2. Schmerz

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PoV Manuel

Unwillkürlich sank ich ein wenig tiefer in meinen Stuhl.
Ich ließ meinen Kopf leicht nach vorne sinken, sodass mir meine Haare ins Gesicht fielen und senkte meinen Blick auf die Tischplatte vor mir. Ich spürte förmlich, wie er mich ansah, und als ich meinen Blick vorsichtig nach oben huschen ließ, bohrten sich seine grauen Augen in meine. Ein gefährliches Grinsen lag auf seinem Gesicht.
Ich sah weg und wünschte mir im selben Moment, gar nicht erst hochgesehen zu haben. Ich wagte es nicht, erneut meinen Blick zu heben, bis ich sicher war, dass Michael seinen Platz zwei Reihen vor mir eingenommen hatte.
Selbst als der Unterricht bereits begonnen hatte, hielt ich den Kopf gesenkt und kritzelte nur stumm Notizen auf meinen Block. Ich wollte es um jeden Preis vermeiden, auf irgendeine Art und Weise aufgefallen. Michaels Grinsen ging mir nicht mehr aus dem Kopf und immer wieder huschte mein Blick nach vorne, wo er und seine Freunde saßen. Irgendetwas hatte er vor. Das spürte ich.
Dieses ungute Gefühl ließ mich die ganze Stunde über nicht los. Als es zum Stundenwechsel klingelte, warf ich einen unruhigen Blick zu Michael und seinen Freunden, die gerade ihre Schulsachen einpackten. Ich schnappte mir meine Aufzeichnungen, warf meine Schultasche über die Schulter und verließ hastig den Raum.
Das Klassenzimmer, in dem wir nun Geschichte hatten, war zum Glück bereits aufgeschlossen, und so konnte ich einer weiteren Konfrontation auf einem der Gänge aus dem Weg gehen. Als Michael und seine Freunde den Raum betraten, vermied ich jeglichen Blickkontakt.
Ich saß vorne in der ersten Reihe, direkt am Fenster, Michael nahm in der Reihe hinter mir Platz.
Die ganze Stunde lang fühlte ich mich beobachtet. Ich blickte immer wieder auf die Uhr, hoffte, dass die Stunde schneller verging, doch zugleich graute mir vor der Pause. Nach einer gefühltem Ewigkeit, die unendlich langsam und doch zu schnell vergangen war, wurde der Unterricht beendet und alle packten ihre Sachen zusammen. Ich ließ mir beim Einpacken Zeit, wartete, bis ein Großteil der Klasse den Raum verlassen hatte, ehe ich mich den restlichen Schülern anschloss.
Als ich auf den Gang trat, war von Michael und seinen Freunden nichts zu sehen. Wir waren früher herausgelassen worden, und so begegnete ich auf meinem Weg durch das Schulgebäude kaum einem Schüler, bis ich um eine Ecke bog und beinahe mit jemandem zusammenstieß. Ich sah hoch und erblickte Maurice, die Arme vor der breiten Brust verschränkt.
»Pass gefälligst auf, wo du hinrennst«, fuhr er mich an.
Ich senkte den Blick und wollte links an ihm vorbeischlüpfen, doch da stellte sich Michael mir in den Weg. Aus dem Augenwinkel erkannte ich grüne Haare, als sich nun auch Fabian zu Maurice' anderer Seite aufstellte. Ich blickte zwischen den dreien hin- und her, mein Herz schlug schnell. Dann, in einem Anflug von Gleichgültigkeit, drängte ich mich einfach zwischen ihnen hindurch. Noch im selben Moment wusste ich, dass es ein Fehler war. Als ich Michael mit der Schulter zur Seite stieß, wusste ich, dass das Ganze ein Nachspiel haben würde.
Kaum eine halbe Minute später, als ich das Hauptgebäude verließ, wurde ich auch schon von hinten angerempelt. Fabian lief an mir vorbei die Stufen hinab, gefolgt von Maurice, und schließlich Michael, der mich im Vorbeigehen mit voller Kraft von sich stieß.
Ich verlor das Gleichgewicht und stürzte die Treppe hinab.
Ich riss die Arme schützend vor mein Gesicht, dann spürte ich auch schon, wie ich auf den harten Steinstufen aufschlug. Heißer Schmerz zuckte durch meine Knie und Ellbogen, ein Brennen breitete sich in meinen Armen aus, als ich mit den Handflächen über den rauen Stein schürfte. Der Schwung meines Sturzes riss mich noch eine weitere Stufe hinunter, wobei ein schmerzhafter Ruck durch meinen gesamten Körper ging, der mir Tränen in die Augen trieb.
Ich holte krampfhaft Luft und zuckte im gleichen Moment zusammen, als sich ein stechender Schmerz über meine Rippen in meinem ganzen Brustkorb ausbreitete.
Mit zitternden Armen stemmte ich mich hoch und griff nach meiner Brille, die wie durch ein Wunder heil geblieben war. Als ich den Kopf hob, sah ich verschwommen Michael, der mit seinen Freunden über den Pausenhof lief. Ich biss die Zähne zusammen und rappelte mich hoch.
»Oh mein Gott, alles in Ordnung?«, hörte ich eine Stimme über mir, doch ich nahm sie kaum wahr.
Ich sprang auf und rannte an der Person vorbei in das Schulgebäude.
Auf der Jungentoilette ankommen drehte ich den Wasserhahn auf und ließ kaltes Wasser über meine aufgeschürften Hände laufen. Ich blickte in den Spiegel. Meine Lippe blutete und ich hatte mir das Kinn leicht aufgeschürft. Ich hob die Hand, um das Blut wegzuwischen. Als sich dabei der Stoff meiner Jacke über meinen Ellbogen spannte, sog ich schmerzhaft die Luft ein. Behutsam zog ich die Jacke aus und hielt den Unterarm vor den Spiegel. Die Haut war gerötet und leicht aufgescheuert. Ich wischte mir mit dem Handrücken das Blut von den Lippen und fuhr mir durch die wirren Haare. Mein Ellbogen schmerzte, ebenso wie meine Knie und Schienbeine.
Mit zusammengebissenen Zähnen zog ich meine Jacke wieder an und die Kapuze über die Haare, dann riss ich die Tür auf und trat auf den Gang hinaus. Den Blick auf meine Schuhe geheftet hastete ich aus dem Gebäude. Ich hob die Tasche auf, die ich auf der Treppe zurückgelassen hatte, und warf sie mir über die Schulter, dann lief ich raschen Schrittes über den Schulhof und durch das Schultor.
Ich zog die Kapuze tiefer in mein Gesicht und beschleunigte meine Schritte. Den Blick hielt ich auf den Boden geheftet, als ich mich auf den Weg nach Hause machte.


It's never too late - ZomGerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt