18 - Koma

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Die folgenden Tage schotte ich mich innerlich total ab von meiner Umwelt. Ich kann meine Situation einfach nicht ertragen und Scott zu begegnen, wäre der blanke Horror. Der Kuss war wunderbar, aber letztendlich hat er doch alles noch schlimmer gemacht. So drücke ich mich drei Tage lang vor der Schule. Über mich wird ja sowieso schon geredet, jemand, der sich gerade geoutet hat, ist immer Thema Nummer 1. Da muss ich nicht auch noch Auseinandersetzungen mit Scott haben, oder das komische Gefühl, das aufkommt, wenn beide so tun, als hätten sie den anderen nicht gesehen.

Am Donnerstag schaffe ich es, mich aus meinem Bett zu quälen und der Welt ins Auge zu blicken. Es kostet mich eine ungemeine Überwindung, aus meiner schützenden Festung hinauszukommen und als ich an der Schule bin, bin ich heilfroh, dass ich nicht wieder eine Panikattacke bekommen habe. Mittlerweile war ich auch – dank meiner Mutter – beim Arzt, der festgestellt hat, dass diese Panikattacken eine einfache Stressreaktion meines Körpers sind.

Ich steige aus dem Auto meiner Mom aus, die mich heute persönlich zur Schule gefahren hat, und gehe über die große Treppe vom Parkplatz über die Straße auf den runden Eingang meiner Schule zu.

Der erste Mensch, dem ich begegne, ist Kirstie. Von all den Menschen, die in dieser Schule ihren Tag verbringen, begegne ich zuerst Kirstie. Ich lächle ihr unsicher zu, aber sie dreht sich nur wütend weg. Wenigstens hat sich so die Unsicherheit gelohnt...

Bis zwei Uhr verläuft der Tag schleppend, aber wenigstens habe ich in den meisten Fächern Mary an meiner Seite. Als die Schulglocke läutet, bin ich trotzdem mehr als erleichtert und lasse mich vom Schülerstrom auf den Gang mitziehen. Von dort aus gehe ich erst mal auf die Toilette. Dort sammle ich Mut, denn gleich beim Chor werde ich Scott begegnen. Am liebsten würde ich gar nicht erst zur Probe gehen, aber der Auftritt ist schon in weniger als zwei Monaten, und bei dem Pensum, das wir noch schaffen müssen, ist jede Probe extrem wichtig.

Ich wasche mir meine Hände und betrete dann den Flur, der mittlerweile deutlich leerer ist. Anscheinend hat der Klogang doch länger gedauert, als ich es mir eingestehen wollte. Ich bewege mich in Richtung des Probe-Saals, ganz langsam. Einen Fuß vor den anderen. Dabei tief durchatmen. Und hoffen, dass es nicht allzu komisch wird mit Scott. Beim Saal angekommen, öffne ich die Türen und bewege mich zu meinem Platz bei den Tenören. Bis jetzt ist erst ein anderer Tenor da, der soweit weiß Bob heißt und nicht außerordentlich gut singen kann. Scott ist noch nicht da. Mein Glück, denn so bleibt mir noch ein bisschen mehr Zeit, ihm zu begegnen nach unserem Kuss und meinem unbeabsichtigt dramatischen Abgang.

Als wir uns einsingen, ist Scott immer noch nicht aufgetaucht. Was nicht untypisch für ihn ist, manchmal kommt er ganze dreißig Minuten später, weil er noch zum Starbucks laufen musste. Bei jedem anderen Lehrer würde das Schelte geben, immerhin wird der Chor als Unterricht angerechnet, aber bei Mrs Blythe gibt es nur ein Hochziehen der rechten Augenbraue. Aber auch dreißig Minuten später ist Scott noch nicht da. Den ersten Song haben wir mittlerweile mitgesungen, und Kirstie ist gleich mit ihrem ersten Auftritt dran. Mrs Blythe ist schon die ganze Zeit am Klagen darüber, dass die Besetzung heute so schwach ist.

Als vierzig Minuten vorbei sind, fragt sie schließlich ganz explizit nach Scott: „Mitch, weißt du wo Hoying ist? Zwei Tenöre sind ein paar wenige." Ich schüttele nur irritiert den Kopf, um dann zu erstarren. Ich war gerade dabei, ihn zu vergessen. Jetzt gucken mich einige Leute an und tuscheln. Es ist natürlich nicht an der Schule vorbei gegangen, dass Scott und ich in der letzten Zeit ziemlich viel zusammen gemacht haben.

Und Nick Evans? Es kann doch nicht sein, dass uns der Hauptdarsteller fehlt. Ohne sich abzumelden." Mrs Blythe schüttelt den Kopf und dirigiert dann das nächste Chorstück an. Keine zehn Minuten kommt unsere Schulsekretärin aufgeregt in den Saal gestürmt und lotst Mrs Blythe aus dem Raum heraus. Diese schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. „Kann denn heute irgendetwas glatt laufen?", sagt sie lachend, aber folgt dann sofort der aufgeregten Sekretärin.

Wir Sänger warten keine fünf Minuten im Raum, bis Mrs Blythe wieder in den jetzt ziemlich lauten Raum zurück kommt. Auch bei nur dreißig Leuten kann eine Lautstärke aufkommen, die ziemlich unertragbar ist. Mrs Blythe versucht, sich Verhör zu schaffen. Ich verstehe nichts, nur die letzten Worte kommen bei mir an: „... im Koma."

Ich kann nichts dagegen machen, meine Beine knicken weg und ich sinke zu Boden. Ich bekomme keine Luft mehr. In dem Moment muss ich ironischerweise daran denken, dass ich jetzt weiß, dass das eine Panikattacke ist, mir das im Moment aber nicht wirklich weiter hilft. Ich sehe noch, wie Mrs Blythe auf mich zu rennt, und dann wird bei mir wie viel zu oft in letzter Zeit alles schwarz.

Ein Abschlussjahr ≠ 08/15 - Sup3rfruit FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt