Verlorenes Sein

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POV: Jim
Puh. Ich bin echt froh endlich aus dem Gericht raus zu sein, denn obwohl der Fall eindeutig war, hat er sich in die Länge gezogen wie Kaugummi. Herr Willstons Angebot mich mit seinen Wagen nach Hause zu fahren nehme ich dankend an und keine 20 Minuten später stehe ich auch schon vor meiner Haustür. Ich schließe diese auf und mein Weg führt mich direkt unter die Dusche. Das warme Wasser prasselt über meinen Körper und während ich mich von den aufsteigenden Nebel einhüllen lasse, lasse ich meine Gedanken schweifen. Ich greife nach meinen Duschgel und seife mich mit den blauen Gel ein. Als ich bei meinen Brandnarben, die meinem linken Arm und teilweise meinen Oberkörper zieren angelange, halte ich kurz inne. Die Narben sind nach all den Jahren, zwar schon verheilt, aber sie werden mich immer an das erinnern was ich war und was ich nie wieder sein kann. Nicht sein kann, weil ich seit dem Tag damals im Winter ein anderer Mensch bin, äußerlich wie auch innerlich.
Es kommt mir vor als wäre es eine Ewigkeit und gleichzeitig nur einen Tag her. Es war ein kalter Winterabend, kurz vor meinen 17 Geburtstag und ich hätte eigentlich nicht an dem Ort sein sollen. Dem Ort, der so heiß wurde wie die Hölle und den ich in Albträumen nur, als einen Ort von Schmerz, Trauer, Wut und verlorenen Sein sehe. Dem Ort, der mein Zuhause war, meine Zuflucht. Der es war und nie wieder sein kann.
Es war Spätabends, als das Feuer ausbrach. Ich war ganz alleine Zuhause, denn meine Eltern wollten erst am nächsten Tag von ihrer Geschäftsreise wieder kommen und ich hätte eigentlich bei Sebastian sein sollen. Aber weil es seiner Oma plötzlich nicht gut ging und seine Familie zu ihr ins Krankenhaus fahren wollte, baten mich seine Eltern die letzte Nacht Zuhause zu verbringen. Eine Bitte, die sie sich lange nicht verzeihen konnten, denn so nahm das Schicksal seinen Lauf.
Ich stand gerade unter Dusche und so kam es, dass ich den aufsteigenden Rauch und die Hitze viel zu spät bemerkte. Es erst bemerkte, als sie bereits bei mir im zweiten Stock kurz vor dem Badezimmer angelangt waren. Es gab damals nur zwei Möglichkeiten für mich. Entweder ich bleibe im Badezimmer, warte auf Rettung und werde womöglich von dem Feuer eingeschlossen oder ich versuche an den Flammen vorbei in mein Zimmer zu gelangen, um aus den Fenster hinauszuklettern. Die Entscheidung fiel mir nicht schwer und so rannte ich so gut es ging an den Flammen vorbei zu meinen Zimmer. Aber als ich es fast erreichte hatte, erfasste mein linker Arm plötzlich eine Stichflamme. Der Schmerz riss mich sofort zu Boden. Panisch versuchte ich die Flammen zu löschen und in mein Zimmer zu kriechen. Aber die Flammen waren erbarmungslos und erfassten meinen Oberkörper. Der Schmerz war unerträglich, aber ich versuchte weiter in mein Zimmer zu kriechen. Plötzlich hörte ich Sirenen von weiter weg, die rapide näher kamen. Hoffnung kam in mir hoch und ich versuchte weiterzukommen, aber meine Kraft ging mir aus. Ich blieb liegen und hoffte, dass die Flammen nicht näher kommen würden. Das Fenster wurde eingeschlagen und ein Feuerwehrmann, entdeckte mich und kam zu mir gerannt. Er rief nach Hilfe und ich wurde geborgen. Als ich endlich aus dieser brennenden Hölle raus und im Krankenwagen war, verlor ich mein Bewusstsein und kam erst Tage später im Krankenhaus zu mir. Die Zeit auf der Intensivstation liegt für mich, bis heute noch, in einem dichten Nebel aus Schmerz und Leid. Trotzdem erinnere ich mich immer noch an Gesprächsfetzen, an Gesichtsausdrücke und an all die Gefühle, die ich hatte.
