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„Jasper?" Lily stand neben seinem Bett im Krankenflügel und sah auf ihn herab. Durch die weißen Kissen und Bettlaken schien sein Haar noch dunkler als sonst, seine Haut heller. Fast durchsichtig. Die Decke war sorgfältig um seinen Körper geschlungen, lediglich am Bettende ragten seine Zehenspitzen hervor. „Jasper", flüsterte sie wieder und zupfte ein paar Mal an seinem Kopfkissen.

Langsam drehte er sich zu ihr um und rieb sich den Schlaf aus den Augen. „Madam Pomfrey hat mich gebeten, dir das hier zu geben", log Lily und deutete auf den kleinen Trinkbecher auf seinem Nachttisch. In Wahrheit war es Sev gewesen, der ihr die Phiole in die Hand gedrückt hatte. Gegen die Nebenwirkungen des Gedächtniszaubers. Übelkeit, Verwirrung, Phantomschmerzen.

Jasper setzte sich vorsichtig auf und schüttelte das Kissen zurecht. „Hier." Sie reichte ihm den Trinkbecher. Er nahm ihn entgegen, trank aber nicht. Zwischen seinen Augenbrauen entstand eine steile Falte. „Warum bin ich eigentlich hier?" Lily schluckte und hielt sich an der Bettkante fest. Sie wusste nicht, wie weit Sev den Gedächtniszauber hatte wirken lassen. Wie viel Jasper noch wusste. Vielleicht hatte Sev den Zeitpunkt perfekt abgestimmt. Ihn nach dem Gespräch mit McGonagall abgefangen und auch seine Erinnerungen an die Animagi-Verwandlung gelöscht.

Sie lachte zittrig. „Komm schon, das ist eine unsinnige Frage." Jasper wirkte einen Moment lang verdutzt, vor den Kopf geschlagen, dann setzte er den Becher an die Lippen. „Du bist hingefallen und hast dir den Kopf angestoßen", platzte es dann aus Lily heraus. Gespannte Sekunden, in denen Jasper sein Gesicht verzog und den Trinkbecher schließlich geleert zurückstellte, vergingen, dann schien sich sein Argwohn zu legen.

„Das erklärt zumindest die schrecklichen Kopfschmerzen", sagte er und rieb sich über die Schläfen. „Normalerweise bist du es immer, die im Krankenflügel liegt", bemerkte er dann und grinste. Lily legte den Kopf schief. „Na, etwas Abwechslung muss sein."

Sie schwiegen einige Augenblicke lang, dann startete sie einen weiteren Versuch um herauszufinden, wie weit Sev wirklich gegangen war. „Kannst du dich denn nicht an deinen Sturz erinnern?", fragte sie vorsichtig. Jasper schüttelte langsam den Kopf. „Wir sind runter zur Peitschenden Weide gelaufen."

Seine Stirn legte sich in Falten. „Bin ich da schon hingefallen? Was genau wollten wir da überhaupt, ich-" Er blinzelte und stöhnte auf. „Im Ernst, mein Hirn fühlt sich an, als würde jemand genau in diesem Moment filetieren. Oder mit tausend kleinen Nadeln aufspießen. Flint wird austicken, wenn er erfährt, dass ich hier liege! Da bin ich schon mal im Quidditchteam und dann das."

Jasper biss die Zähne zusammen und zog an einem losen Faden des Bettbezuges. Ihr schlechtes Gewissen raubte Lily den letzten Nerv. Sie biss sich auf die Zungenspitze. „Dir geht es bestimmt schon bald wieder besser." Mit leidvoller Miene blinzelte Jasper zu ihr hoch. „Ich hoffe es", murmelte er und seine offensichtlich zur Schau gestellte Qual hätte Lily beinahe ein Grinsen auf die Lippen gezaubert. Wenn es nicht ihr eigener Vater gewesen wäre, der für seine Qual verantwortlich war.

Es ging nicht um Jaspers Übelkeit oder seine Kopfschmerzen, nicht wirklich. Denn die würden sich geben. Nein, das essentielle war, dass Sev gehandelt hatte, ohne ihr die Möglichkeit des Widerspruchs zu gewähren. Jasper hatte die Wahrheit gewusst, wenn auch nur für einige Stunden. Vielleicht hätte er ihr verziehen, vielleicht hatte er ihr sogar schon verziehen, warum sonst hätte er sie in der Gestalt seines Animagus vor dem Werwolf retten sollen?

Aber wenn er jetzt herausfinden würde, was Sev getan hatte und was sie nicht getan hatte, dann würde er ihr womöglich nicht mehr verzeihen.

Lily ballte ihre Hände zu Fäusten und richtete sich auf. Sie musste mit irgendjemandem reden, der die gesamte Wahrheit kannte. Ihr erster Gedanke war Ginny, aber im Grunde wusste sie rein gar nichts über sie. Nur Lügen, Lügen und nochmals Lügen. McGonagall war ebenfalls keine Möglichkeit. Sich ihr anzuvertrauen, würde bedeuten, Sev in den Rücken zu fallen.

2 - AschemädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt