Kapitel 5

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Belle:

Am nächsten Morgen wachte ich sehr früh auf, doch ich wurde nicht besonders friedlich geweckt. Es waren nicht die sanften Sonnenstrahlen die durchs Fenster auf mein Gesicht trafen, oder eine kalte Brise die mich aufweckte. Es war meine Übelkeit. Gerade noch rechtzeitig schaffte ich es zur Toilette, doch dann übergab ich mich. Heftiges Würgen reizte meinen Magen solange bis er leer war. Erstaunlicherweise ging es mir danach aber ziemlich gut. Heute war eigentlich nichts mehr großartig zu tun, weshalb ich mich nochmal hinlegte und erst um 12 Uhr wieder aufwachte.

Danach machte ich mich fertig und putze die Wohnung. Dabei fiel mir ein kleiner Zettel am Tisch auf.

"Wenn du irgendetwas brauchst, zögere nicht mich anzurufen. Ich bin jederzeit erreichbar. Oliver" Darunter stand noch seine Telefonnummer, E-Mail Adresse und seine eigene Adresse.

Oliver. Wenn ich nur an ihn denke, wird mir schon warm im Bauch. Früher habe ich nie an Liebe auf den ersten Blick geglaubt, doch seit ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, fühlte ich mich unwillkürlich zu ihm hingezogen. Seine Nähe war berauschend und beruhigend zugleich. Oliver hatte eine ganz besondere Ausstrahlung.

Leider musste ich ihn zurückweisen, als er mich um ein Date bat. Ich konnte momentan einfach keine Beziehung eingehen. Es wäre ihm gegenüber unfair. Warum sollte er mit mir zusammen sein wollen, wenn ich das Kind eines anderen unter meinem Herzen trug?

Dennoch konnte ich nicht widerstehen ihn anzurufen. Meine Gefühle spielten wegen der Schwangerschaft verrückt, und ich hatte Sehnsucht nach ihm. Die Einsamkeit machte mir einfach zu schaffen.

Schon nach dem ersten Klingeln hob er ab:" Hallo, wer spricht da?"hörte ich am anderen Ende der Leitung. "Ich bins, Belle." "Oh, hey Belle, ist alles in Ordnung?" er klang irgendwie besorgt. "Ähm, ja klar. Du, ich wollte fragen ob du gerade Zeit hast, ähm, weil ich ein wenig spazieren gehen wollte im Wald, aber ich kenn mich ja noch nicht sogut aus hier und deswegen wollte ich nicht alleine gehen. Du musst natürlich nicht mitkommen, wenn du was anderes vorhast." Ich redete mich sprichwörtlich um Kopf und Kragen. Leises Lachen an der anderen Leitung: "Wann soll ich da sein?" "Halbe Stunde?" "Ok, Belle, bis dann." Und dann piepste schon das Telefon.

Zwanzig Minuten später war er schon vor meiner Wohnung und wir gingen los. Er war mit dem Motorrad da, und gab mir den zweiten Helm. Wow. Ich war noch nie Motorrad gefahren, aber ich hatte keine Angst. Nicht wenn ich mit ihm mitfuhr.

Das das Motorrad fahren einen großen Vorteil hatte, bemerkte ich schnell. Schon beim Aufsteigen wurde mir bewusst, dass ich mich an Oliver klammern konnte, und sogar eine gute Ausrede hatte.

Also genoss ich es, seinen Warmen Körper unter meinen Händen zu spüren, und legte meine Wange an seinem breiten Rücken ab. Die Augen geschlossen kostete ich die Fahrt voll aus.

Plötzlich fühlte ich, dass Oliver meine Hände von seinen Körper löste und zu mir sagte: "Belle, wir sind schon da." Die Hitze kroch meinen Hals hinauf und brachte meine Wangen zum glühen.

Scheisse, ich hatte nicht bemerkt das wir schon angehalten haben.

Wie lange wir schon standen wollte ich gar nicht wissen, dass würde die Peinlichkeit nur noch verdeutlichen.

Während ich mir den Helm vom Kopf zog, betete ich, dass ich nicht rot wie eine Tomate war. Danach gab ich ihm den Helm, wobei seine warmen Finger meinen Handrücken streiften und ein sanftes Glühen hinterlassen. Er zog mich an der Hand in den Wald hinein und ging, ohne Karte einen der Wege entlang. Er schien sich ziemlich gut auszukennen.

"Verbringst du viel Zeit im Wald?"war die Frage die das Eis brechen sollte. Er schien zu überlegen was er sagen sollte. "Ja schon.
Ich bin hier aufgewachsen und bin schon als Kind oft hierhergefahren. Der Wald ist sozusagen mein Rückzugsort. Immer wenn ich mal Ruhe brauche, gehe ich hierher und genieße einfach nur die Schönheit. Wie gefällt es dir bis jetzt in Glenwood?"
"Glenwood Springs ist ein fantastischer Ort. Die Umgebung ist so friedlich, dass ich mich sofort in sie verliebt habe. Ich bin in der Stadt aufgewachsen und mir war nie bewusst wie eng dort alles ist. Haus an Haus, Straße an Straße, weißt du? Hier ist alles so weit und offen. Ich hab nicht gewusst dass mir das sogut gefällt." Er schien erstaunt und fragte sofort:" In welcher Stadt bist du aufgewachsen?" "Denver." Danach herrschte für ein paar Minuten Ruhe.

Bis er sie durchbrach:"Darf ich dich was fragen Belle?" Ich nickte zögernd. "Warum bist du hierhergezogen?" war die Frage, vor der ich mich am allermeisten gefürchtet hatte. Ich musste ihn die Wahrheit sagen, doch was wenn er mich dann nicht mehr mochte? Was wenn er sich vor mir ekelte?

Doch ich konnte ihn einfach nicht anlügen, wenn er mich dann nicht mehr wollte, musste ich das einfach akzeptieren. Also begann ich zögernd zu erzählen:" Meine Eltern haben mich hinausgeworfen." Er sah mich interessiert an, also fuhr ich fort:" Vor ein paar Monaten habe ich ziemliche Scheisse gebaut. Eine meiner damaligen Freundinnen war auf einer College Party eingeladen und überredete mich mitzukommen. Erst wollte ich keinen Alkohol trinken, doch Alice, meine Freundin, hat mich auch dazu überredet. Erst war alles lustig. Wir tanzten und lachten, doch dann trank ich weiter. Irgendwann kann ich mich nichtmehr erinnern was passierte. Am nächsten Tag wachte ich in einem fremden Bett auf. Ich war so froh, dass dieser Typ dem das Bett gehörte nicht da war, dass ich einfach verschwand. Ich fühlte mich so schmutzig, dass ich es so gut wie möglich verdrängt. Doch ich konnte es nicht mehr verdrängen, als meine Tage nicht kamen. Der Arzt bestätigte mir dann, dass ich schwanger bin. Als ich das erste Bild von meinen Baby sah, wusste ich aber ganz genau, dass ich niemals abtreiben könnte. Du musst wissen, meine Eltern sind Erz-Katholisch und Ultra Konservativ. Sie hätten mich gezwungen abzutreiben, das wusste ich. Also legte ich mir einen Plan zurecht und bereitete alles vor. Dieses schutzlose Wesen kann nichts dafür das ich nicht ausreichend aufgepasst habe, deswegen suchte ich mir eine Wohnung, ein Auto, packte meine Sachen zusammen. Meine Pläne fürs College waren sowieso gestrichen, also löste ich meinen Fond auf. An dem Tag, als ich es meinen Eltern erzählt habe, haben sich meine Befürchtungen bestätigt. Sie verlangten von mir, dass ich den Vater heirate. Ich kannte ihn nicht, deshalb war es nicht möglich. Dann stellten sie mich zwischen die Wahl: Entweder ich würde abtreiben, oder sie schmeißen mich hinaus. Also ging ich."

Oliver schwieg und starrte mich an. Offensichtlich brauchte er etwas Zeit, deswegen ging ich den Weg, den wir gegangen sind zurück.

Und ignorierte den Stechenden Schmerz, den ich bei jedem Schritt den ich von ihm gang fühlte.

Schrei des Wolfes: Das GeständnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt