6. Tabletten

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PoV Dario


Ich lag auf meiner Couch, die Beine ausgestreckt und den Kopf hinter mir auf die Armlehne des Sofas gelehnt. Vor mir lief der Fernseher.
Mein Kater Findus hatte es sich auf meinem Bauch gemütlich gemacht und schlief seelenruhig. Nur ab und zu zuckte eines seiner Ohren, wenn der Fernseher zu laut war. Neben mir auf dem Boden lag ein Mathebuch, das wohl irgendwann innerhalb der letzten halben Stunde von der Couch gefallen sein musste.
Ich richtete mich ein wenig auf, und tastete nach der Flasche Limonade, die ich neben der Couch auf den Boden gestellt hatte. Dummerweise hatte ich sie zu weit weggestellt, weswegen ich mir nun den Arm verrenkte, um meinen Kater nicht zu wecken.
Ein lautes Klingeln ließ uns beide zusammenzucken.
Die Fernbedienung fiel klappernd zu Boden, als ich mich aufrichtete. Findus blickte mich vorwurfsvoll an und krallte sich an meinem Pullover fest. Ich hob ihn kurzerhand hoch und setzte ihn wieder auf die Couch, während ich aufstand und nach der Fernbedienung am Boden griff, um das Gerät abzuschalten.
Ich lief die Treppe hinunter in den Flur und riss die Haustür auf.
Vor mir stand Manu.
»Hey, Manu!«, grinste ich ihn an, doch als ich seinen Gesichtsausdruck sah, hielt ich inne. Manu war völlig aufgelöst.
»Ich hab Michael geküsst«, sagte er geradeheraus.
Ich blickte ihn verwirrt an, die Worte drangen nur langsam in mein Gehirn.
»Aber ich wollte das nicht, es war Notwehr, ich ...«
Ich verstand kein Wort. Nach einigen Augenblicken sprach ich schließlich meine Gedanken aus:
»Ich wusste gar nicht, dass du schwul bist.«
»Ja, also nein, also nicht mit ihm«, stammelte er und blickte mich hilfesuchend an.
»Manu, stopp«, durchbrach ich seinen Redefluss. »Entweder du bist schwul, oder nicht«, stellte ich klar.
Manu blickte verzweifelt zu mir hoch. Er wirkte vollkommen aufgelöst. Ich kam zu dem Schluss, dass das Ganze kein Thema war, das man zwischen Tür und Angel ausdiskutieren sollte.
»Weißt du was? Komm erstmal rein«, schlug ich vor und mich dankbar anblickend trat Manu an mir vorbei in die Wohnung.
»Also«, sagte ich, als wir in meinem Zimmer auf dem Sofa saßen, »du hast Michael geküsst.«
Manu nickte.
»Den Michael.«
Zögerndes Kopfnicken. Kurze Stille. Dann:
»Du ... hast Gefühle für ihn?«, fragte ich vorsichtig.
»Nein Mann!«, rief er und blickte mich geschockt an.
»Und warum -«
»Es war Notwehr!«, wiederholte Manu seinen Satz von vorhin.
»Notwehr«, sagte ich und blickte ihn skeptisch an. Wie konnte ein Kuss Notwehr sein?
»Manu -«
»Mann, er hat mir gedroht und mich gegen diese Mauer gedrückt und ich- ich wusste nicht, was ich machen sollte, ich konnte nicht weg!«, rief Manu aufgebracht, sprang auf und lief in meinem Zimmer umher.
»Und deswegen hast du ihn geküsst«, stellte ich noch einmal seine Aussage in den Raum, nur um sicherzugehen. Irgendwie passte das nicht zu Manuel.
»Ja«, sagte Manu leise, ließ sich neben mich auf das Sofa fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. »Michael bringt mich um«, murmelte er gedämpft durch seine Finger hindurch.
Eine ganze Weile war es still, bis das leise Tappen von Pfoten ertönte, als Findus durch die halb geöffnete Tür mein Zimmer schlich.
Manu hob den Kopf.
Findus blickte uns einen Moment lang an, dann lief er zu uns und sprang leichtfüßig zwischen uns auf die Couch. Ein leises Lächeln machte sich auf Manus Gesicht breit, als er die Hand ausstreckte und der Kater seinen Kopf an seine Handfläche schmiegte.
»Was soll ich denn jetzt machen, Dario?«, murmelte Manu verzweifelt und strich gedankenverloren durch Findus' Fell, der es sich zwischen uns auf der Couch gemütlich machte und Kopf und Vorderpfoten auf Manus Schoß legte.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich und beobachtete meinen Kater, der schnurrend die Augen schloss.
Manu nieste.
»Soll ich Findus rausbringen?«, fragte ich sofort.
Manuel liebte Katzen, aber er hatte eine Katzenhaarallergie.
»Nein, es geht schon«, murmelte Manu und strich sich seine Haare aus dem Gesicht.
Ich musterte ihn, seine Augen waren leicht gerötet.
»Sicher?«, fragte ich nach.
»Ja«, erwiderte Manu. »Aber wenn du vielleicht eine Allergie-Tablette hast ...«
Ich stand auf und lief in die Küche zum Arzneischrank. Es dauerte keine Sekunde, bis ich die passenden Tabletten gefunden hatte, ich hatte sie praktisch immer griffbereit, falls Manu welche brauchte.
Mit der Tablettenschachtel und einem Glas Wasser in der Hand sowie einer Flasche Cola unter dem Arm machte ich mich wieder auf den Weg die Treppe hoch in mein Zimmer.
Manu blickte auf, als ich das Zimmer betrat. Ich reichte ihm die Tabletten und das Glas, die Flasche stellte ich neben Manu auf dem Boden ab.
»Danke«, murmelte Manu, während er sich eine Tablette nahm. Seine Augen tränten leicht und er klang verschnupft.
Ich legte die Schachtel auf meinen Schreibtisch, falls Manu sie nochmal brauchen sollte und musterte meinen besten Freund, der seinen Blick wieder geistesabwesend auf Findus geheftet hatte.
Nach einer Weile des Schweigens legte ich Manu eine Hand auf die Schulter.
»Hey«, sagte ich leise und Manu sah mich an. »Denk jetzt einfach nicht mehr darüber nach. Jetzt siehst du Michael erstmal ein paar Tage nicht und wir machen uns ein cooles Wochenende. Einverstanden?«
Manu blickte zweifelnd zu mir hoch. Dann lächelte er und nickte.


It's never too late - ZomGerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt