Kaum hatte er ihre Wohnung betreten, sah er ihr Gesicht direkt vor sich.
Auch wenn sie kein Wort zu ihm sagte, er wusste, dass er sich nicht länger vor ihr verstellen konnte.
Schweigend lief sie ins Wohnzimmer und er folgte ihr, nachdem er seine Schuhe in die Ecke geworfen hatte.
Die Stille zwischen ihnen bereitete ihm Angst, Angst vor dem, was folgen würde.
Keine Frage, es würde sein Leben verändern, und das ihre gleich mit.
Nur, ob dies gut oder schlecht sein würde, konnte er nicht sagen.
Und wieder fragte er sich, ob er es wirklich tun wollte.
War es die Freude, die es ihm versprach, wirklich wert, wenn er zugleich doch das Herz seiner besten Freundin brechen konnte?
„Was ist los?", kam es in diesem Moment erstaunlich ruhig von ihr.
Wusste er sonst immer, was in ihr vorging, konnte er es diesmal doch nicht erraten, zu unbewegt war ihr Gesicht, zu neutral ihre Stimme.
Vielleicht schwang ein Hauch von Fürsorge in ihr mit, vielleicht war es aber auch einfach Ablehnung.
Hatte sie sich nicht in den letzten Tagen schon so verhalten? So, als würde sie nie wieder etwas mit ihm zu tun haben wollen?
Er wusste bis heute nicht, wieso.
„Versprich mir, dass wir danach immer noch Freunde sind", meinte er und hoffte, dass sein Tonfall nicht schon verriet, was er sagen wollte – Was er sagen musste.
„So schlimm?" Sie lächelte leicht, und zum ersten Mal heute konnte er Emotionen in ihrem Gesicht ablesen. Sie war müde hiervon, ein wenig traurig.
„Ich will dich nur nicht verlieren", sagte er, und in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass sie aus ihm lesen konnte wie aus einem offenen Buch. Seine Mimik, Gestik, Stimme. All das deutete so sicher auf diese eine Sache hin.
„Das wirst du nicht, wenn du es mir sagst. Wenn du weiterhin schweigst, wird es genau das sein, was uns auseinandertreibt", meinte sie schwach, das Lächeln wie auf ihrem Gesicht festgefroren.
Sie wehrte sich gegen das, was in ihr brodelte, sie ließ ihre Gefühle nicht zu, und das machte ihn wahnsinnig.
Er wollte sie nicht verletzen, aber wie sollte er wissen, wie er sich verhalten musste, wenn sie ihm emotionslos gegenüber stand?
Einige Wimpernschläge lang sah er sie still an, dann ging er einen Schritt auf sie zu und legte seine Hand auf ihre Wange.Erschrocken zucke ich zusammen, als mein Handywecker klingelt und mich so daran erinnert, dass ich mit Scott verabredet bin.
Eis essen und dann Filme schauen bei mir.
Fluchend speichere ich ein letztes Mal die Geschichte ab und hetze dann aus dem Haus, meine Jacke flüchtig über den Arm geworfen.
Auch wenn ich die Textstelle am liebsten gelöscht hätte, bevor sie noch jemand sieht, will ich pünktlich sein und Scott nicht enttäuschen, nachdem er vorgestern von seinem Freund verlassen wurde.„Ist alles okay bei dir?", fragt Scott, nachdem wir unser Eis gegessen haben und auf dem Weg zu mir nach Hause sind.
„Ja, ich bin nur ein bisschen müde. Entschuldige", seufze ich und zwinge mich zu einem fröhlichen Lächeln.
„Das kannst du dem Weihnachtsmann erzählen, aber nicht mir. Irgendwas stimmt doch nicht", meint er.
Das hätte ich auch gleich wissen können, dass ich ihm nichts vormachen kann.
„Du weißt doch, dass ich grade an dem Buch schreibe", fange ich an und ernte ein gespanntes Nicken.
„Du kennst ja sogar die ersten Kapitel, ich bin so doof. Jedenfalls bin ich jetzt beim großen Finale angekommen und..." Ich breche ab und lasse meinen Kopf in den Nacken fallen, bevor ich meine Haustür aufschließe.
Nach Scott betrete ich den Flur und schäle mich aus meiner Jacke, bevor ich in die Küche gehe und uns beiden Kaffee koche.
„Ich habe gemerkt, dass das viel zu offensichtlich ist. Ich muss die ganze Geschichte neu schreiben", erkläre ich und verziehe das Gesicht.
„Was ist offensichtlich?", fragt Scott und holt eine Packung Chips aus dem Schrank.
„Coby ist Mitch. Ist ja nicht so, dass man das schon an seinem Namen viel zu gut erkennt", seufze ich und ignoriere das ungute Gefühl in meinem Bauch.
„Und weiter? Das ist doch nichts Schlimmes?", bohrt mein bester Freund nach.
„Und Chrissi bin logischerweise ich", murmele ich und kann beinahe spüren, wie Scotts Augen immer größer werden.
Er weiß, wie die Geschichte verlaufen soll.
Er kennt den Plot, meine Ideen, eigentlich alles.
Nur das wusste er noch nicht.
„Warte. Willst du mir damit sagen, dass du... in Mitch...?", fragt er und ein Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus.
Ich ziehe eine Grimasse, die ihm als Zustimmung allerdings zu reichen scheint.
Dann wird er kleinlaut und zieht den Kopf ein.
„Ich habe ihn eingeladen. Für heute Abend. Mitch, meine ich", sagt er und beobachtet meine Reaktion.
Ich atme tief durch und sperre jegliche Gefühle aus, die ich für den Tenor habe.
„Wann wollte er kommen?", frage ich.
„Er ist schon da", murmelt in dem Moment eine hohe Stimme hinter meinem Rücken.Und ich zweifle keinen Moment daran, dass er unser Gespräch mit angehört hat.