Prolog

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Er zerquetschte die rote Dose in seiner linken Faust zusammen. Widerliches pappsüßes Zeug. Als er sie in Richtung des überquellenden Mülleimers beförderte, zuckte er bei dem scheppernden Geräusch des Metalls zusammen. Sirius Black zwang sich, tief durchzuatmen, betont ruhig aufzustehen und nicht völlig panisch seinen Zauberstab aus der Jeans zu zerren.

Misstrauisch lehnte er sich aus dem Fenster, spähte in den tiefschwarzen Innenhof. Das hier war jetzt schon seine dritte eigene Wohnung. Nicht schlecht, wenn man bedachte, dass er erst vor einem knappen Jahr einundzwanzig geworden war.

Der Grimmauldplatz. Hogwarts. Das große Anwesen der Potters. Die schäbige Kammer im Hinterhof, der nach Katzenpisse stinkenden Mrs. Arnolds. Der Keller, in dem er es nur eine Woche lang ausgehalten hatte, da ihn darin alles an einen Verlies erinnerte. Und jetzt diese Wohnung, durch deren Fenster er den Innenhof stets im Blick hielt und in der er aus lauter Angst davor gefunden zu werden, kaum ein Auge zu tat.

Nervös pulte er die brüchig hart gewordene Fensterdichtung aus dem Rahmen. Immerhin hielt dieses klebrig süße Zeug ihn wach. Irgendwo ertönten Sirenen, ein Hund bellte. Sirus Black widerstand dem Drang, eine weitere Dose in sich hinein zu kippen. Stattdessen schloss er das Fenster und schnappte sich seinen Schlüsselbund. Es machte ihn schier verrückt.

Diese Ungewissheit, das Hängen in der Luft ohne festen Boden unter den Füßen. Vielleicht würde Wurmschwanz ja doch noch einwilligen, sich von ihm beschützen zu lassen. Oder vielleicht befand er sich wenigstens in einem so erbärmlichen Zustand, dass Wurmschwanz ihn aus Mitleid für eine Nacht auf seinem Sofa pennen ließ.

Der aufheulende Motor seines Motorrads durchbrach die Stille. Sirius fuhr schnell, ließ die genervten Autofahrer hinter ihm ein lautes Hupkonzert veranstalten. Aber anders als sonst kam ihm in dieser Nacht kein Lächeln mehr über die Lippen. Er gab Vollgas.

„Wurmschwanz?", rief er und würgte den Motor ab. Nahm mehrere Stufen der kleinen Treppe auf einmal, die zu Peters kleinem Apartment führte. „Wurmschwanz?" Sirius Black rüttelte an der Tür, sie bewegte sich keinen Millimeter. „Peter!" Drinnen war es stockdunkel. Er fühlte sich wie elektrisch aufgeladen, unter Strom gesetzt. „Wurmschwanz, du Idiot. Mach die verdammte Tür auf!", krächzte er und ein flaues Gefühl, wie als hätte er eine weitere Dose von diesen fürchterlichen EnergyDrinks geext, breitete sich in ihm aus.

Mit einem Klicken ließ er das Türschloss aufspringen. Dieser Hornochse. Noch nicht einmal gegen Alohomora hatte er sich geschützt. „Peter? Erschreck dich nicht. Ich bin es bloß.", flüsterte er leise in den dunklen Flur. Sirius Black betrat die Wohnung, den Zauberstab erhoben. Doch er musste kein Licht machen um zu wissen, dass niemand hier war. Und dass in dieser Wohnung nie ein Kampf stattgefunden hatte.

„Wurmschwanz du verdammtes Drecksschwein.", flüsterte er. Dann trat Sirius Black so feste gegen die Haustüre, dass die Wände vibrierten. Für einen kurzen Augenblick verlor er die Orientierung, für einen kurzen Augenblick setzte sein Verstand aus. Den Augenblick, den es brauchte um zu begreifen, was das alles bedeutete, was es zumindest bedeuten konnte.

Mit einem kräftigen Ruck zog er die Haustüre wieder auf, nahm den Treppenabsatz in einem Sprung. Das Motorrad heulte auf, schaffte es aber nicht, die Stimmen in seinem Kopf zum Schweigen zu bringen. „DU VERDAMMTER MISTKERL!", schrie er dem nächtlichen Straßenverkehr entgegen und bretterte ohne einen weiteren Blick über eine rote Ampel.

Für wie genial er sich gehalten hatte, als er Wurmschwanz darum gebeten hatte, Geheimniswahrer zu werde. Wie abartig er sich gefreut haben musste, als er das seinem Herrn erzählen konnte. Ihm wurde schlecht. Vor lauter Wut auf Peter, vor lauter Zorn auf sich selbst. Und vor lauter Entsetzen bei dem, was ihn gleich erwarten könnte.

Godrics Hollow lag so unschuldig da. So ruhig, dass er am liebsten kehrt gemacht hätte. Stotternd kam das Motorrad zum Stehen. Vor einem Grundstück, auf dem man eigentlich nichts hätte erkennen dürfen. Die bittere Erkenntnis traf ihn wie ein gezielter Faustschlag in den Magen.

„Black." Er fuhr herum, den Zauberstab erhoben, jederzeit dazu bereit, Peter mit Haut und Haaren in die Luft zu jagen. Aber es war nur Hagrid. „Bin auf Befehl von Dumbledore hier. Muss-", er stockte. „Muss Harry zu seinen Verwandten bringen." Sirius sackte in sich zusammen, sah es in den Augen des anderen.

James. Lily. Seine Augen weiteten sich.

„Harry?", krächzte Sirius, die Kehle trocken wie Staub. Hagrid schnäuzte sich mit einem geblümten Tischtuch die Nase. „Ich- Ich bin sein Patenonkel, Hagrid. Lass mich-" Er stolperte benommen von seinem Motorrad. „Lass mich für ihn sorgen, ich muss für ihn sorgen! Ich bin sein Patenonkel. Harrys Patenonkel!" Mit einer freien Hand langte Sirius nach dem schmiedeeisernen Tor, suchte nach Halt. Hagrid packte ihn bei den Schultern, umfasste seinen Oberarm. In seiner anderen Hand lag Harry. Kaum so groß wie seine Handfläche.

„Harry.", wisperte Sirus noch ein Mal. Kam langsam näher, fuhr ihm durch das zerzauste schwarze Haar. „Pass auf ihn auf, Hagrid. Ich flehe dich an, bitte pass auf ihn auf!" Seine erstickte Stimme brach, Sirius sah, wie sich die Augen des Wildhüters mit Tränen füllten. Er schnäuzte so laut, dass sich Harry unruhig hin und her drehte. Dann war es still. So zerreißend still, als hätten die Morde an James und Lily die Luft zwischen ihnen zerfetzt, in tausend kleine blutende Stücke platzen lassen.

„Nimm das Motorrad. Ich brauche es nicht mehr. Bring ihn nur in Sicherheit." Jetzt klang seine Stimme nicht mehr erstickt, nicht mehr leise oder wütend. Sie war vollkommen tonlos. Ohne ein weiteres Wort hielt er Hagrid den Schlüsselbund hin. Bewegungsunfähig verharrte Sirius, bis das Dröhnen des Motorrads nicht mehr zu vernehmen war. Dann ließ er das Tor zur Seite schwingen, lief so schnell über den Kiesweg, dass die Steine zu den Seiten wegspritzten. Die Haustür war nur angelehnt, jetzt benötigte er nicht einmal mehr seinen Zauberstab um sie zu öffnen. Langsam zog er die Türe auf.

James Potters Leiche war nur schemenhaft zu erkennen. Seine verstrubbelten Haare. Die Brille, die ihm vom Nasenrücken gerutscht war. Seine Gliedmaße, widernatürlich verrenkt. „James!", stieß er aus. Sirius Black fiel auf die Knie, umfasste die eiskalte Hand seines besten Freundes.

„James, mein Bruder."

2 - AschemädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt