Kapitel 10

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04. Juni 1997

Ich konnte die letzten drei Tage nichts aufschreiben, da ich totalen Stress in der Uni hatte und Vater immer den ganzen Abend mit mir verbrachte. Es gibt nichts neues aus dem Zirkel. Jasper ist am 02. nochmal nach Marseille gereist um seine Wohnung zu kündigen und seine Sachen zu packen, heute Abend ist er wieder da gewesen. Beim Abendbrot habe ich erfahren, dass er die Wohnung neben uns bekommen hat, also das "Aile- appartement".  Er hat mich gefragt, ob ich am Freitag Lust hätte mit ihm Möbel kaufen zugehen. Ich stimmte zu, da ich die restlichen tage eh noch nichts vorhabe. Bis Jaspers Wohnung eingerichtet ist, wohnt er im Gästeappartement "Paix", das ist von allen am weitesten von unserem entfernt. Sonst gab es Heute nichts aufregendes, ich sah noch nicht einmal Juliette.

05. Juni 1997

Die Nacht über hatte ich einen Albtraum. Mutter sagte Blut überströmt: "Das ist alles deine Schuld Natalie! Und du wirst die Nächste sein." Danach konnte ich nicht mehr schlafen. Ich musste erst um elf zur Uni und da ich nicht wusste was ich in der Zeit machen sollte, besuchte ich Madam Lester in der Küche. Sie erzählte mir, dass ihre Tochter auch bald ihren Abschluss machen wird und sie höchstwahrscheinlich gleich vom Zirkel als Küchenhilfe übernommen werden soll. Madam Lester liebt ihre Tochter Sofie so sehr. Ich weiß, dass ihre Tochter mehr erreichen könnte, als eine Küchenhilfe zu werden. Ich versprach ihr mit meinem Vater darüber zu reden und sagte zu Madam Lester, dass ich zumindest versuchen werde Sofie als meine Beraterin einzustellen. Mir steht schon seit meinem 18. Lebensjahr die Wahl zu einer Beraterin, aber ich brauchte bis jetzt noch niemanden. In unserem Zirkel ist es üblich, dass jeder in seiner Kaste bleibt. Es ist wie im Hinduismus, jeder wird in seine Kaste geboren und kann sich nur in ihrer hoch arbeiten oder heiraten, aber bei uns gibt es auch sehr selten Ausnahmen. In solchen Ausnahmen sind es meist Männer die sich hoch gearbeitet haben. Der Zirkel ist gegliedert in: "inférieur" (Niedere Schicht), "milieu" (Mittlere Schicht), "haut de gamme" (die Gehobene) und "le plus haut" (die höchste Schicht). Da ich aus einer Urfamilie stamme, gehöre ich zur höchsten Schicht, ich weiß nicht in welcher Schicht Madam Lester ist. Man fragt Menschen nicht nach seiner Couche, es ist unhöflich, aber ihrer Arbeit zu folge ist sie entweder in der niederen oder mittleren Couche. Jedenfalls fand sie es sehr nett von mir, dass ich mich um Sofie kümmern würde. Wir unterhielten uns außerdem über Jasper, sie findet ihn ebenfalls sehr sympathisch und erzählte mir, dass er anscheinend bald mit in den Rat eintreten wird. Madam Lester bekommt so viele Informationen aus erster Hand zu erfahren, von denen ich nur träumen könnte, egal ob ich über ihr stehe oder nicht. Sie erklärte mir, dass das Geheimnis darin lege, einfach so zu tun als wäre man unsichtbar, die Menschen hier verwalten weniger mit Vorsicht, wenn nur eine einfache Küchenmagd im Raum war. Was konnte sie schon anrichten? Sie würde es eh nicht wagen. Ich mag Madam Lester, früher versteckte ich mich manchmal in der Küche und unterhielt mich mit ihr, wenn Mutter oder Vater nach mir suchten, weil ich irgendeinen Blödsinn gemacht hatte. So wurden wir gute Freunde. Ich aß mit bei ihr Frühstück und ging dann wieder in unsere Wohnung und packte meine Sachen für die Uni. Die Zeit dort verging wie im Flug und anschließend traf ich mich mit Juliette in einem Cafe. Sie erzählte mir, dass sie Morgen ein Date hat, wollte mir aber immer noch nicht sagen, wer es ist. Anschließend gingen wir zum Pilates. Ich war seit dem Tod meiner Mutter nicht mehr beim Pilates  und brauchte es sehr. Nach dem Training fuhren wir wieder nach Hause und es gab wie immer Abendessen im Speisesaal, zusammen mit den anderen Urfamilien. Wir unterhielten uns wieder mit Jasper und machten Pläne für Morgen, wobei ich feststellte, dass Paul Rubis uns andauernd beobachtet hatte. Er ist etwa in unserem Alter und sicher etwas verärgert, dass wir nichts mit ihm unternehmen. In dem Fall ist er wie Kora. 

06. Juni 1997 

Heut ist schon wieder Freitag und im Gegensatz zu Gestern, konnte ich super schlafen. So gut, dass ich fast verschlafen hätte. Vater hatte mich geweckt, als er feststellte, dass ich noch gar nicht am Frühstückstisch saß. Ich musste mich sehr beeilen um noch rechtzeitig zur ersten Vorlesung zu kommen und fuhr deshalb auch Ausnahmsweise  mit der Limousine des Zirkels. Uns Urfamilien steht sie jeder Zeit zur Verfügung, Juliette und Toren gebrauchten sie inklusive Fahrer täglich, aber ich wollte sonst lieber die 15 Minuten zur Uni laufen. Außerdem will ich nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf mich ziehen, dann werden mir nur zu viele Fragen gestellt, die ich eh nicht beantworten kann. Genau das bekam ich Heute auch zu spüren, die Studenten sahen mich an und tuschelten als ich eilig an ihnen vorbei zur Vorlesung rannte. Sören erzählte mir darauf erst einmal, dass er gar nicht wusste, dass ich reich sei und dann musste ich mir die halbe Vorlesungen seine Lebensgeschichte anhören, bis ich ihm dann gesagt hatte, dass ich gern etwas lernen würde. Ich glaube er war davon etwas getroffen, denn er sagte die restlichen Stunden nichts weiter. Als ich gerade wieder nach Hause laufen wollte, fragte er mich allerdings, ob Jasper mein Freund sei und als ich verneinte, fragte er mich ob wir mal zusammen ausgehen wöllten. Ich stimmte erstmal zu, Absagen könnte ich später immer noch. Als ich dann endlich Zuhause war, zog ich mich um und aß etwas, anschließend lief ich durch das ganze Gebäude bis ich endlich nach gefühlten zehn Minuten Jaspers Wohnung gefunden hatte. ich kenne unsere Anlage eigentlich sehr gut, aber im Ostflügel war ich in meinem ganzen Leben erst zweimal und dort gibt es ja nicht nur eine Wohnung, sondern zwanzig. Jasper ließ mich erst einmal rein, da er  noch duschen musste. Ich sah mich in der Zeit etwas in seiner Obligatorischen Wohnung um, der Zirkel hatte selbst für die Gästewohnungen nicht an Geld gespart. Sie sind im gleichen Barocken Stil, wie die Flure, der große Saal, Speisesaal, der kleine Saal, die Versammlungsräume und die Septe. Als wir endlich los konnten, fuhren wir in ein teures Möbelhaus, er hatte sich den schwarzen Porsche 911 Carrera von seinem Vater ausgeliehen und als ich ihm die Frage stellte, wie er denn die Möbel nach Hause bekomme, meinte er nur, dass sich jemand anderes drum kümmern wird, wir müssen sie nur aussuchen.  Am Schluss hatten wir sein ganzes Wohnzimmer gekauft, welches schlicht, modern und hell aussieht. Außerdem kauften wir eine wunderschöne Badewanne, bei der ich neidisch wurde. Er zwinkerte mir da zu und meinte, dass wir sie mal zusammen ausprobieren müssten. Da wurde ich total rot im Gesicht! Nach dem wir die Möbel gekauft hatten lud Jasper mich in ein Restaurant ein, es war dort so romantisch und ich weiß immer noch nicht, ob das vielleicht sogar ein Date war. Er brachte mich sogar zu meiner Wohnung und ich denke, wenn Vater nicht dazwischen geplatzt wäre, hätten wir uns auch geküsst, aber so verabschiedete sich Jasper nur schüchtern. Das hätte ich auch gemacht, wenn sein Vater mich so ansehen würde, wie meiner es bei Jasper tat! Vater war danach etwas sauer auf mich, da wir nicht vorher angekündigt hatten, nicht beim Abendessen zu erscheinen. Aber mir war das in dem Moment egal, denn ich glaube, ich bin in Jasper Tuteur verknallt.

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