Der Brand hatte mich verändert, denn nicht nur mein Körper hatte bei den Feuer Schaden genommen sondern auch meine Psyche. Der fröhliche Junge, der ich eins war, war eine sehr lange Zeit verschwunden und machte einen sich selbsthassenden und depressiven Jungen Platz. Ich konnte meinen Anblick im Spiegel nicht ertragen, habe sie teilweise aus Wut immer und immer wieder zerschlagen. Ich verschanzte mich in meinen neuen Zimmer in dem neuen Haus, das für mich kein Zuhause war und ließ keinen mehr an mich heran. Ich fühlte mich elend und all die Versuche von meiner Familie mich aus meinen Loch zu holen, machten mich wütend. Wütend, weil ich nicht raus konnte. Weder aus diesem Loch raus konnte, geschweige denn mein Schicksal akzeptieren konnte. Ich fühlte mich wie ein Monster und eine sehr lange Zeit dachte ich auch, dass ich eins wäre. Das Feuer hatte mich in meinen Augen entstellt und es dauerte fast eine Ewigkeit bis ich akzeptiert hatte, dass ich jetzt für immer so Aussehen würde. In diesen Zeiten stoß ich jeden von mir weg. Ich wollte niemanden mehr sehen, wollte nicht, dass mich jemand sieht. Und jedes mal wenn doch jemand kam, lief es immer gleich ab: Ich lag im Bett, sie klopften an meinem Zimmer an, ich ließ meine Wut an ihnen aus und sie gingen wieder. Und irgendwann kam dann keiner mehr. Keiner bis auf einen: Sebastian. Er kam immer wieder, egal wie sehr ich meine Wut an ihm ausließ oder wie sehr ich ihn zum Teufel wünschte, er kam immer wieder. Er setzte sich jeden Tag vor meiner Tür, damit ich entscheide konnte wann ich bereit war diese zu öffnen und redete mit mir. Ob ich antwortete oder nicht. Er erzählte mir von seinem Leben, von all den Sachen, die wir zusammen tun könnten, in der Zukunft und wie sehr er sich darauf freute mich wieder bei sich zu haben. Er redete mit mir und gab mich nie auf. Selbst dann nicht, als ich ihn tagelang angeschwiegen habe und in Selbstmitleid zerfloss. Er kam trotzdem jeden Tag und irgendwann begann ich tatsächlich mich besser zu fühlen. Ich begann mit ihm zu reden, zwar immer noch durch die Tür, aber es half mir wirklich sehr durch diese Zeit. Und irgendwann nach Wochen, des durch die Tür Redens, war ich bereit diese zu öffnen und sah ihn zum ersten Mal seit einer langen Zeit in die Augen. Er nahm mich stumm in die Arme und flüsterte: "Ich habe dich so vermisst." Ich konnte damals nicht anders und fing in seinen Armen an zu weinen. Zum einen, weil ich glücklich war ihn zu haben und zum anderen, weil ich immer noch unter meiner Situation litt. "Danke," flüsterte ich damals. Sebastian blieb über Nacht bei mir und war einfach für mich da. So wie er es eigentlich schon die ganze Zeit war. War und immer sein wird.
Ich stelle die Dusche ab und ziehe mich an. Die Erinnerung an die Zeit damals ist wie zwei Seiten einer Medaille. Einerseits war es eine verdammt harte Zeit für mich, andererseits war sie aber auch wunderschön, denn Sebastian und ich verbrachten eine Menge Zeit zusammen und er holte mich nach und nach aus meinem Loch raus. Ich war danach, zwar nie wieder der alte, aber das wollte ich auch gar nicht mehr sein.
Als mein Magen laut zu knurren anfängt fällt mir plötzlich wieder ein, dass ich heute noch gar nichts gegessen habe. Ich entschließe mich bei dem Chinesen um der Ecke etwas zu kaufen und bei dir vorbei zu gehen, um mich für das verpasste Mittagessen zu revanchieren. Und vielleicht können wir uns einen Film zusammen ansehen oder einfach nur dasitzen und bis tief in die Nacht reden. Schließlich haben wir heute Freitag und müssen Morgen nicht arbeiten.

(Bild:Tumblr:heavyonmyconscience)

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