlos gemacht. Erst jetzt nahm er Freundschaft und Liebe wahr, die er jedem gegenüber zeigte.
„Hey! Nicht einschlafen!", grinste der blonde Sänger und stupste Avi mit dem Pinsel auf die Nase.
„Ich bin doch kein Schlumpf!", protestierte dieser sofort und wischte sich mit dem Ärmel die Farbe aus dem Gesicht.
„Schade eigentlich!", lachte Scott und widmete sich der schneeweißen Wand.
Wen er so nicht kommen sah, war Avi, der sich langsam und mucksmäuschenstill von hinten näherte.
Und ehe er sich verteidigen konnte, war sein Nacken und die Spitzen seiner hellen Haare ebenfalls strahlend blau.
Mit einem erschrockenen Aufschrei fuhr er herum und jagte Avi hinterher, der sich bewusst war, dass er mit dem tropfenden Pinsel nicht auf den Flur rennen konnte.
Schon nach wenigen Sekunden hatte Scott ihn in eine Ecke gedrängt, sodass er nur noch zögernd den Pinsel vor sich hielt.
„Du entkommst mir nicht!", grinste Scott und packte Avis Arm, um sicherzustellen, dass der Kleinere ihn nicht noch einmal anmalte.
Als er diesem danach wieder in die Augen sah, verschwand das freche Grinsen aus seinem Gesicht.
Avis Ausstrahlung ließ ihn schwach werden, und er musste sich stark zusammenreißen, um den Arm des Basssängers nicht loszulassen.
Ihm war bewusst, dass Avi schon immer das Mitglied von Pentatonix war, das für jeden ein offenes Ohr hatte, egal, wie schlecht es ihm selbst ging. Zu ihm konnte man mit jedem Problem gehen, und mit ihm konnte man auch einfach mal schweigen, ohne dass es komisch wurde. So wie in diesem Moment, in dem er realisierte, dass das zwischen ihnen keineswegs nur Freundschaft war.
Erwartungsvoll sah Avi ihn aus seinen frühlingsgrünen Augen an. Er spürte genau, dass mit seinem Freund etwas nicht stimmte.
Dann kehrte das Lächeln wieder auf Scotts Gesicht zurück, wenn auch viel sanfter als zuvor.
Avi hielt den Atem an, als Scott ihm einen kleinen Punkt auf die Wange malte und anschließend zurückwich.
„Wir sollten wirklich mal anfangen", kicherte er dann. Avi nickte nur abwesend.
„Ich geh mal kurz auf Klo", sagte er und versuchte mit angehaltenem Atem, den Schmerz in seinem Herzen zu verdrängen. Hatte er sich getäuscht, als er die Liebe in Scotts Blick gesehen hatte, eben, als er direkt vor ihm stand? Hatte seine Menschenkenntnis wirklich so sehr nachgelassen?
Mit Tränen in den Augen stieß er willkürlich eine Tür auf und fand sich tatsächlich im Bad wieder. Sein Blick irrte umher und blieb schließlich auf seinem Spiegelbild hängen.
Schmerz füllte seinen Blick in voller Stärke, fast tat es ihm selbst weh, sich so zu sehen. Seine dunklen Haare waren streng zurückgebunden und von hellblauen Sprenkeln übersät. Und auf seiner Wange fing die Farbe an zu trocknen, sich zusammenzuziehen.
Fast automatisch hob der Basssänger seine Hand und fuhr mit geschlossenen Augen über das leicht raue, hellblaue Herz.

~~~~~

Frohe Feiertage euch allen! :)

Pentatonix - OneShotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt