Kapitel 1.1

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Grelle Schreie hallten im Raum und mich durchfuhren Schmerzen, wie ich sie körperlich noch nie erlebt hatte, als ich angestrengt versuchte, meine Augen ein kleines Stück zu öffnen. Dumpf kamen Bruchteile meiner Erinnerungen zurück, als ich die höllischen Schmerzen vor allem in den Bereich meines Bauches und meines Beckens zuordnen konnte.

Ein dunkler Schatten tauchte in meinem Blickfeld auf. Konzentriert öffnete ich meine Augen noch ein Stück weiter. Trotzdem sah ich alles nur verschommen, als würde ich auf dem Boden eines tiefen Ozeans sitzen und die Welt an der Wasseroberfläche beobachtet. Auch die Schreie waren etwas gedämpft, doch um einiges deutlicher, als unter Wasser. Mit der Zeit vernahm ich die Schreie klarer und der Schatten wandelte sich langsam zu einem noch recht unförmigen, schemenhaften Gesicht.

Nach und nach registrierte ich auch ein mal mehr, mal weniger regelmäßiges Piepen im Hintergrund. An meiner rechten Hand verspürte ich einen leichten Druck. Als ich endlich alles wieder klar wahrnehmen konnte, erkannte ich meinen Freund über mir.

Erleichtert lächelnd blickte er mir in die Augen, wandte sich jedoch gleich wieder von mir ab. Gleich darauf legte er mir jedoch ein kleines, schreiendes Bündel auf die Brust. „Nimm ihn einmal“, forderte er mich glücklich auf. Da lag ein kleines Baby, mein Baby, unser Baby und stapelte ein wenig hilflos mit seinen winzigen Füßen. Ein wenig überfordert suchte ich den Blickkontakt zu Max.

„Er ist gesund und hat alles gut überstanden“, sagte er sanft, als wollte er mich beruhigen. Mich beruhigte das jedoch keineswegs. 'Er ist gesund', dachte ich und erinnerte mich schmerzvoll daran, dass es nicht alle waren. 'Er ja.'

Behutsam nahm Max den Kleinen wieder auf den Arm und legte ihn vorsichtig zurück in sein kleines Bettchen, welches neben meinem stand. Sorgfältig deckte er ihn zu, ehe er sich wieder mir zuwandte. „Geht es dir gut?“, erkundigte er sich besorgt. Ich zuckte mit den Schultern, so gut es ging.

'Er wäre ein guter Vater', schoss es mir durch den Kopf. Gleich darauf berichtigte ich meine Gedanken: 'Er wird ein guter Vater.' Doch auch das korrigierte ich schnell wieder. 'Er ist ein guter Vater.' Genau, das war er offensichtlich. Seine liebevolle und offenherzige Art hatte ich nun wirklich nicht verdient.

Ich spürte, wie mir das Wasser in die Augen stieg und gleich darauf rollten mir die ersten Tränen über die Wangen. Weinend klammerte ich mich an Max, der mich sofort sorgenvoll in den Arm nahm. Er strich mir zärtlich über den Hinterkopf und langsam beruhigte ich mich wieder. Immer wieder erstaunte es mich, welche Wirkung seine besonnene Art und seine Anwesenheit auf mich hatten.

Gerade als wir uns voneinander lösten und Max sich wieder aufrichtete, betrat ein Arzt den Raum. „Sie können heute Abend wieder nach Hause“, teilte er mir freundlich lächelnd mit. „Dann haben Sie sich ein wenig ausgeruht und sind wieder fit“, erklärte er, während er mich von den elektronischen Geräten trennte, an welche ich zur Überwachung angeschlossen war. Er verabschiedete sich mit einem netten Gruß und wünschte mir noch alles Gute, bevor er ging.

Als er die Zimmertür hinter sich geschlossen hatte, stand Max auf und begann mit dem Packen der Sachen. Er legte zuerst meine Sachen sorgfältig in unseren kleinen Koffer, dann die wenige Kleidung des kleinen Babys.

Ich versuchte, meine Gedanken von dem Baby fernzuhalten. Allein durch seinen Anblick wurden schmerzhafte Erinnerungen hervorgerufen, die ich die letzten neun Monate lang erfolgreich verdrängt hatte. In meinem Kopf hämmerte und pochte es und erschöpft schloss ich meine Augen, um ein wenig wegzudämmern und der schmerzhaften, grausamen Realität zu entfliehen.

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