04 - Seebekanntschaft

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Draußen angekommen verlangsame ich mein Tempo wieder. Der Abend ist warm und freundlich und ich beschließe, einen Spaziergang um den See zu machen, der direkt an unserem Haus liegt. Ich trete von der Straße auf den Pfad, der um den See führt und lasse meinen Blick auf den See schwenken. Am anderen Ufer sehe ich zwei Personen auf der Veranda eines roten Hauses sitzen, der eine spielt Gitarre und der andere singt anscheinend, was ich an den Bewegungen seines Mundes festmache. Ich wende mich nach links und laufe weiter um den See. Hier in der Gegend sind die meisten Häuser ziemlich protzig, aber es gibt auch einige Otto-Normalverbraucher-Häuser. Mary, meine Nachbarin und Freundin, die morgens zusammen mit mir immer zur Martin High School fährt, wohnt in so einer protzigen Villa. Die Villa ist eigentlich ganz schön, aber da ihre Eltern oft ziemlich lange auf Geschäftsreisen sind, ist sie oft bei mir in unserem gemütlichen Haus. Ich bin ziemlich froh, dass meine Eltern oft da sind und mich bei allem unterstützen. Mit Mary würde ich nicht tauschen wollen. Sie bekommt zwar alles, was sie möchte, aber dafür ist sie auch fast immer alleine, wenn sie nicht bei uns ist, was zum Glück ziemlich oft vorkommt. Meine Eltern Nel und Mike sehen sie inzwischen fast als eine Tochter an und meine ältere Schwester Jessica, auch Jessa genannt, macht mit ihr zusammen all den Mädchenkram, den sie sonst nicht machen würde. Oft mache ich auch mit, inzwischen bin ich festes Mitglied der Mädchenabende.

Kirstie wirft mir oft vor, dass ich mehr mit Mary mache als mit ihr, was erstens gar nicht stimmt, und zweitens nicht wirklich schlimm wäre, weil Mary so was wie eine Schwester für mich ist. Als ich so entspannt um den See wandere, die Grillen zirpen höre und das stille Wasser beobachte, wandern meine Gedanken zu Scott. Das heute war echt heiß. Sein Blick, als ich diesen ungezogenen Satz gebracht habe.. „Hey, Mitch, das war ein Scherz. Mit dir, cutie, werden die Proben ein Spaß!" Er zieht seine Augenbraue nach oben und grinst mich kokett an. Wenn er denkt, das kann nur er, hat er sich gewaltig geschnitten. Ich setze meinen verführerischsten Blick auf und antworte: „Ja, daddy, das denke ich auch." Diese Spannung zwischen uns hat mich echt verrückt gemacht und ich muss echt nicht mehr ganz bei Sinnen gewesen sein, diesen Satz rauszuhauen. Aber ganz ehrlich: Wie er rot angelaufen ist, das war es wert. Sein unsicheres Lächeln und danach seine ehrliche Äußerung: „Nein, Mitch. Also.. ich meine das.. wirklich. Ich ... freu mich auf die Proben." Wenn er wüsste, wie glücklich mich dieser Satz gemacht hat. Mein Herz hat einen Hüpfer gemacht und ich konnte nicht umhin, zu lächeln. Wie er mich angelächelt hat mit seinen warmen ozeanblauen Augen und mich zum Abschied in eine Umarmung gezogen hat. Dort, wo unsere Haut sich berührt hat, hat es gekribbelt und ich wollte ihn gar nicht mehr loslassen.

Und dann, nachdem ich mich gelöst hatte und er aus der Tür gegangen war, kam Kirstie. Natürlich hatte sie diese Spannung zwischen Scott und mir bemerkt, aber ich konnte sie überzeugen, dass das nichts gewesen war: „Kirstie, wieso sollte ich mit ihm flirten? Ich hab doch die beste Freundin der Welt. Ich hab dich." Und das stimmt ja auch. Als ich an Kirstie denke, fange ich an zu lächeln. Die Geborgenheit, die sie mir schenkt, ist echt unbezahlbar. Ich weiß, dass sie immer da sein wird für mich. Die Situation heute hat mich echt überfordert. Kirstie war echt sexy in ihrem Negligé und eigentlich hätte mich das total anmachen müssen. Hat es aber nicht. Was allerdings erregend war, war die Kontrolle, die sie übernommen hat. Wie sie die Sache geführt hat. Wie sie sich ausgezogen hat und dabei totales Selbstbewusstsein ausgestrahlt hat. Mit welcher Kontrolle sie meine Hände auf ihre Brüste gelegt hat. Ich mag es, in solchen Sachen geführt zu werden, das habe ich heute gemerkt.

Als ich den See fast zu zwei Dritteln umrundet habe, bin ich näher an dem roten Haus. Die Jungen sitzen mir mit dem Rücken zugewendet und der eine spielt immer noch auf seiner Gitarre. Der andere hat blondes Haar und das T-Shirt spannt an seinem Rücken, als er sich nach vorne beugt, um anscheinend eine Stelle leidenschaftlich zu singen. Das Bild ist einfach wunderschön. Die beiden auf der Veranda sitzend, die Gitarre, links das rote Haus und rechts der blaue See. Ich hole mein Handy raus und mache ein Foto. Ich hoffe, dass sie das nicht merken. Ich weiß, dass es eigentlich nicht okay ist, jemanden zu fotografieren, den man nicht kennt, aber diese Szene ist einfach umwerfend. Als ich näher komme, spielt der Gitarrist gerade ein Gitarrensolo. Ich laufe weiter am See entlang, der eine Biegung macht. Als ich zwei Meter weiter bin, setzt der Sänger wieder ein. Seine Stimme erkenne ich sofort. Scott. Sie schickt mir wie immer einen Schauer über den Rücken und ich bin sofort total gefangen von der Art, wie leidenschaftlich er dieses Lied singt. Die Riffs gehen ihm leicht von der Stimme, aber das Ende ist ruhig: „Make love to me." Ich hab Tränen in den Augen. Der Gitarrist klatscht Scott auf die Schulter und steht auf. Er sieht mich, lächelt mich an und geht in Richtung Haus. Scott dreht sich zu mir und sein Gesicht nimmt einen erstaunten Ausdruck an. „Hey Mitch!", ruft er. „Was machst du denn hier?" Ich lächle und gehe in Richtung der Veranda. Als ich vor den Treppenstufen stehe, weiß ich nicht, was ich machen soll. Soll ich einfach zu ihm hoch gehen? Aber Scott nimmt mir die Entscheidung ab. Er kommt die Stufen herunter und schließt mich in eine Umarmung, bei der in mir alles anfängt zu kribbeln. Ich antworte auf die von ihm gestellte Frage: „Ich hab einen Spaziergang um den See gemacht, um den Kopf frei zu bekommen. Und du? Wohnst du hier?" Er wendet den Blick vom See zu mir: „Ja, seit zwei Wochen ungefähr. Unsere alte Wohnung war einfach zu klein und das Haus hier war zu verkaufen. Ich bin froh darüber. Ich liebe diesen See." „Ich auch. Das ist echt schön, direkt daran zu wohnen. Wenn ich aus meinem Zimmer auf ihn gucke, entspannt mich das total.", antworte ich und lächele ihn an. Er lächelt zurück und fragt: „Du wohnst auch hier in der Nachbarschaft?" Ich deute auf unser Haus auf der anderen Seite des Sees: „Dort drüben."

Sein Lächeln wird noch größer. „Das ist schön, einen Freund in der Nachbarschaft zu haben.", sagt Scott. Dieser Satz löst ein Kribbeln in mir aus, ich explodiere geradezu von innen. Er macht mich unglaublich nervös. Ich möchte ihn gerade fragen, wie er es sonst so hier findet, als es anfängt unglaublich zu regnen. Es ist zwar schon März und relativ warm, aber der Regen ist noch unglaublich kalt und wir sind nach fünf Sekunden durchnässt. Scott flucht und nimmt meine Hand. Er zieht mich zu seinem Haus bis zur Verandatür, aber alles, worauf ich achten kann, ist seine Hand, die meine umschließt und wie unsere Hände perfekt zueinander passen. Mit Kirstie wird Händchen halten nach einer Zeit immer ungemütlich, weil wir ziemlich gleich groß sind, also einer uns dabei immer krumm steht und weil auch unsere Hände ziemlich die gleiche Größe haben, und so keiner von uns die andere Hand umschließen kann. Mit Scott ist das einfach viel anders. Ich seufze, als ich merke, wie ich in Scotts Gegenwart schon wieder an Kirstin gedacht habe.

Drinnen bietet Scott mir einen Sitzplatz am Esszimmertisch an, der an einem Fenster steht und einen perfekten Blick auf den See bietet. „Ich geh gerade mal Handtücher holen, okay?", fragt er mich. Ich nicke ihm zu und gucke weiter auf den See. Der Regen peitscht auf ihn herunter und ich bin froh hier im Haus mit Scott zu sein. Scott kommt umgezogen und mit frischen Handtüchern wieder und reicht mir eins. „Hier, trockne dich ab. Du frierst ja total, sonst wirst du krank." Ich trockne meine Arme ab und auch meinen Bauch und Rücken unter dem T-Shirt. Scott runzelt die Stirn. „Das wird so nichts. Weißt du was, ich hole dir Klamotten von mir, okay?" „Danke", antworte ich ihm. Das ist ziemlich nett von ihm. Ich meine, wir kennen uns seit einer Woche. Seit der ersten Musicalprobe.

Direkt nachdem Scott den Raum verlassen hat, höre ich, wie die Haustür aufgeschlossen wird. „Scott? Wir sind wieder da.", ruft eine weibliche Stimme. Mir dreht sich der Magen um. Die Tür zum Esszimmerbereich öffnet sich kurz später und herein kommt eine junge Frau mit einem Baby auf dem Arm. Sie muss ungefähr so alt sein wie wir und das Baby ungefähr 8 Monate. Sie sieht mich. „Oh hey, ich bin Lucy. Weißt du, wo Scott ist? Niclas hat sich auf dem Weg hier hin die Augen ausgeweint. Scott muss noch sein Kuscheltier haben, er hatte Niclas heute Nachmittag nämlich." Ich starre sie mit weiten Augen an. Scott hat ein Kind? Ich kann die Tränen nicht unterdrücken, die mir in die Augen schießen. „E-er ist im Ba-a-ad.", stammele ich und gucke nach unten. Als Scott das Zimmer betritt geht er zu Lucy und nimmt ihr Niclas ab. „Da ist ja mein kleiner Prinz." Das gibt mir den Rest. Ich sage leise mit dem Blick nach unten, sodass er meine Tränen nicht sehen kann: „Ich muss gehen.". Ich öffne die Terrassentür und renne hinaus in den Regen.

„Mitch! Hey, warte doch mal!".

Ein Abschlussjahr ≠ 08/15 - Sup3rfruit FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt